Diesel-FahrverboteBonner Handwerker und Taxiunternehmer setzen auf Ausnahmen

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Dicke Luft an der Reuterstraße: Hier stehen Autofahrer des Öfteren im Stau, die Abgaswerte schnellen in die Höhe.

Dicke Luft an der Reuterstraße: Hier stehen Autofahrer des Öfteren im Stau, die Abgaswerte schnellen in die Höhe.

Bonn – Edmund Theisen klingt alles andere als begeistert, aber auch nicht gerade aufgeregt wegen des Urteils aus Leipzig. „Die blaue Plakette wird kommen“, sagt der Chef der Vermittlungszentrale Theisen, die seit 1980 als Beförderungsdienstleister in der Region Bonn/Rhein-Sieg tätig ist und zurzeit zwölf Fahrzeuge in Betrieb hat. Und: „Es wird eine Übergangsfrist geben. Wie soll das anders gehen?“, fragt der Unternehmer auch mit Blick auf Handwerker in der Region, die oft Spezialtransporter betrieben.

Theisen selbst hat schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht, wie er berichtet, als vier seiner Fahrzeuge mit gelber Plakette „über Nacht wertlos“ wurden, weil in die City nur noch Autos mit grünem Aufkleber dürfen. Er sei „kalt enteignet‘ worden, sagt Personenbeförderer Theisen. „Das passiert jetzt noch einmal.“

„Ein klein wenig ist der Dampf aus dem Kessel“

Doch Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan will nach eigenem Bekunden „alles Mögliche tun“, um Fahrverbote auch künftig zu vermeiden. Sie wären derzeit „kaum praktikabel“ und „nicht zu kontrollieren“ und träfen Bürger und Unternehmen, betonte das Stadtoberhaupt, nachdem das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat, dass Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge in deutschen Städten ausnahmsweise rechtlich zulässig sein können.

In Bonn Geplant

Die Bundesstadt verwies gestern auf eine Vielzahl geplanter Maßnahmen für eine bessere Luft. Dazu gehöre die Nachrüstung von Linienbussen der Stadtwerke Bonn (SWB), die schrittweise Umstellung des städtischen Fuhrparks auf schadstoffarme Diesel oder Elektrofahrzeuge, das Fahrradmietsystem, das die SWB noch 2018 einführen würden, den Ausbau des Radwegenetzes mit dem Fokus auf der Radpendler-Route Bonn-Alfter-Bornheim, die Pläne für die Seilbahn auf den Venusberg oder ein moderneres und erweitertes Parkleitsystem.

Zudem erarbeite die Stadt gerade einen Masterplan, um an Fördergelder des Bundes im Rahmen der „Diesel-Milliarde“ zu kommen. (csc)

Zwar bedeute das Urteil nicht, „dass ab morgen Dieselfahrzeuge in der Bonner Innenstadt verboten sind“, so der OB. Es würde aber wahrscheinlicher, dass die Bezirksregierung sie im Luftreinhalteplan Bonn anordne, wenn die Stickstoffdioxidgrenzwerte anders nicht eingehalten werden könnten, räumt Sridharan ein. Er sieht „allerspätestens jetzt“ die Autoindustrie in der Pflicht, problematische Diesel mit Hardware nachzurüsten. Und die Bundesregierung müsse die blaue Plakette einführen.

„Ein klein wenig ist der Dampf aus dem Kessel“, meint Kreishandwerksmeister Thomas Radermacher, von dessen Meckenheimer Schreinerei aus täglich vier bis fünf Fahrzeuge nach Bonn müssen. Der Hinweis des Gerichts, die Städte müssten die Verhältnismäßigkeit wahren und Ausnahmen für Handwerker ermöglichen, beruhigt den Unternehmer ein Stück weit. In Gesprächen mit der Stadt Bonn müssten jetzt Regelungen gefunden werden, damit den Unternehmen kein wirtschaftlicher Schaden entstehe.

Ausnahmen auch für Taxis möglich

Claus Trautmann, Vorstand der Taxigenossenschaft Bonn, geht ebenfalls davon aus, dass es für die Fahrzeuge der Taxi-Zentrale Ausnahmeregelungen geben werde. Das sei ihr schon vorab in Gesprächen zugesagt worden. Etwa die Hälfte der 320 Bonner Taxen erfüllten noch nicht die neuste Euronorm, schätzt Trautmann. Dass einige Unternehmer jedoch sogar noch mit zehn Jahre alten Wagen führen, stoße auch beim Genossenschaftsvorstand selbst auf Kritik.

