AlfterBerufsausbildung in Teilzeit kann auch eine Chance für Arbeitgeber sein

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Die Ausbildung von Anna Pauls (M.) stellten Katrin Erb-Ruck (Arbeitsagentur), Ute Schwarz vom Jobcenter, Eva Vanmarcke (ModUs), Apotheker Rainer Ciesla und Ausbilderin Alessa Wilden (v. l.) vor.

Die Ausbildung von Anna Pauls (M.) stellten Katrin Erb-Ruck (Arbeitsagentur), Ute Schwarz vom Jobcenter, Eva Vanmarcke (ModUs), Apotheker Rainer Ciesla und Ausbilderin Alessa Wilden (v. l.) vor.

Alfter – Für Anna Pauls kann es nicht besser laufen. Im September trat sie ihre Ausbildung zur Pharmazeutisch-Kaufmännischen Angestellten in der Glockenapotheke in Witterschlick an. Das Besondere: Sie absolviert die Lehre in Teilzeit. Für die 37-Jährige, die vor rund 13 Jahren aus der Ukraine nach Deutschland kam, eine optimale Möglichkeit, als Alleinerziehende eines zwölfjährigen Sohnes Arbeit und Erziehung unter einen Hut zu bekommen. Bei einer Vollzeitausbildung wäre sie da schnell an ihre Grenzen gestoßen.

Die Möglichkeit, sich auch in Teilzeit ausbilden zu lassen, ist vielen nicht bekannt, erklärte Lars Normann, Pressesprecher der Agentur für Arbeit in Bonn. Bislang sind es im Raum Bonn deutlich weniger als ein Prozent der Azubis, die von diesem Angebot Gebrauch machen. Daher wirbt die Agentur im Rahmen der aktuellen „Woche zur Ausbildung“ für dieses Modell.

Teilzeitausbildung erleichtert das Familienleben

Auch der Witterschlicker Apotheker Rainer Ciesla hatte erst von dieser Möglichkeit erfahren, als er Anna Pauls’ Bewerbung auf seinem Schreibtisch hatte. Ciesla war nicht nur von der Bewerbung der Ukrainerin sehr angetan, sondern eben auch von der Idee einer Teilzeitausbildung. Teilzeitkräfte sind flexibler einsetzbar und da eine Apotheke auch wirtschaftlich arbeiten muss, hat er auch eine niedrigere Vergütung zu zahlen, gleichzeitig kann er eine kompetente Fachkraft ausbilden.

Ausbildungsbörse

Zum 22. Mal veranstalten die Agentur für Arbeit, die Industrie- und Handelskammer und die Kreishandwerkschaft Bonn/Rhein-Sieg am morgigen Donnerstag eine große Ausbildungsbörse in der Stadthalle Bad Godesberg. Rund 120 regionale Unternehmen stellen sich von 13 bis 17 Uhr vor. 40 Institutionen bieten außerdem duale Studiengänge an. Jugendliche können in einem Parcours mit 20 Stationen auch berufstypische Aktivitäten kennenlernen. (r.)

Die Flexibilität kommt wiederum auch seiner Auszubildenden zugute, die sich so optimal um ihren Sohn Anthony kümmern kann. Anna Pauls lernt die komplette Warenwirtschaft einer Apotheke kennen, bestellt Medikamente, überprüft den Lagerbestand und achtet darauf, ob bei den Arzneien das Haltbarkeitsdatum noch nicht abgelaufen ist.

Die Teilzeitausbildung richtet sich vor allem an Menschen, ganz unabhängig vom Alter, die familiäre Verpflichtungen haben. Dies können Alleinerziehende sein, aber auch Personen, die zu Hause einen pflegenden Angehörigen zu betreuen haben, erläuterte Katrin Erb-Ruck, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt bei der Bonner Agentur für Arbeit.

Eve Vanmarcke vom Bonner Beratungsbüro ModUs, das dem bundesweit tätigen Christlichen Jugenddorfwerks Deutschlands (CJD) angegliedert ist, fügt hinzu, dass eine Teilzeitausbildung nicht bedeute, dass sich die Gesamtzeit der Ausbildung verlängere: „Teilzeit ist nicht Halbzeit“, bringt es Vanmarcke auf den Punkt.

Die Ausbildung endet ebenfalls nach drei Jahren und nicht etwa nach sechs Jahren, wie manchmal vermutet wird. In der Regel reduziert sich die Zeit im Ausbildungsbetrieb um 25 Prozent, der Unterricht an der Berufsschule allerdings kann nicht verkürzt werden.

