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Kapazitäten bald erschöpftKommunen werden wieder mehr Flüchtlinge zugewiesen

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Schräg gegenüber der Turnhalle neben der Johann-Wallraf-Grundschule bauen Mitarbeiter eines Zeltunternehmens den Boden des zur Sammelunterkunft gehörenden Großzelts auf.

Rhein-Sieg-Kreis – Landkreise schlagen Alarm, sie können die steigende Zahl Flüchtlinge nicht mehr bewältigen, viele müssen auf Turnhallen zurückgreifen. Allein aus der Ukraine sind seit Beginn der russischen Invasion fast eine Million Menschen nach Deutschland geflüchtet, Schutzsuchende aus Afghanistan, Syrien, Iran und  Irak kommen noch dazu. Wie ist die Situation vor Ort? Jacqueline Rasch fragte nach.

Alfter

Steigende Zuweisungen bestätigt Maryla Günther, Büroleiterin des Alfterer  Bürgermeisters: „Derzeit werden der Gemeinde Alfter sehr viele Asylbewerber beziehungsweise Zufluchtsuchende in kurzer Zeit zugewiesen. Die Personen kommen aus vielen verschiedenen Ländern.“ Die Gemeinde habe nur noch  wenige freie Plätze, um die Menschen unterzubringen, die „absolute Kapazitätsgrenze ist bald erreicht“, so Günther. Dabei würden schon jetzt Zimmer mehrfach belegt. „Wir haben zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen, die genutzt werden. Aufgrund der aktuellen Situation können wir aber nicht absehen, wie sich die Zahlen entwickeln werden.“ In Turnhallen  wurden Schutzsuchende bisher nicht untergebracht: „Wie in der letzten Flüchtlingskrise auch werden wir zunächst alle Alternativen ausschöpfen, um die Turnhallen für den Sportbetrieb freizuhalten. Dies ist insbesondere mit Blick auf die Corona-Pandemie und die Auswirkungen auf die Kinder (Schulbetrieb und Vereine) sehr wichtig. Aus diesem Grund ist eine Belegung der Turnhallen derzeit nicht geplant.“

Bornheim

Auch die Stadt Bornheim tappt noch im Dunklen, wie viele Flüchtlinge der größten linksrheinischen Kreiskommune zugewiesen werden: „Die Bezirksregierung Arnsberg hat uns darüber informiert, dass damit zu rechnen ist, dass der Stadt nach den Herbstferien weitere Geflüchtete zugewiesen werden. Wie viele Menschen es sein werden und wo sie herkommen, ist noch nicht bekannt“, beantwortet Pressesprecher Christoph Lüttgen die Rundschau-Anfrage.  Aktuell sind 413 Menschen in 21 städtischen Unterkünften untergebracht. Auch Bornheim stößt an seine Grenzen: „Zu den städtischen Unterkünften zählen Containeranlagen, städtisches Eigentum und angemietete Wohnungen. Vereinzelt gibt es noch Plätze, aber die vorhandenen Kapazitäten in städtischen Unterkünften sind damit weitgehend ausgeschöpft.“

Die Stadt ist dabei, wieder die Turnhalle der Johann-Wallraf-Schule vorzubereiten; die Schulsporthalle war bereits ab 2015 Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge. Bis zu 120 Menschen können hier unterkommen. Was die Flüchtlinge aus der Ukraine angeht, ist laut Stadtverwaltung ein guter Teil der Menschen – rund 370 Personen  – nach wie vor privat untergebracht, etwa 120 Ukrainer  befinden sich in städtischen Unterkünften. All das bringt erhebliche Kosten mit sich: „Für das Jahr 2022 wurde mit einem Zuschussbedarf in Höhe von 2,2 Millionen Euro geplant. Im Zuge des Ukraine-Krieges und der  Menschen, die in Bornheim Zuflucht gesucht haben, hat der Stadtrat im Mai einen Mehrbedarf in Höhe von 730.000 Euro beschlossen. Dieser Mehrbedarf wird voraussichtlich durch die zu erwartenden Zuweisungen nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz und die Zahlungen aus Bundesmitteln  gedeckt“, so Lüttgen.

