Opfer der FlutkatastropheDie namenlosen Toten aus dem Ahrtal

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Suchhunde

Die Rettungshundestaffel Bonn/Rhein-Sieg durchsucht das Umfeld eines verwüsteten Campingplatzes. 

Region – Der Tote, den Suchhund „Nkumba“ von Silke Baumblüht an einem Bach im Stadtgebiet von Bad Münstereifel aufspürte, wird ein Grab mit seinem Namen bekommen. Das wird nicht bei allen Opfern der verheerenden Flutkatastrophe möglich sein, die in der Nacht zum 15. Juli über die Region hereinbrach. Denn von den bislang 169 entdeckten Leichen sind noch 47 nicht identifiziert. 59 Menschen werden an der Ahr immer noch vermisst.

Gerichtsmediziner haben die Identität aller Toten aus den betroffenen Kommunen in Nordrhein-Westfalen klären können. Davon sind die Forensiker an der Ahr weit entfernt. In einer Halle am Nürburgring untersuchen die Ärzte die unbekannten Toten aus dem Ahrtal. Die Leitung obliegt hier, wie im gesamten rheinland-pfälzischen Katastrophengebiet, der ADD, der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier – die Regierungsbehörde für die einstigen Regierungsbezirke Koblenz und Trier.

Opfer sind bis zur Unkenntlichkeit entstellt

Die Schwierigkeit: An der Ahr sind viele Menschen von Fluten mitgerissen worden, in denen bereits Gebäudeteile und große Bäume schwammen. Die meisten Bäume haben durch die Gewalt des Wassers und Kollisionen mit Hindernissen keine Rinde mehr. Entsprechend entstellt sind auch die Leichen der Flutopfer – ein Anblick, der auch von erfahrenen Bestattern kaum zu ertragen ist, weshalb immer mehr Helfer psychologische Hilfen benötigen (siehe eigenen Bericht) . Zudem sind die Toten oft von Schlamm verkrustet. Für den Abgleich mit dem Zahnstatus fehlen durch die Katastrophe, die auch fast alle Zahnarztpraxen in den Dörfer entlang der Ahr traf, vielfach die Unterlagen.

Wo eine Wohnung mit aller Habe weggespült ist, fehlt auch jedes Vergleichsmaterial für eine DNA-Probe. Lediglich der Vergleich mit der DNA eines nahen Verwandten kann dann noch helfen. Weil solche Untersuchungen sehr langwierig sind, kann es durchaus sein, dass einige der bereits entdeckten Leichen zu den Namen auf der Vermisstenliste gehören und die Zahl der Toten nicht mehr stark steigt.

Viele Schicksale sind noch ungeklärt

Etliche Schicksale sind noch offen. Was wurde aus Marlies Jammels? Das Haus der pensionierten Biologielehrerin am Rande der Ahrweiler Altstadt ist mit Holzplanken verrammelt. Zu plündern gibt es nichts mehr. Die Räume sind von der Flut leergespült, Keller und Garten vergeblich nach der 74-Jährigen abgesucht worden. In den sozialen Netzwerken posten Angehörige Bilder der Seniorin, die mal am Rhein-Gymnasium in Sinzig unterrichtete und fröhlich an Mundartabenden teilnahm, Stammkundin in einer Bäckerei in Ahrweiler war. Doch es gibt bislang weder ein Lebenszeichen von ihr, noch Gewissheit durch den Fund ihrer Leiche.

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Silke und Sally  Baumblüth mit den Hunden Nkumba und Stüpp 

Üblicherweise bleiben die Namen der Vermissten der Öffentlichkeit verborgen. Denn die Vermisstensuche ist grundsätzlich Sache der Polizei. „Bei Vermissten ermitteln wir zuerst im privaten Umfeld, in der Nachbarschaft, in den sozialen Medien und prüfen, ob vielleicht jemand in Urlaub ist“, erklärt Friedhelm Georg, Sprecher der für den Ahrkreis zuständigen Polizei Koblenz. Dort im Präsidium wird die Vermisstensuche hauptsächlich per Computer im Internet organisiert. Alle möglichen Aufnahmestationen werden abgeklappert, auch bei Beherbergungsbetrieben. Zudem hat die Polizei eine eigene Suchhundestaffel, die speziell auf das Aufspüren von Leichen trainiert ist. „Solche Tiere haben wir auch per Hubschrauber an Einsatzorte gebracht“, sagte Georg. Und Verstärkung gab es von diversen Rettungshundestaffeln wie der aus Bonn/Rhein-Sieg um Silvia Wessels: „Unsere Hunde sind eigentlich darauf trainiert, lebende, verletzte oder verwirrte Menschen zu finden. Aber sie können, auch wenn es keine speziellen Leichensuchhunde sind, Tote aufspüren.“

