Abo

Bornheimer ZahnarztNächtlicher Schockanruf von Lesbos

Lesezeit 4 Minuten
Wiederholt war der Bornheimer Zahnarzt Dr. Alexander Schafigh im Lager Moria, um Kranken zu helfen.

Wiederholt war der Bornheimer Zahnarzt Dr. Alexander Schafigh im Lager Moria, um Kranken zu helfen.

Bornheim – Der Anruf von der Insel Lesbos erreichte Dr. Alexander Schafigh mitten in der Nacht zum Mittwoch, noch bevor die ersten Bilder vom brennenden Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos um die Welt gingen. Informiert wurde der 50-jährige Zahnarzt aus Bornheim von Team-Mitgliedern. Denn Schafigh gehört der „Health Point Foundation“ (HPF) an und war seit 2019 bislang zwei Mal in dem Flüchtlingslager, um ehrenamtlich als Zahnarzt vor Ort zu helfen.

Die Health-Point-Stiftung

ist eine gemeinnützige Hilfsorganisation, die für die Bereitstellung von medizinischen, zahnmedizinischen und pädagogischen Dienstleistungen für Vertriebene unabhängig von Religion, Rasse und Nationalität eingerichtet wurde. „Wir haben dort unter rudimentären Bedingungen gearbeitet, wir leisten zahnärztliche Notfallbehandlung“, schildert Schafigh. Es gehe primär darum, Karies, Abszesse oder gar Kieferbrüche zu behandeln. Komplizierte Wurzelbehandlungen sind kaum durchzuführen, Röntgenaufnahmen nicht möglich. Jeder Zahnarzt bringt sein eigenes Material mit, das er über Spenden finanziert hat. Im Schnitt behandelt ein Dentist 25 bis 30 Patienten pro Tag.

Appell der Bürgermeister

„Die Situation der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln ist seit Jahren katastrophal. Wir alle wissen das und tun nichts. Moria auf Lesbos hat uns gezeigt wie das enden kann. Wir Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Rhein-Sieg-Kreis wollen hier nicht mehr wegsehen. Es wird schon zu oft weggesehen. Wir sind nicht mehr bereit, die fruchtlosen Bemühungen der EU hinzunehmen“, erklärte Stefan Raetz (Rheinbach) gestern stellvertretend als Sprecher der Bürgermeister im Rhein-Sieg-Kreis. Nachdem Deutschland seit dem 1. Juli den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernommen hatte, richtet sich sein Aufruf an die Bundesregierung: „Als Ratspräsidierende in der EU haben wir für eine gesamteuropäische humanitäre Lösung zu sorgen. Wir erwarten ein sichtbares Zeichen der Menschlichkeit. Sofort! Wenn alle Europäer*Innen und damit auch wir im Rhein-Sieg-Kreis unsere Herzen öffnen, dann helfen wir den Schwächsten der Schwachen. Möge Lesbos symbolisch für Leben, Ehre, Solidarität, Beistand, Obhut und Sicherheit stehen“, appelliert Stefan Raetz. (Bir)

Eigentlich wollte Schafigh auch in diesem Jahr im Sommer wieder nach Moria fliegen, um zu helfen, doch mehrfach wurden Flüge annulliert. Coronabedingt sind die Auflagen der griechischen Behörden, ins Lager zu kommen, sehr streng geworden. Da Schafigh die katastrophalen Zustände vor Ort kennt, war es für ihn nur eine Frage der Zeit, dass es irgendwann in dem hoffnungslos überfüllten Lager zu einer Katastrophe kommen würde. 2016 wurde das Camp als Übergangslager für 2800 Flüchtlinge errichtet, zuletzt sollen hier knapp 13 000 unter erbärmlichsten Umständen gehaust haben, zeitweise waren es an die 20 000. Als vor einigen Wochen einige Insassen positiv auf Covid 19 getestet worden sind, seien die Menschen in Panik geraten.

Die hygienischen Zustände seien so katastrophal gewesen, niemand habe sich ordentlich die Hände waschen können. An „Social Distancing“ sei überhaupt nicht zu denken. Es spitzte sich zu, als das Lager komplett isoliert wurde. Durch diesen Lockdown hätten die Menschen noch nicht einmal Gelegenheit gehabt, sich außerhalb des Camps Geld aus den Automaten zu besorgen, um sich das Nötigste zu kaufen, schildert Schafigh, der im ständigen telefonischen Kontakt zu seinen ehrenamtlichen Teamkollegen vor Ort steht. „Dadurch ist die Lage eskaliert, weil die Menschen sämtlicher Infrastruktur beraubt worden sind.“

Aktuell berichtet ihm sein Team von Straßenblockaden durch die örtlichen Behörden, die verhindern sollen, dass die Flüchtlinge in die knapp 4,5 Kilometer entfernte Inselhauptstadt Mytimi gelangen: „Knapp 13 000 Menschen hausen ohne Obdach auf der Straße, sie sind verstreut über die ganze Insel, darunter viele unbegleitete Minderjährige, die nicht einmal ihre primären Bedürfnisse decken können.“

Aktuell setzt der Bornheimer Zahnarzt sämtliche Hebel in Bewegung, um Hilfsgelder und Sachspenden aufzutreiben, die die Bedürftigen dann möglichst schnell über einen Hamburger Hilfskonvoi erreichen sollen. Er selbst würde so bald wie möglich wieder auf die ägäische Insel fliegen. Derzeit ist das jedoch so gut wie unmöglich: „Deswegen versuche ich, möglichst viel von hier aus zu organisieren“, sagt Dr. Alexander Schafigh. Seine Forderungen an die Politik: „Wir in Deutschland sollten zumindest die rund 5000 unbegleiteten Minderjährigen aufnehmen. Für Deutschland ist das doch eine homöopathische Dosis. Das wäre auch so, wenn wir alle 13 000 Flüchtlinge aufnehmen würden.“ Schafigh plädiert daher für eine „uneuropäische Lösung“.

Der Zahnarzt fordert außerdem, den Griechen zu helfen, die Schutzsuchenden aufs Festland zu bringen. Dort sei schnelle Hilfe und die nötige Infrastruktur gegeben: „Sie müssen sonst erst einmal alles auf die Insel bringen, das dauert und bedeutet eine weitere Herausforderung. Wir können nur hoffen und beten, dass es nicht zu größeren menschlichen Opfern kommt“, betonte Schafigh. Konsequenzen hat der Großbrand auch für die Arbeit der Zahnärzte vor Ort. Die von der HPF eingerichtete Zahnstation ging ebenfalls in Flammen auf.

Rundschau abonnieren