KirchennachtFreudensuche, Friedenswunsch

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Bonn – Am Himmel steht der Halbmond klar und hell und scheint auf die Punker, die am Kaiserplatz auf dem Pflaster sitzen und ihre Musikanlage auf extralaut gestellt haben. Er scheint auf die Mädelstruppe, die sich magentafarbene Plastikperücken der Marke „Telekom lässt grüßen“ aufgestülpt haben und im „Tacos“ in der Bonngasse Junggesellinnenabschied feiern. Er scheint auf die Wartenden an der Imbissbude „Engelteufel“ auf dem Marktplatz, die mit dem Spruch wirbt „himmlisch frisch, höllisch lecker“.

An diesem Abend aber ist vielen Besuchern der Bonner City der Himmel näher als die Hölle, denn der Mond sendet sein Licht auch auf die kleine Frau an der Tür zum Münster, die eine goldene Pappkrone auf dem Kopf trägt und mit einem strahlenden Lächeln Programmhefte der 6. Bonner Kirchennacht verteilt.

„Mit Feuer und Flamme“ heißt das pfingstliche Motto an 42 Veranstaltungsorten zwischen Mehlem und Buschdorf, zwischen Hardtberg und Beuel. Fast durchweg berichten die Gemeinden von gutem bis sehr gutem Besuch (siehe Kasten). „Dieser Termin hat sich bewährt“, erklärt Pfarrer Ernst Jochum, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK). Die ersten vier Kirchennächte fanden noch Ende November zum Auftakt des Advents statt. Der katholische Stadtdechant, Münsterpfarrer Wilfried Schumacher, hatte aber eine frühsommerliche Kirchennacht in Wien erlebt und danach den Anstoß zur Terminänderung gegeben.

Einstimmung durch Posaunenbläser

„Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit“ – mit diesem Lied des großen Kirchendichters Paul Gerhardt stimmen Posaunenbläser aus Bonn, Bornheim und Meckenheim auf die Veranstaltung ein, die just an dem Tag stattfindet, an dem sich in Frankreich Weltkriegsveteranen und Politiker versammeln, um der Landung der Alliierten in der Normandie vor 70 Jahren zu gedenken. Die Suche nach Freude, der Wunsch nach Frieden – wer sich auf diesen Abend einließ, konnte dieser urmenschlichen Sehnsucht gewahr werden.

Auf dem Schiff „Filia Rheni“ zum Beispiel, auf dem Joachim Gerhardt, Pressepfarrer des evangelischen Kirchenkreises Bonn, im Beisein von Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch und Superintendent Eckart Wüster die Kirchennacht eröffnet, erzählen Polizeibeamte im Gespräch mit den Polizeiseelsorgern Norbert Schmitz und Claudia Heinemann von den alltäglichen Gefahren bei ihren Einsätzen, zu denen sie oft auch um des lieben Friedens willen ausrücken.

Die Chance, bei gutem Wetter auch vor den Kirchen Menschen mit Programm anzusprechen, sei groß und könne sogar noch besser genutzt werden, zog Pfarrer Joachim Gerhardt, Mitorganisator der Kirchennacht, Bilanz. Besuchermagneten waren die Innenstadtkirchen rund um die Kreuzkirche und das Münster. Aber auch das Konzept, die Kirchennacht stadtweit zu feiern, sei aufgegangen, wie der rege Zulauf zum Beispiel zur „Afrikanischen Nacht“ in der Johanniskirche in Duisdorf oder zur ökumenischen „Jazzvesper“ der Pauluskirche in Friesdorf gezeigt habe.

300 Christen zogen zum Pfingstfeuer auf den Kreuzberg. In die Amerikanische Kirche in Plittersdorf kamen trotz des englischsprachigen Programms sehr viele gemeindefremde Besucher. Ein Ort der Stille war die Marienkirche in der Altstadt, die um 22 Uhr zum Gebet öffnete. (dbr)

Im Münster wird an diesem Abend der Krönung Friedrich III. zum deutschen König gedacht. Der Österreicher, nicht gerade ein Friedensfürst, hatte sich vor 700 Jahren, am 25. November 1314, in dem Stift zum Regenten ausrufen lassen. Acht Jahre hielt er sich an der Macht, dann wurde er in der Schlacht bei Mühldorf vernichtend geschlagen. Ein König und auch ein Kind Gottes: Der Diakon und Künstler Ralf Knoblauch hat zu diesem Thema Holzfiguren ausgestellt, alle mit einer goldenen Krone, die mal auf dem Kopf, mal auf dem Knie sitzt. Kinder sind eingeladen, sich spielerisch mit Friedrich III. zu beschäftigen; deswegen werden die Pappkronen verteilt, auch an die Dame an der Pforte. Münsterpfarrer Schumacher erinnert in einer Kirchenführung an das historische Ereignis von 1314. Eine Illumination des Künstlers Frank Berlebach taucht die Säulen und Bögen der Basilika in ein Licht aus dunklem Gold, während die letzten Sonnenstrahlen durch die Fenster den Weg nach innen finden. An Altären brennen Kerzen, Besucher knien davor im stillen Gebet, und Münsterkantor Markus Karas spielt dazu auf der großen Klais-Orgel .

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Der mächtige Töne dringen nach draußen in den Kreuzgang, einer Oase der Ruhe inmitten der quirligen Innenstadt. Stände mit Essens- und Getränkeangeboten sind aufgestellt worden: „Königlich speisen“ heißt die Einladung. Man isst und trinkt neben der Grabstätte der Münsterpfarrer. Auch das urchristlich: Den Toten nahe sein selbst beim Speisen.

In der Kreuzkirche nebenan, der großen evangelischen Stadtkirche, klettern die Besucher auf den Turm oder steigen hinab in den Bunker, der von der beklemmenden Atmosphäre eines Schutzraums aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt.

Über 100 Christen kommen zu einem „Gottesdienst für Unbedachte“ in die Namen-Jesu-Kirche, bei dem mit einem Kerzenritus an die Menschen erinnert wird, die meist ohne Angehörige und ohne Trauerfeier bestattet worden waren. Studenten der Alanus Hochschule in Alfter werden demnächst in der Bischofskirche der Altkatholiken links vom Eingang einen „Raum des Trostes“ einrichten für Angehörige der Toten, die in der Krypta beigesetzt worden sind.

Die Nacht ist fortgeschritten, als in der Kreuzkirche 800 Zuhörer zu einem Konzert mit der Klezmergruppe „Dance of Joy“, verstärkt um die Kantorei der Kirche unter der Leitung von Karin Freist-Wissing und Stefan Horz an der Orgel, zusammenfinden. „Eine späte Stunde zum Genießen“, freut sich ein Zuhörer.

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