Katholiken aus Alfter und BornheimKritik am Sendungsraum im Vorgebirge

Lesezeit 5 Minuten
Sendungsraum Vorgebirge

Alfter/Bornheim – 18 Gemeinden, 18 Kirchen, 34 000 Katholiken – und nur ein leitender Pfarrer. Für Hans-Dieter Wirtz, der sich seit 1982 in vielen Gremien in der katholischen Kirche in Walberberg engagiert, klingt das wie ein Horrorszenario. „Wie soll denn ein einziger leitender Pfarrer allen Aufgaben gerecht werden, ohne dabei die Seelsorge gänzlich aus den Augen zu verlieren?“, fragt sich der 56-Jährige zum heutigen Start eines Sendungsraums im Vorgebirge. Die pastoralen Dienste dort bilden ab jetzt ein gemeinsames Team mit einem leitenden Pfarrer.

In Alfter und Bornheim weist das Erzbistum damit einen Weg, der 2030 auch in vielen anderen Gemeinden Wirklichkeit werden könnte: Die derzeit noch 535 Pfarreien in 180 Seelsorgebereichen sollen künftig aus 50 bis 60 Pfarreien und einer Vielzahl von Gemeinden bestehen. Das wurde am Wochenende aus Köln bekannt. Es ist damit nicht ausgeschlossen, dass in der Region auch Gemeinden in Swisttal, Rheinbach, Meckenheim und Wachtberg über die kommunalen Grenzen hinweg zusammengefasst werden.

Nicht nur Hans-Dieter Wirtz hegt nun die Befürchtung, dass mit dem neuen Sendungsraum der Anfang vom Ende der katholischen Kirchengemeinden vor Ort eingeläutet wird. Er sorgt sich, dass das christliche Gemeindeleben damit über kurz oder lang versandet, „zumal ja auf ausdrückliche Anordnung aus Köln auch der neue Sendungsraum priesterzentriert bleibt“. Diese Priesterzentriertheit kritisieren auch Benedikta Reckers (66) aus Bornheim und Kerstin Völker-Stenzel (57) aus Alfter.

Alles zum Thema Rainer Maria Woelki

Benedikta Reckers war über zehn Jahre im Bornheimer Pfarrgemeinderat aktiv, bevor sie nach Berlin zog und dort ehrenamtlich in einer kirchlichen Einrichtung Jugendliche betreute. Nach ihrer Rückkehr nach Bornheim leitet sie nun den Initiativkreis in der Pfarrgemeinde St. Servatius.

Kerstin Völker-Stenzel hat in Hersel Kindergottesdienst organisiert. Später war sie dort Katechetin für Kommunionkinder und Firmlinge. Aktuell ist sie im Pfarrausschuss in Hersel im Leiterteam des Sachausschusses „Miteinander Kirche (be)leben“ aktiv; sie lebt in Alfter. „Jetzt besteht die Chance, diese Priesterzentriertheit aufzugeben“, sagt Reckers und für Völker-Stenzel ist es „fünf vor zwölf. Wenn der Klerus seine Macht, Ignoranz und Arroganz nicht bald aufgibt, dann geht in der katholischen Kirche das Licht aus.“

Ein Seelsorgeteam  für alle Gemeinden

Ganz neu müsse jetzt darüber nachgedacht werden, wie das Gemeindeleben künftig aussehen kann. „Wer wird zum Beispiel mein Ansprechpartner?“, fragt sich Wirtz. Ganz gruselig findet er die Vorstellung, dass das Seelsorgeteam künftig gemeinsam für alle Pfarrgemeinden zuständig sind.

„Für die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen brauchen wir eine Bezugsperson in den Gemeinden“, bestätigt Reckers. „Eben einen Kümmerer, ein vertrautes Gesicht, eine Person, die mit den Gläubigen in Beziehung bleibt“, betont auch Völker-Stenzel. „Die Seelsorge ist doch das Herzstück der Kirchengemeinden“, so Wirtz weiter, das Prinzip „Jeder ist für jeden da“ funktioniere einfach nicht. Reckers findet sogar: „Wenn da keiner mehr ist, der vermittelt, dann werden meine Enkelkinder um die katholische Erziehung betrogen.“ Dabei müsse sich der Klerus deutlich vor Augen halten: „Wir Christen können sehr wohl ohne die Kirche glauben, aber die Kirche kann nicht ohne ihre Gläubigen sein.“

Wirtz bemängelt, dass die Kirche aus seiner Sicht „immer am falschen Ende“ spare. Der Walberberger hätte nach eigenem Bekunden kein Problem damit, auf ein Bistum zu verzichten, etwas anderes sei es, wenn am Ende Kirchen in seinem nächsten Wohnumfeld dem neuen Sendungsraum zum Opfer fielen. Auch wenn es möglich sei, in anderen Kirchen zum Gottesdienst zu gehen, schlage sein Herz doch für die Pfarrkirche St. Walburga und er wisse, dass es vielen anderen Katholiken mit ihrer Kirche vor Ort genauso gehe.

Frauen endlich zulassen

Um dem Mangel an Geistlichen entgegenzuwirken, findet er es zudem an der Zeit, auch Frauen in geistliche Ämter zuzulassen: „Zumindest ein Diakonat muss im 21. Jahrhundert möglich sein.“ Benedikta Reckers geht da deutlich einen Schritt weiter. Ihre Forderung lautet ganz klar: „Das Zölibat gehört abgeschafft und Frauen sollen in allen Ämtern zugelassen werden.“

Damit das christliche Leben in den Kirchengemeinden weiter gehe, müssten die Christen vor Ort noch viel mehr dazu aufgerufen werden, die Kirche vor Ort lebendig zu halten, findet Wirtz. Vorausgesetzt die Kirche lasse das zu, ist er vom Erfolg überzeugt. „Die Kirche insgesamt besteht schließlich aus getauften Männern und Frauen“, erklärt er, „bestünde sie ausschließlich aus geweihten Personen, wäre es ein wirklich armseliger Haufen“. Kerstin Völker-Stenzel würde sich darüber hinaus wünschen, dass die Kirche bodenständig bleibt und den Menschen mit allen Unterschiedlichkeiten vor Ort auf Augenhöhe begegnet.

„Wie soll die Kirche denn ohne Laien vor Ort funktionieren?“, fragen sich die Ehrenamtler. So wie die Arbeiten im neuen Sendungsraum aufgeteilt seien, hätten die Hauptvertreter der Kirche ja gar keine Möglichkeit mehr missionarisch auszustrahlen. „Wie Insolvenzverwaltern bleibt ihnen nur noch, den Dienstplan abzuarbeiten“, merkt Wirtz an.

Pfarrer Matthias Genster hatte jüngst betont, er habe sich vorgenommen, während seiner Zeit als leitender Pfarrer keinen Sakralraum zu schließen. „Und soweit wie möglich sollen auch künftig die Gottesdienste in der aktuell bekannten Regelung beibehalten werden“, versprach er. Allerdings hatte der Seelsorger auch den Priestermangel angesprochen: „Auf Dauer können wir ihn natürlich nicht wegdiskutieren. Die katholische Kirche steht da vor sehr großen Herausforderungen, doch zunächst geht es nur um eine neue Art der Zusammenarbeit.“ Das kirchliche Leben vor Ort werde sich nicht verschlechtern. Erzbischof Rainer Maria Woelki wünsche sich in Alfter und Bornheim eine dezentrale und partizipative Pastoral, „also eine miteinander sorgende Kirche, in der Getaufte und Gefirmte Verantwortung übernehmen“, so Genster.

Rundschau abonnieren