Auch viele Tiere kamen in der Flut um

Doch Marlies Jammels war auch am Freitag noch verschwunden. Die Suchaktionen sind zwei Wochen nach der Flut selten geworden. Lediglich, wenn Trupps mit schweren Maschinen in einen neuen Abschnitt vordringen, um dort die gewaltigen Berge an Treibgut zu beseitigen, wird ab und an noch die Polizei verständigt, weil es nach Verwesung riecht. „Doch meist handelt es sich um Haustiere, Pferde oder Kühe“, sagt Georg.

Hundeführer suchen nach der Flutkatastrophe nahe der Ortschaft Rech an der Ahr nach Vermissten.

Hundeführer suchen nach der Flutkatastrophe nahe der Ortschaft Rech an der Ahr nach Vermissten.

Suchhund „Nkumba“ wartet indes auf seinen nächsten Einsatz. Der zehneinhalb Jahre alte Rüde von der Rettungshundestaffel Bonn/Rhein-Sieg lebt mit seiner Besitzerin in einem Höhenort des Kreises Ahrweiler und war auch gleich an den ersten Tagen mit elf anderen Hunden der Staffel im Sahrtal, einem Seitental der Ahr, unterwegs. Dort, entlang eines normalerweise schmalen Zulaufs der Ahr, hatten reißende Wasser den Campingplatz zwischen Kreuzberg und Kirchsahr verwüstet. Die Staffel suchte vorsichtshalber nach Opfern – ohne Ergebnis. Auch Silke Baumblüth und „Nkumba“ halfen bei dem Einsatz: „Wir machen das, seit ich ihn habe, also seit gut zehn Jahren“, sagt Silke Baumblüth, die viele Menschen kennen, weil sie in Alfter einen Kindergarten betreibt. Altersbedingt hat „Nkumba“ schon einen Nachfolger: den nun sechs Jahre alten Rüden „Stüpp“. Der hatte bei einem ungeplanten Sucheinsatz am Morgen nach der Flut die Leichen von gleich zwei Vermissten gefunden: Zuvor war die Hundeführerin in einer Bäckerei an einer Namenskarte in ihrem Portemonnaie erkannt worden und um Hilfe gebeten worden.

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Seit der Flutnacht war in dem Ort ein älterer Mann vermisst, der noch versucht hatte, seine Garage mit Sandsäcken zu sichern. „Ich habe zuerst ,Stüpp‘ eingesetzt. Er ist der filigranere, achtet mehr auf mich, da er ja ohne Leine laufen muss. Und an diesem Morgen war der Bach noch so reißend, dass er auf keinen Fall zum Wasser sollte.“ Bald hatte der Hund eine Leiche aufgespürt. Doch es war nicht der Gesuchte. Wie sich herausstellte, handelte es sich um einen Jäger, der von der Flut überrascht sein Fahrzeug verlassen haben soll. Später stürmte „Stüpp“ plötzlich aufs Wasser zu. „Ich habe ihn sofort gerufen, und er blieb stehen. Ich wusste sofort, dass er auf der anderen Seite des reißenden Baches etwas entdeckt hatte, denn mit der Zeit kann man sein Tier genau lesen.“ Nach dem Wechsel der Ufer kam dann „Nkumba“ zum Einsatz, der die Leiche des Gesuchten in nur drei Minuten fand und so eines der vielen noch ungewissen Schicksale aufklären konnte.

Hinweise zur Vermisstensuche an der Ahr nimmt die Polizei Koblenz, (0800) 6 56 56 51 entgegen.

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