Spediteur aus Bornheim-Roisdorf zum Brexit„Fahren zurzeit gar nicht nach England“

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Das auffällige Design macht die Transporter von Wilfried Wirtz unverkennbar. 60 Lkw gehören zum Fuhrpark, die Firma hat 100 Mitarbeiter.

Das auffällige Design macht die Transporter von Wilfried Wirtz unverkennbar. 60 Lkw gehören zum Fuhrpark, die Firma hat 100 Mitarbeiter.

  • Chaos am Ärmelkanal, Tausende Lastwagen, die in England im Stau stehen – Bilder, die noch gut im Gedächtnis sind.
  • Inmitten dieser Blechlawine standen auch Fahrer der Spedition Wirtz aus Roisdorf.
  • Wie händelt das Unternehmen die Warenausfuhr nach Großbritannien in Zeiten von Brexit und Corona?
  • Jacqueline Rasch fragte bei Firmenchef Wilfried Wirtz und Speditionsleiter Dieter Guckes nach.

Herr Wirtz, Herr Guckes, was genau transferiert Ihre Firma üblicherweise nach Großbritannien? Guckes: Bisher haben wir Medikamente transportiert, sogenannte diebstahlgefährdete Güter wie Computer, Laptops, Mobiltelefone, dazu Fruchtsaftkonzentrat und zuletzt auch noch Haushaltswaren. Das aber nur für die Leute, die Torschlusspanik hatten. Also Waren, die noch unbedingt vor dem Jahreswechsel geliefert werden mussten, als sich schon die ersten Schwierigkeiten angebahnt haben. Dabei hatten wir zuletzt auch Probleme, unsere Autos wieder zurückzubekommen aufgrund der Corona-Situation.

Das heißt, Ihre Leute mussten auch im Lkw vor Dover ausharren?

Wirtz: Genau dort standen sie auch fast eine Woche.

Man konnte sich darauf nicht wirklich einstellen?

Guckes: Wir sind schon immer darauf bedacht, uns zu informieren. Aber von unseren Disponenten wurde ein Fahrzeug schon oberhalb von London angehalten und auf einen sogenannten Sicherheitsparkplatz gestellt. Wir hatten insofern Glück, dass die Lkw schon leer waren. Diese Staus waren Corona geschuldet. Die neuen Staus gehen auf den Zoll und Corona zurück.

Die Fahrtroute nach Großbritannien tüftelt Speditionsleiter und Prokurist Dieter Guckes genau aus.

Die Fahrtroute nach Großbritannien tüftelt Speditionsleiter und Prokurist Dieter Guckes genau aus.

Und aktuell?

Wir fahren im Moment gar nicht nach England, wir haben uns seit dem 1. Januar bedeckt gehalten, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass viele Kunden aus Industrie und Handel sich überhaupt nicht mit der Thematik Brexit befasst haben und wir immer wieder mit einer grenzenlosen Unwissenheit konfrontiert werden.

Schon verwunderlich, der Brexit wurde ja nicht erst seit gestern diskutiert ...

Guckes: Irgendwie ist die Menschheit so an die EU gewöhnt, dass man dem Irrglauben aufsitzt, alles ist Angelegenheit des Spediteurs. Inzwischen ist es so: Wenn ich Waren exportieren will, ist der zolltechnische Aufwand für Exporte nach Indien oder Großbritannien exakt derselbe. Da hinken Handel und Industrie noch sehr hinterher.Sie versuchen, ihr Problem zu unserem zu machen.

Guckes: Wir sind ein Dienstleister, der alle Leistungen übernimmt, die uns möglich sind. Aber wenn ich als Hersteller eine Ware exportieren will, muss ich bestimmte Papiere vorbereiten. Dazu brauche ich Handelsrechnungen, Ausfuhrpapiere, muss mir einen Zolldeklaranten in England suchen, der die Waren für mich anmeldet. All diese Dinge müssen Industrie und Handel übernehmen, wer immer die Ware verschickt. Da herrscht große Unwissenheit.