Meckenheim

Noch ein bisschen Luft bei der Unterbringung meldet Meckenheim: „Im Zuge der Ukraine-Krise wurde hier vorausschauend Vorsorge getroffen, so dass derzeit noch geringe Kapazitäten vorhanden sind“, eventuell müsse umverteilt werden, informiert der Erste Beigeordnete Hans Dieter Wirtz.  Das  eigens für Menschen aus der Ukraine  eingerichtete städtische Gebäude am  Neuen Markt  ist vollständig belegt, gut 150 Kriegsflüchtlinge  sind  noch  privat  untergebracht.  

Seit Februar 2022 sind rund 250 ukrainische Kriegsvertriebene nach Meckenheim gekommen, von denen aktuell noch rund 225 im Stadtgebiet leben. Weil  Ukrainer seit Sommer nur noch in bestimmten Fällen auf die sogenannte Erfüllungsquote, also die Zahl von Flüchtlingen, die eine Kommune aufnehmen müssen, angerechnet werden, werden Meckenheim seit einigen Wochen wieder  neue Flüchtlinge zugewiesen. Noch mit etwa 30 Personen sei zu rechnen, bei 360 Menschen sei die Quote zu 100 Prozent erfüllt. Wirtz: „Bei den Neuzuweisungen der letzten drei Wochen handelt es sich vorwiegend um männliche Einzelpersonen wie auch um vereinzelte Familien oder Frauen mit Kindern aus den unterschiedlichsten Nationen. Hier sind verstärkt Zuweisungen aus Ländern wie  Iran, Irak und Syrien sowie der Türkei erfolgt.“

Die Aufwendungen der Stadt allein für die ukrainischen Kriegsvertriebenen liegen bei 733.000 Euro, dem stehen rund 500.000 Euro Erträge aus Bundes- und Landesmitteln gegenüber. Wirtz: „Da es sich hier um eine Pflichtaufgabe  handelt, ist das Budget lediglich eine Plangröße und kein ,Deckel‘. Budgetüberschreitungen müssen durch Umschichtungen oder Einsparungen gedeckt werden.“

Turnhallen sind aus Meckenheimer Sicht keine Option: Hier sei  die Sondersituation nach der Flutkatastrophe in 2021 zu beachten, wonach vier Hallen für den Schul- und Vereinssport aktuell nicht nutzbar sind; es ist daher erklärtes Ziel, möglichst nicht auf Turnhallen zurückzugreifen, um hier die bereits eingeschränkten Ressourcen für Schulkinder und Sportvereine nicht weiter zu verknappen.

Rheinbach

Auch für die Stadt Rheinbach als Kommune, die von der Unwetterkatastrophe im Juli 2021 betroffen war, galten Sonderregeln. Bis Ende September dieses Jahres war sie  von Zuweisungen durch die Bezirksregierung Arnsberg befreit. „Selbstverständlich hat die Stadt Rheinbach Vertriebene aus dem Kriegsgebiet der Ukraine aufgenommen, die hier Schutz gesucht haben“, erklärt Fachgebietsleiter Norbert Sauren. Von den 334 Menschen sind  nicht alle in Rheinbach geblieben. Tatsächlich sind derzeit 258 Personen aus der Ukraine in Rheinbach untergebracht. Seit 1. Oktober werden der Stadt wieder Flüchtlinge zugewiesen. Aktuell liegt die Aufnahmeverpflichtung für Rheinbach bei zusätzlich 105 Personen. Sauren: „Grundsätzlich kommen in NRW die meisten Flüchtlinge neben der Ukraine weiterhin aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und der Türkei.“

Familien gesucht

Die Stadt Rheinbach sucht Gast- oder Pflegefamilien für  unbegleitete minderjährige Flüchtlinge,  überwiegend Jungen zwischen  13 bis 17 Jahren. Möglich sind Gastfamilien auf Zeit für einige Wochen bis wenige Monate oder Pflegefamilie auf Dauer, in der Regel bis zur Volljährigkeit.  Ansprechpartner   ist das  Jugendamt der Stadt Rheinbach, E-Mail an  asd@stadt-rheinbach.de. (jr)

Auch wenn derzeit zugewiesene Flüchtlinge noch untergebracht werden könnten, seien die Aufnahmekapazitäten begrenzt: „Insofern werden Überlegungen angestellt, wie der Bedarf durch weitere Anmietungen und gegebenenfalls eine Erweiterung der Containeranlage der Notunterkunft ,Schornbusch’ gedeckt werden kann.“ Die im Haushaltsplan eingeplante Belastung aus nicht gegenfinanzierten Landesmitteln beträgt 2,2 Millionen Euro. Es sei aber zu befürchten, dass die tatsächliche Belastung diesen Betrag übersteige.