Abschlüsse wurden in Deutschland nicht anerkannt

Über ModUs konnten in den vergangenen Jahren knapp 200 Menschen in eine Teilzeitausbildung im Bonner Raum vermittelt werden. Der Schwerpunkt liegt im kaufmännischen Bereich oder bei Verwaltungsstellen. Bis zu 50 Väter und Mütter begleitet ModUs pro Jahr.

Für Anna Pauls ist ihre neue Aufgabe noch aus einem anderen Grund interessant. In ihrem Heimatland hatte sie Bankwesen studiert, bereits eine Ausbildung zur Buchhalterin absolviert und auch in diesem Job gearbeitet. Allerdings wurden ihre Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt. Nun, da ihr Sohn schon etwas älter ist, möchte sie ihre berufliche Zukunft selber in die Hand nehmen: „Ich möchte eine gute Ausbildung haben, mein eigenes Geld verdienen und meinem Kind auch ein gutes Vorbild sein“, fasst Anna Pauls ihre Motivation zusammen. Voraussichtlich im Herbst 2021 wird sie ihren Abschluss machen. Allerdings kann sie Rainer Ciesla in seiner Apotheke mittlerer Größe als Angestellte nicht übernehmen. Nicht, weil er nicht möchte, sondern weil es für ihn wirtschaftlich nicht möglich ist. Er ist aber überzeugt: „Sie ist so hochmotiviert und gut, sie wird mit Sicherheit in einer großen Apotheke eine Stelle finden.“

Weitere Informationen zur Teilzeitausbildung gibt es bei der Bundesagentur für Arbeit Bonn, Villemombler Straße 101, Tel.: (0800) 4 55 55 0 oder bei CJD Bonn, Beratungsbüro ModUs, Graurheindorfer Straße 149, Tel.: (0228) 98 96 270, E-Mail: mirjam.jung@cjd.de oder eve.vanmarcke@cjd.de.

Azubi-Speed-Dating

„Noch nie haben so viele Unternehmen mitgemacht“, freute sich der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bonn/Rhein-Sieg, Jürgen Hindenberg, „wir mussten sogar einige Firmen ablehnen, da es gar keinen Platz für zusätzliche Tische gab“.

Mehr als 115 Unternehmen nahmen am „Azubi-Speed-Dating“ der IHK, der Handwerkskammer zu Köln (HWK) und der Agentur für Arbeit Bonn in der Stadthalle Bad Godesberg teil. Schüler konnten sich in zehnminütigen Vorstellungsgespräche auf Stellenangebote der Unternehmen bewerben. „Das Format ist bei den Betrieben und den Ausbildungssuchenden sehr populär“, so Hindenberg. Falls beide Seiten zufrieden sind, bekommt der Azubi ein sogenanntes Recall-Blatt, eine Vereinbarung zu einem erneuten Treffen, um ein Praktikum oder einen Arbeitsvertrag abzuschließen. „Die Azubis können auch mehrere Recall-Blätter haben. Das fördert die Konkurrenz zwischen den Unternehmen“, erklärte der IHK-Geschäftsführer. Wer bei den Gesprächen scheitert, bekommt eine Plan B-Karte für ein Beratungsgespräch mit Mitarbeitern der IHK oder der Agentur für Arbeit.

Viele Handwerksbetriebe nutzten bei den etwa zehnminütigen Gesprächen mit den jungen Leuten die Chance, für ihre Berufe zu werben. Roberto Lepore, Abteilungsleiter der Nachwuchssicherung der Handwerkskammer bedauerte, dass den Jugendlichen die guten Zukunftsperspektiven im Handwerk kaum bewusst sind. Die Firmen hoffen auf positive Effekte durch die Reform des Berufsbildungsgesetzes: Mit der Einführung der Bezeichnungen Spezialist, Bachelor und Master für beruflichen Bildung soll eine Gleichwertigkeit mit der akademischen Ausbildung herstellen.

Der Generationswechsel bei den Unternehmen und der Auftragsboom im Handwerk hat immerhin dazu geführt, dass die IHK im vergangenen Jahr mit 3139 neu eingetragenen Ausbildungsverträgen noch einmal 1,2 Prozent mehr als im Vorjahr verzeichnete. Laut einer Umfrage der IHK konnten aber im vergangenen Jahr 23 Prozent aller Ausbildungsbetriebe nicht alle ihre Lehrstellen besetzen. (pra/Foto: Klodt)

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