Kostenloser ÖPNV in BonnZustimmung zur Idee, aber Skepsis bei der konkreten Umsetzung

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Bonn/Rhein-Sieg-Kreis – Es könne ja wohl nicht sein, meint Landrat Sebastian Schuster, dass Bürger des Rhein-Sieg-Kreises künftig ein Ticket für den Bus kaufen müssen, damit nur noch bis an die Bonner Stadtgrenze fahren können und dann umsteigen müssen, um ihre Tour kostenlos fortzusetzen. „Wir sind eine Region!“, betont Schuster mit Blick auf die überraschend bekanntgewordenen Pläne der Bundesregierung, Bonn zur Modellstadt zu machen und kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) anzubieten (Rundschau von gestern). Der Landrat ist überzeugt: „Das geht nur gemeinsam.“

Die Nachricht, dass Bonn nach den Vorstellungen Berlins eine der fünf Modellstädte werden soll, in denen Maßnahmen für eine bessere Luft getestet werden sollen, ist in der Region zwar grundsätzlich auf Zustimmung gestoßen. Es gibt aber auch skeptische Stimmen. Vor allem wenn es um die praktische Umsetzung geht.

Zu den von der Bundesregierung in einem Brief an die EU-Kommission genanten Vorhaben gehören ein kostenloser ÖPNV und Anreize für den Einsatz von Elektrofahrzeugen bei Taxis und den Fahrzeugflotten von Firmen und Behörden.

„Das geht nicht holterdiepolter“

„Bonn ist – wie sicher andere Kommunen auch – dankbar für jede Unterstützung, die ihr die Bundesregierung auf dem Weg zu besserer Luft gibt“, betonte Oberbürgermeister Ashok Sridharan. Neben den in dem Brief aufgeführten Maßnahmen könnte er sich vorstellen, dass auch der Ausbau von Radwegen gefördert werde. Außerdem hofft der OB auf eine Einbeziehung der Bahn, die zum Beispiel für eine Fortführung der Voreifelbahn bis nach Mehlem sorgen könnte. „Wir haben da sicher die eine oder andere Idee, die wir einbringen können, denn wir arbeiten ja schon länger an dem Thema“, so Sridharan, der nun eine Einladung der Bundesregierung zu Gesprächen erwartet, in denen die Umsetzung konkretisiert werden könnte.

Landrat Sebastian Schuster, dessen Kreis die Stadt Bonn nahezu komplett umschließt, betont allerdings die Bedeutung der interkommunalen Zusammenarbeit gerade beim Thema Verkehr. Man müsse sich zur Lösung der Verkehrsprobleme in der Region sicher „innovative Gedanken“ machen. „Aber man kann nicht isoliert auf Bonn sehen“, warnt Schuster. Insgesamt seien die Ideen des Bundes ein mittel- und langfristig umzusetzendes Ziel, zugleich komme ihm der Vorstoß in Brüssel aber wie ein „Schnellschuss“ und etwas „unausgegoren vor. Als Beispiel verweist Schuster auf die Stadtbahnlinie 66 (Bad Honnef – Bonn – Siegburg). Dort habe man zurzeit gar nicht die Kapazitäten für mehr Kunden. Für mehr Bahnen müsste investiert werden, längere Züge gingen nicht wegen der Länge der Bahnsteige.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bonner Stadtrat, Hardy Lohmeyer, und der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Rolf Beu, erklärten: „Ein kostenfreier Nahverkehr in Bonn wäre ein Quantensprung für eine nachhaltige Mobilität.“ Sichergestellt sein müsse unter anderem, dass die Bundesregierung als Verursacher sämtliche Kosten übernehme und auch massiv in Fuhrpark und Infrastruktur investiert werde. Und dass der kostenlose ÖPNV nicht an der Stadtgrenze enden dürfe. Ferner fordern Lohmeyer und Beu, dass neben den kommunalen Verkehrsunternehmen auch die Eisenbahnverkehrsunternehmen von Anfang an beteiligt werden.