Swisttal

„Als besonders betroffene Flutkommune stehen der Gemeinde Swisttal nur eingeschränkt Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung“, erklärt Pressesprecher Bernd Kreuer. Sowohl in Heimerzheim als auch in Odendorf und Ludendorf wurden in großem Umfang Unterkünfte von der Flut zerstört. Dadurch sind über die Hälfte der bisherigen Räumlichkeiten entfallen. Die dort untergebrachten Personen konnten in den noch intakten oder nur gering betroffenen Unterkünften, wozu auch Container gehören, untergebracht werden. Aber auch hier gilt: „Die bestehenden Kapazitäten sind somit nahezu ausgeschöpft.“ Hinzu komme durch die Flutbetroffenheit ein zusätzlicher Wohnungsengpass, da Flutbetroffene noch nicht in ihre Wohnungen zurückkehren konnten. Der Bezirksregierung Arnsberg als zuweisender Stelle wurde die Sondersituation der Gemeinde dargelegt und sie wurde um Berücksichtigung gebeten. „Im September wurde der Gemeinde die Zuweisung von 17 Personen angekündigt. Diese Personen können noch in den vorhandenen Einrichtungen untergebracht werden. Danach stehen keine Kapazitäten mehr zur Verfügung“, so Kreuer. Von den angekündigten Personen sind einige bereits eingetroffen, sie besitzen die türkische oder syrische Nationalität.

Im Doppelhaushalt sind für das Haushaltsjahr 2022 für die Versorgung  rund 670.000 Euro und für die Unterbringung 380.000 Euro veranschlagt, also insgesamt 1,05 Millionen Euro.

Wachtberg

Mehr Zuweisungen – „das trifft auch auf die Situation der Gemeinde Wachtberg zu“, bestätigt Pressesprecherin Margrit Märtens. „Aktuell treffen jede Woche neue Flüchtlinge ein, die zuvor in zentralen Landeserstaufnahmeeinrichtungen untergebracht waren und im Anschluss von der Bezirksregierung Arnsberg auf die Kommunen in Nordrhein-Westfalen verteilt werden.“ Derzeit hat Wachtberg 125 Flüchtlinge aus 23 Herkunftsländern in den  kommunalen Flüchtlingsunterkünften untergebracht. Hinzu kommen zirka 140 ukrainische Flüchtlinge, die privat bei Wachtberger Bürgern wohnen. Die Flüchtlinge, die in dieser und in den vergangenen Wochen in Wachtberg eingetroffen sind, kommen aus Syrien, Marokko, Guinea, Albanien und der Türkei. „Wenn die angekündigten Flüchtlinge in Wachtberg eingetroffen sind, werden die Kapazitäten unserer regulären Bestandsunterkünfte restlos erschöpft sein“, so Märtens. Daher habe die Gemeindeverwaltung kurzfristig eine zusätzliche Containeranlage angemietet, die voraussichtlich noch im Laufe dieser Woche neben einer bestehenden Flüchtlingsunterkunft in Berkum aufgebaut wird.

Darüber hinaus errichtet die Gemeinde aktuell einen Neubau in Modulbauweise am Gereonshof, ebenfalls in Berkum, der im Laufe des Januar 2023 bezugsfertig sein soll. Märtens: „Weiterhin wird in diesen Tagen mit großem Nachdruck an Plänen zur Erstellung eines weiteren Modulbaus gearbeitet, der dann möglicherweise im zweiten Quartal 2023 weitere Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge bieten und gewährleisten wird, so dass die Gemeinde Wachtberg ihre Aufnahmeverpflichtungen auch tatsächlich erfüllen kann.“ Im Bedarfsfall sollen auch Turnhallen für die Unterbringung von Flüchtlingen bereitstehen. Allerdings wird diese Möglichkeit tatsächlich nur als Notlösung vorgehalten, und es werden alle Anstrengungen unternommen, um diese für alle Beteiligten sehr belastende Situation zu vermeiden. Das Budget im aktuellen Haushaltsplan umfasst im Ergebnis rund 900.000 Euro, die die Gemeinde nach Abzug der Erträge und Erstattungen für die Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge aufbringt.

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