„Mein Schwager Max Frisch“Literatur-Professor Norbert Oellers plaudert über Privates

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Ein Schnappschuss aus dem Jahre 1971: Max Frisch (2. v. l.) wird 60. Als Gäste bei der Feier in Zürich dabei (v. l.) der Schweizer Essayist François Bondy, Günter Grass (mit dem Rücken zur Kamera) und der Bonner Germanist Norbert Oellers.

Ein Schnappschuss aus dem Jahre 1971: Max Frisch (2. v. l.) wird 60. Als Gäste bei der Feier in Zürich dabei (v. l.) der Schweizer Essayist François Bondy, Günter Grass (mit dem Rücken zur Kamera) und der Bonner Germanist Norbert Oellers.

Bonn – Es war der 10. Oktober 1964. Der angehende Bonner Literaturwissenschaftler und spätere Schiller-Experte Norbert Oellers, damals kurz vor der Promotion, und seine Frau Marlies, eine Medizinalassistentin, besuchten seine Mutter in Ratingen-Hösel, als es an der Tür klingelte. Ein Mann namens Max Frisch stand draußen, Oellers’ Schwester Marianne neben ihm, und stellte sich als deren Freund vor.

Aha, Max Frisch, immerhin kein Unbekannter, der da Einlass begehrte. Der damals 53-Jährige war erfolgreicher Schriftsteller, seine Bücher „Stiller“ oder „Homo Faber“ hatten ihm hohe Anerkennung und Literaturpreise gebracht, durch seine Theaterstücke „Biedermann und die Brandstifter“ und „Andorra“ hatte er sich als Dramatiker von Rang etabliert. Zwei Jahre zuvor hatte er in Rom die damals 23 Jahre alte Studentin Marianne Oellers, eine aparte junge Frau, kennengelernt und für sie seine Beziehung zur Lyrikerin Ingeborg Bachmann beendet (siehe Literatur-Tipp). Für sie war die Trennung eine Katastrophe, von der sie sich nie mehr erholen sollte.

Ganz offen über Max Frisch geplaudert

„Meine Mutter war ganz aufgeregt, dass der Dichter ins Haus kam, auch kritisch ihm gegenüber“, und wohl mit der Wahl der Tochter nicht so recht einverstanden, erzählte Norbert Oellers jetzt in der Lesereihe „Freitagabend bei Leo“ im Restaurant „Mercato“ in Bad Godesberg. Der sonst mit privaten Auskünften gegenüber der Öffentlichkeit sehr zurückhaltende Bonner Professor und große Schiller-Forscher plauderte überraschend offen über seine Beziehung zu seinem Schwager Max Frisch. Der musste damals in Hösel – die Oellers sind gut katholisch – in einer Pension übernachten; dabei hatte das Paar bereits eine gemeinsame Wohnung in Rom bezogen.

Einen Monat vor dem Besuch bei Mutter Oellers war Frischs neuestes Buch „Mein Name sei Gantenbein“ erschienen, und Norbert Oellers hatte es „mit einigem Stirnrunzeln“ gelesen. Das verhehlte er dem Gast nicht, der den 25 Jahre jüngeren Germanisten kurzerhand bat, er möge das Werk redigieren, er, der Autor, könne die Anmerkungen dann ja in einer Neuauflage einarbeiten. Norbert Oellers ließ ihm wenig später eine Liste mit 30 Punkten zukommen, die er als verbesserungswürdig ansah. Max Frisch bedankte sich mit der Widmung „Für Norbert, den leider zu späten Lektor“ im „Gantenbein“, schickte das so gekennzeichnete Buch aber nicht ab. Erst Anfang 1992, fast ein Jahr nach dem Tod von Max Frisch, sandte es dessen letzte Lebensgefährtin Karin Pilliod, die es im Nachlass gefunden hatte, an Norbert Oellers.