„Das geht nicht holterdiepolter“, sagt ein Mann der Praxis, Michael Reinhardt, Geschäftsführer der Rhein-Sieg-Verkehrsgesellschaft (RSVG), über die Pläne für einen kostenlosen ÖPNV. Denn die Region ist verkehrstechnisch komplett vernetzt. Die RSVG, die im rechtsrheinischen Rhein-Sieg-Kreis unterwegs ist, fährt in Kooperation mit den Stadtwerken Bonn (SWB) und mit eigenen Linien auf dem Gebiet der Bundesstadt. Reinhardts Beispiel: Soll ein Bürger aus Hangelar (Rhein-Sieg-Kreis) als Buskunde anders behandelt werden als einer aus Vilich-Müldorf (Bonn) gleich nebenan? Man müsse bei diesem Thema die Region immer als Verbund sehen. Aber auch auf ganz praktische Fragen verweist der RSVG-Geschäftsführer: In Spitzenzeiten – also morgens und nachmittags – seien die Busse der RSVG schon jetzt voll ausgelastet. Man müsse auf einen kostenlosen ÖPV „technisch vorbereitet sein“, also in weitere Fahrzeuge investieren. Nur: Wer bezahlt? Derzeit habe die RSVG zudem viel Personal im Vertrieb und als Kontrolleure im Einsatz; diese Tätigkeiten fielen beim kostenlosen ÖPNV weg. Und schließlich müsse auch ein Missbrauch verhindert werden: Wenn es im Winter draußen kalt und im Bus warm sei und er womöglich noch Internet habe, dann werde das Fahrzeug schnell „zum Wohnzimmer“, fürchtet Reinhardt.

Grundsätzliche Zustimmung, aber auch Skepsis bei den Praktikern der RVK, die unter anderem im linksrheinischen Kreis fährt. „Ein derartiger Schritt hätte weitreichende Konsequenzen für die Verkehrsunternehmen, die sich derzeit im Schnitt zu 50 Prozent aus den Fahrgeldeinnahmen finanzieren“. teilte die RVK auf Anfrage mit. „Deshalb ist – auch im Sinne der Aufgabenträger, Städte und Gemeinden – zu klären, wie diese Einnahmen ausgeglichen werden. Zudem müssten Lösungen im Rahmen der Verkehrsverbünde gefunden werden.“ Gerade in den Ballungsräumen und bei der Bewältigung der Pendlerströme seien vielerorts die Kapazitätsgrenzen erreicht. „Ohne enorme Investitionen in Infrastruktur, Fahrzeuge und Personal wäre also der erhoffte starke Anstieg an Fahrgästen nicht zu bewältigen. Auch diese zusätzlichen Kosten müssten finanziert werden.“

Stimmen zu den Plänen

„Die Nutzung von Bus und Bahn zu stärken, ist die Chance unsere Verkehrsprobleme in den Griff zu bekommen“, meint Sebastian Hartmann. In Bonn einen kostenlosen Nahverkehr zu testen, sei „ein innovativer Schritt“, so der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der SPD Rhein-Sieg. Im Rheinland seien Kapazitätsgrenzen erreicht, so dass der umfassende Ausbau der Infrastruktur im öffentlichen Nahverkehr weiterhin Priorität haben müsse. „Weitere Investitionen müssen in innovative Ansätze wie Wassertaxen, Carpooling oder neue Busfahrstreifen fließen.“ Auch sollten kommunale Unternehmen gefördert werden, die vollständig auf E-Mobilität, Gas- oder Wasserstoff umstellten und Dieselbusse abschafften. In das Modellprojekt müssten aber auch die vielfältigen Pendelbeziehungen berücksichtigt werden.

Auch die Jusos Rhein-Sieg fordern, dass das Projekt von Beginn an nicht nur auf das Bonner Stadtgebiet beschränkt wird.

Der CDU-Landtagsabgeordnete Oliver Krauß, Mitglied im Verkehrsausschuss des Landtages und verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Kreistagsfraktion, betonte, „die Idee der Bundesregierung sollte ernsthaft geprüft und nicht direkt zerredet werden“ Allerdings werde auch in Bonn keine „Insellösung“ ohne das Umland funktionieren. Die Verkehrsbeziehungen gerade in der Region Bonn/Rhein-Sieg seien so eng miteinander verflochten, dass eine rein innerstädtische Lösung nicht realisierbar sei. Dafür müssten an vielen Stationen größere Park-und-Ride-Anlagen errichtet werden.

Busse und vor allem die Bahnen seien bereits heute in der Hauptverkehrszeit mehr als ausgelastet. Es seien erhebliche Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur und in den Fuhrpark nötig. Die Anzahl der Busse könne bedarfsgerecht erhöht werden, soweit die Straßeninfrastruktur das zulasse. Im Schienenverkehr müssten vor allem freie Trassen durch den Neubau von Schienen geschaffen werden. Schon heute sei etwa die linksrheinische Strecke zwischen Köln und Remagen völlig überlastet. Angesichts der chronischen Unterfinanzierung müsste der Bund sämtliche Kosten übernehmen, die mit der Einführung eines kostenlosen ÖPNV verbunden seien, fordert Krauß. (EB)

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