Mit der Entscheidung des Gerichts werde „ein bisschen Druck aufgebaut. Das finde ich grundsätzlich gut“, sagt Peter Küpper, dessen Bonner Heizungs- und Sanitärbetrieb rund 50 Fahrzeuge laufen hat, darunter 35 Diesel. Schon vor zehn Jahren habe er auf Erd- und Flüssiggasfahrzeuge gesetzt, doch die hätten sich als weniger leistungsfähig und weniger haltbar erwiesen, sagt Küpper der Rundschau. Auch er fordert die Hardware-Umrüstung durch die Autohersteller und geht von langen Übergangsfristen aus. Sonst könnten die Handwerker ihren Betrieb einstellen. „Wir müssen ja zum Kunden hin.“

Die Zielvorgabe der Stadtwerke Bonn (SWB) für ihre Linienbusse ist ohnehin die „Umrüstung der gesamten Flotte auf Elektrobusse“, so Konzernsprecher Werner Schui. Schon jetzt werde rund 50 Prozent des Nahverkehrsangebotes über Elektromobilität abgewickelt: Straßen- und Stadtbahnen führen mit Strom und trügen so zur Reinhaltung der Luft bei. Sie fahren laut Schui tagtäglich rund 23 000 Kilometer, während die Busse 40 000 Kilometer am Tag zurücklegten.

SWB will Elektrobusse im Stadtgebiet testen

Eine Untersuchung habe ergeben, dass das bestehende Netz tatsächlich mit E-Bussen bestückt werden könnte, ohne diese unterwegs aufladen zu müssen. Das funktioniere allerdings nicht für die Flughafenlinie. Dankbar sind die SWB, dass sie derzeit gemeinsam mit neun weiteren Städten in Europa an einem Förderprojekt der EU teilnehmen und Elektrobusse im Stadtgebiet testen können. Aber: „Die Industrie ist noch nicht so weit, E-Busse auf den Markt bringen zu können, die von der Qualität, Verfügbarkeit und Einsatzmöglichkeit her den Dieselbus 1:1 ersetzen könnten.“

IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Hubertus Hille betont gestern, dass Fahrverbote laut Urteil „nur unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als letztes Mittel in Betracht kommen dürfen“. Dennoch sollten sie unterbleiben. Die Übergangsfrist für Euro-5-Diesel bis zum 1 September 2019 sei für viele kleine und mittlere Firmen nicht ausreichend. „Erfreulich sind hingegen die vom Gericht als zulässig angesehenen Ausnahmegenehmigungen.“ Laut IHK Bonn/Rhein-Sieg werden in der Region gewerblich zugelassene Pkw zu zwei Dritteln und Nutzfahrzeuge fast ausschließlich mit Diesel betrieben. Für viele kleine und mittelgroße Unternehmen seien kurzfristige Flottenerneuerungen wirtschaftlich nur schwer verkraftbar. Und auch Berufspendler müssten ihren Arbeitsort erreichen können.

Fast 120 000 Diesel-Fahrzeuge in Bonn zugelassen

Mit Stichtag 1. Januar 2018 waren in Bonn nach Auskunft von Stadtsprecher Marc Hoffmann exakt 248 944 Fahrzeuge zugelassen, davon 118 235 Diesel-Fahrzeuge und 108 885 Benziner. Der Rest verteilt sich auf andere Antriebsarten wie Elektro, Erdgas oder Hybrid.

Von den 118 235 Dieselfahrzeugen – 54 978 Lastwagen, der Rest Pkw – erfüllen nach Angaben Hoffmanns 31 777 die Abgasnorm Euro 6. Diese ist die derzeit sauberste Lösung und seit 2015 bei der Erstzulassung eines Autos verpflichtend, weil sie strengere Emissionsgrenzwerte festlegt als die Schadstoffklasse Euro 5. Die übrigen Diesel verteilen sich wie folgt: 54 249 Schadstoffstufe Euro 5, 10 440 Stufe 4, 18 261 Stufe 3, 2257 Stufe 2, 357 Stufe 1 und 894 in der schlechtesten Klasse 0.

Von den 279 Bussen, die in Bonn zum 1. Januar zugelassen waren, gehören 194 Dieselbusse (114 Standard-, 80 Gelenkbusse) zur Linienflotte der Stadtwerke Bonn (SWB). Diese testen derzeit im Rahmen eines EU-Förderprojektes außerdem sechs Elektrobusse. Laut SWB-Sprecher Werner Schui fahren 64 Dieselbusse mit Euro-6-Norm, 95 erfüllen die Euro-5-Norm. Weitere 35 Busse mit niedrigerer Norm seien bereits mit Partikelfiltern nachgerüstet worden.

Zum Fuhrpark der städtischen Entsorgungsgesellschaft bonnorange gehören 141 Fahrzeuge, davon ein E-Wagen für die Innenstadt, 28 mit der Euro 6-Plakette und 59 mit Euro 5. Laut bonnorange haben 35 Gefährte Euro 4 oder schlechter, darunter Streufahrzeuge, die nur im Winter fahren. Die Euro 4-Wagen würde nach und nach ausgetauscht.

Die Stadtverwaltung hat 470 Fahrzeuge. Davon seien 313 dieselbetrieben, so Hoffmann. 103 von ihnen erfüllten die Abgasnorm Euro 6. (kri/csc)

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