Wie war es vorher?

Wirtz: Man brauchte nur einen Frachtbrief, einen Lieferschein und konnte einreisen. Innerhalb der EU kann ich alle Waren fröhlich transportieren, so, als ob ich nach Holland oder Belgien fahre. Sobald man die EU-Außengrenze verlässt, wird es aufwendig.

Guckes: Wir hatten auch schon recht dreiste Anrufe von Händlern, das sei ihnen alles völlig egal und wir sollen das erledigen. Es ist eins der großen Themen, dass man langsam die Kundschaft daran gewöhnt, dass sie auch etwas tun muss.

Noch mal, das war ja nun kein ganz neues Thema...

Wirtz: ...es war Zeit genug. Das ist dasselbe wie mit Weihnachten und Ostern.

Guckes: Nun zogen sich die Brexit-Verhandlungen ja ewig lange hin, dann gab es bis vor einem halben Jahr noch Stimmen, der Brexit finde nicht statt, dann gab es die verschiedensten Varianten zwischen weichem und hartem Brexit. Alle warteten erstmal ab. Wir hatten uns schon vor Monaten mit der Thematik befasst und gesagt, es wird so sein wie vor 30 Jahren, und wir wissen, was wir zu tun haben.

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Das geht also allen Transportunternehmen so. Gibt es denn überhaupt Warenverkehr nach England zurzeit?

Wirtz: Ich habe letztens von einem Spediteur gehört, der frische Erdbeeren von Frankfurt nach England bringen wollte. Er hatte alle Papiere dabei, musste aber trotzdem 24 Stunden in Dover auf die Abfertigung warten. Zum Jahresbeginn ist es ja noch ruhig, dennoch waren 80 Lkw vor ihm. Was, wenn erst täglich Tausende Lastwagen fahren?

Was sagen die Fahrer dazu?

Sie sind ja noch nicht gefahren, aber wir müssen jetzt mit einigen Fahrern sprechen. Natürlich können sie sich weigern. Wir müssen den Weg auch mit dem Kunden gemeinsam gehen.

Wenn kaum noch jemand fährt, dann fehlen auf der Insel auch Waren?

Guckes: In Nordirland werden bereits frische Lebensmittel knapp. Unserer Einschätzung nach wird es auch so sein, dass bestimmte Dinge fehlen. Denn wenn man bedenkt, wie viele Lkw Waren dorthin transportiert haben und vielleicht zwei, drei Stunden Wartezeit hatten, und jetzt wenige Lkw zwei, drei Tage warten müssen, dann bekommt man die Ware nicht so schnell nach, wie sie verbraucht wird. Dazu kommt noch die Kent-Genehmigung, die man beantragen muss. Kent hat Angst, dass die Region zur Müllhalde wird, weil Hunderte Lkw-Fahrer dort kampieren müssen.

Haben Sie denn einen alternativen Absatzmarkt?

Wirtz: Das ist nicht so einfach. Der Umsatz, den wir dort erwirtschaften, fällt komplett weg.

Sie verfügen über Kühltransporter. Liefern Sie auch Corona-Impfstoff aus?

Guckes: Wir haben einen Testtransport gefahren. Aber aktuell nicht.

Wirtz: Masken, Handschuhe und Schutzausrüstung transportieren wir in großem Maße und Beatmungsgeräte nach Polen beispielsweise.

Mussten Sie dabei beschützt werden?

Guckes: Die Besonderheit bei uns ist, dass wir vor 18 Jahren eins der ersten Unternehmen in Europa waren, die sich mit sogenannten Sicherheitstransporten befasst haben. Wir haben also die Zeiten erlebt, als Nokia-Handys noch ganz up to date waren, dass tatsächlich bewaffnete Wachleute mit den Lkw nach Polen gefahren sind. Das war zum Teil schon wie im Wilden Westen. Inzwischen hat sich das deutlich relativiert. Heute verstehen wir unter einem Sicherheitsransport Intelligenz und Vorsorge. Da gibt’s keine Sheriffs mehr.

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