GesprächWie sich der Höhner-Musiker Jens Streifling an den Mauerfall erinnert

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Heute ist er Mitglied der Kultband „Höhner“. 

Heute ist er Mitglied der Kultband „Höhner“. 

Bornheim/Berlin – Als am 9. November 1989 in Berlin die Mauer fiel, saß Jens Streifling wie erstarrt vor dem Fernseher in seiner kleinen Wohnung in Köln. „Ich konnte gar nicht glauben, was ich da sah“, erinnert sich der Musiker der Kölner Kultband „Höhner“, der jetzt in Brenig zu Hause ist. Mehr als 30 Jahre sind inzwischen vergangen und doch kommt es ihm vor, als sei das alles erst gestern passiert. Knappe vier Monate vor dem Mauerfall hatte er die Deutsche Demokratische Republik (DDR) auf eigenen Wunsch verlassen in dem Glauben, seine Eltern, Geschwister und Freunde viele Jahre nicht wiedersehen zu können. Es sollte anders kommen.

Nicht in seinen kühnsten Träumen hatte er es damals für möglich gehalten, dass die Mauer völlig ohne Blutvergießen fallen sollte und die Wiedervereinigung so unmittelbar bevorstand. „Da haben die Bürger der DDR und die Politiker aus Ost und West Großartiges geleistet“, lobt Streifling.

Ehefrau gab den Anstoß

Den Anstoß für seine Ausreise habe ihm seine erste Ehefrau Maren gegeben, die er als 19-jähriger Musiker in der DDR kennen- und lieben gelernt hatte. „Sie hatte den Ausreiseantrag bereits gestellt, lange bevor wir zusammenkamen“, berichtet er. Maren sei es auch gewesen, die ihm die negativen Seiten der DDR verdeutlichte. „Durch sie habe ich begonnen, über das Regime und unsere Zukunft in der DDR nachzudenken.“

Damals war Streifling bereits als Berufsmusiker mit der Band „Zebras“ unterwegs. Nach einer Tournee durch die ehemalige Sowjetunion wurde ihm klar, dass auch er seine Zukunft nicht mehr in der DDR sah. „Und dann haben Maren und ich geheiratet“, erklärt er. Damit hatte der Ausreiseantrag seiner Frau auch für ihn Gültigkeit. „Am 22. August 1989 sind wir mit dem Nachtzug von Halle nach Köln gefahren“, erinnert sich Streifling. In der DDR habe es damals schon ordentlich gebrodelt. An die Montagsdemonstrationen erinnert er sich noch gut, „mitgegangen bin ich aber nie“, sagt er. Viel zu sehr habe er für die Musik gelebt.

Schon als Jugendlicher in der DDR spielte Jens Streifling in Bands. Heute ist er Mitglied der Kultband „Höhner“. 

Schon als Jugendlicher in der DDR spielte Jens Streifling in Bands. Heute ist er Mitglied der Kultband „Höhner“. 

Unvergessen bleiben ihm die Musiker der Band „Pankow“. Mit ihnen war Streifling damals gut befreundet. Deren Song „Aufruhr in den Augen“ habe genau die Zeichen der Zeit widergespiegelt. „Hätte mir damals im Sommer 1989 jemand erzählt, dass sich die Grenzen noch im selben Jahr öffnen sollten, ich hätte ihn ausgelacht“, sagt Streifling. Doch schon wenige Wochen nach seiner Ausreise sei sein bester Freund über Ungarn mit seinem Trabi aus der DDR geflohen. „Was sich damals in nur wenigen Monaten in der DDR abgespielt hat, bleibt für mich auch 30 Jahre nach dem Mauerfall einfach supergenial“, so der 54-Jährige.

Das Leben in der DDR

Dabei habe er zunächst sein Leben in der DDR gar nicht so schlecht gefunden. Bis er im Alter von drei Jahren einen Tagesplatz in der Krippe bekam, lebte Streifling bei seiner Oma auf einem Bauernhof in der Nähe von Leipzig, in Kitzscher. Seine Mutter musste als Alleinerziehende das Geld für die Familie verdienen. Außer einem älteren Bruder hat Streifling auch noch zwei ältere Schwestern. Seine Mutter war Musiklehrerin in der Schule. „Sie hat Akkordeon und Klavier gespielt und wunderschön gesungen“, erzählt er. Er selbst lernte im Alter von acht Jahren, Klarinette zu spielen. Die Fabrik Braunkohleveredlung Espenhain habe in der Region Leipzig ein Pionier- und Jugendorchester aufgebaut unter dem Stichwort Nachwuchsförderung. Jedes Kind sollte die Möglichkeit haben, ein Instrument zu spielen. Auch Streifling wurde Mitglied im Orchester. „Wir wurden von Lehrern des Gewandhaus-Orchesters Leipzig ausgebildet“, sagt er. Mit diesem Jugendorchester habe er tolle Erlebnisse gehabt. Spontan fallen ihm zum Beispiel die Weltfestspiele 1979 in Ostberlin ein. „Und jedes Jahr gab es ein zweiwöchiges Musikprobelager, an dem alle Jugendorchester aus dem Bezirk Leipzig teilnahmen“, erzählt er.

Streifling war gerade 15 Jahre alt, als das Orchester des Ministeriums des Innern – im Volksmund Stasi-Orchester genannt – mit einem Angebot auf ihn zugekommen sei. „Sie wollten mich für ein Musikstudium als Klarinettist anwerben“, berichtet er. Der Haken sei gewesen, dass er sich verpflichten musste, anschließend im Orchester zu musizieren. „Doch ich wusste direkt, dass das nicht mein Weg war“, erzählt er. Stattdessen lernte Streifling Gitarre spielen gründete mit zwei Gleichgesinnten seine erste Band. „Wir nannten uns ,Schulrock’“, erzählt er. Es sei der Anfang einer wilden Zeit gewesen. „Wir wollten schließlich alle Rockstars werden“, lacht er heute. Schnell konnte die Dreimannband auch eine Sängerin und einen weiteren Instrumentalisten gewinnen. „Unsere Band und unsere Musik waren wie ein Fieber, wie ein Sog“, erinnert er sich.

In dieser Zeit gewannen sie einen Musikwettbewerb für Nachwuchstalente. „Der erste Platz war ein Auftritt im Fernsehen“, erinnert sich Streifling. Für ihn sei das der Beginn seiner musikalischen Karriere gewesen. Es folgten Auftritte in Schulen im ganzen Land. Ausreichend Geld habe er mit der Musik aber nicht verdienen können. „Ich entschied mich deswegen zunächst für eine Ausbildung zum Elektriker“, erzählt er. Die Lehre beendete er, kündigte dann aber: „Ich wollte Berufsmusiker werden.“

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Zur selben Zeit bekam er ein Angebot von der Profiband „Zebra“ aus Halle, die einen Multiinstrumentalisten suchte. „Damals spielte ich außer Gitarre und Klarinette auch schon Saxophon“, so Streifling. Mit ihnen sei er durch den ganzen Osten gezogen. „Und nebenbei habe ich in dieser Zeit auch noch mein Musikstudium absolviert“, erzählt er.

Nach seiner Ausreise sollte der Traum von der Berufsmusik wahr werden. Nach einem Aufenthalt in Kanada folgten Soloprojekte unter anderem mit Wolfgang Niedecken, Guildo Horn und Udo Lindenberg. Parallel dazu musizierte er auch bei der Kultband BAP, bevor er 2003 Höhner-Musiker wurde.

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