Auch mit Alfred Andersch und Günter Grass bekannt

Man sah sich nach dem Kennenlernen in Hösel öfter. 1966 fuhren Norbert und Marlies Oellers im Fiat 600 nach Berzona, einem 82-Einwohner-Dorf im Tessin, wo Frisch und seine Freundin nun lebten. „Wir hatten es sehr gut. Max Frisch war ein leidenschaftlicher Boccia-Spieler und ein anregender und angeregter Gesprächspartner“, erinnerte sich Norbert Oellers, um gleich hinzuzufügen: „Im Gegensatz zu Alfred Andersch und Günter Grass“, zwei Literaten, mit denen er ebenfalls in Kontakt stand. Andersch (1914-1980) habe sich „sehr wichtig“ genommen, Grass (1927-2015) habe „immer alles besser“ gewusst. Aber mit Frisch, der Marianne Oellers 1968 geheiratet hatte, habe es bei den insgesamt zehn Begegnungen „nie einen Misston“ gegeben.

Generationen von Bonner Germanisten kennen Norbert Oellers als Schiller-Experten. Dass Max Frisch sein Schwager war, wusste bisher wohl nur eine Minderheit.

Generationen von Bonner Germanisten kennen Norbert Oellers als Schiller-Experten. Dass Max Frisch sein Schwager war, wusste bisher wohl nur eine Minderheit.

1972 lud der berühmte Schwager das Ehepaar Oellers und dessen zwei Kinder zu Ferien in seiner Zweitwohnung im schweizerischen Küsnacht ein, unweit von Thomas Manns letzter Ruhestätte. Der nicht anwesende Hausherr hatte eine dreiseitige Liste vorbereitet, auf der unter anderem stand, wo im Hause Essen und Trinken („mit dem Bordeaux bin ich geizig“) zu finden waren. Auch ein Warnhinweis war niedergeschrieben worden: „Die Spülmaschine nicht nach 10 Uhr abends, weil unten eine Hysterikerin wohnt!“ Von Küsnacht ging es noch einmal zu Frisch nach Berzona; Oellers’ fünfeinhalbjähriger Sohn badete dort in einem Bach – und wäre beinahe von einem Strudel mitgerissen worden, hätte Onkel Max ihn nicht gerettet.

Zerwürfnis zwischen dem Ehepaar Frisch

Zwei Jahre darauf, 1974, kam es zum großen Zerwürfnis zwischen dem Ehepaar Frisch. Er hatte auf einer Lesereise in den USA eine Affäre begonnen, auch Marianne beging einen Seitensprung. Max Frisch, der oft sein Privatleben als Steinbruch für seine Werke genutzt hatte, verarbeitete das Beziehungsgeflecht in seiner Erzählung „Montauk“, gegen deren Veröffentlichung die Noch-Ehefrau sich heftig wehrte. Frisch musste den Text überarbeiten. „Ich habe nicht mit Dir gelebt als literarisches Material, ich verbiete Dir, dass Du über mich schreibst“, zitierte Max Marianne in seinem „Tagebuch 1966-1971“.

Die Ehe wurde 1979 geschieden. „Die Hoffnung auf eine nacheheliche Freundschaft ist begraben“, schrieb Max Frisch an Norbert Oellers. Ein letzter, handschriftlicher Brief an ihn datiert vom Juni 1984. Fünf Jahre später wurde bei dem weltberühmten Autor Darmkrebs diagnostiziert. Ein Jahr vor seinem Tod telefonierten beide ein letztes Mal, sie sprachen über die gerade stattgefundene Volkskammerwahl in der DDR. Frisch starb 1991, mitten in den Vorbereitungen zu seinem 80. Geburtstag. Der Literaturnobelpreis blieb Frisch verwehrt, nicht nur zu Oellers’ Bedauern, der am Ende seines Vortrags drei Alterswerke des Schweizers vorstellte. Das Stück „Triptychon“ und die Erzählungen „Der Mensch erscheint im Holozän“ und „Blaubart“, die von Vergänglichkeit und Tod handeln. Oellers: „Man sollte sie wieder lesen“.

Literatur-Tipp: In der Reihe „Freitagabend bei Leo“ lesen am 23. Februar Christiane Lemm und Kalle Kubik aus dem Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze. Beginn um 19.30 Uhr im „Mercato“, Rüngsdorfer Straße 4. Eintritt: 12/8 Euro.

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