Der „Ötzi“ von RheinbachArchäologen entdecken rund 4500 Jahre altes Skelett

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Ein Glücksfall für die Wissenschaftler: Ihnen ist in Rheinbach der wohl bedeutendste Fund eines Skeletts aus der Jungsteinzeit im Rheinland gelungen.

Ein Glücksfall für die Wissenschaftler: Ihnen ist in Rheinbach der wohl bedeutendste Fund eines Skeletts aus der Jungsteinzeit im Rheinland gelungen.

Rheinbach – Archäologen aus dem Rheinland ist in Rheinbach ein sensationeller Fund gelungen: Auf einem Feld unweit der Autobahn 61 haben sie ein menschliches Skelett entdeckt, dessen Alter auf mehr als 4500 Jahre geschätzt wird. Es soll das erste erhaltene Skelett im Rheinland aus der Zeit um 2800 bis 2200 vor Christus sein.

Ein Jahr lang wurde die Entdeckung geheim gehalten, um „Hobbyarchäologen“ vom wilden Buddeln abzuhalten, aber jetzt ist die aufsehenerregende Entdeckung ans Licht der Öffentlichkeit gekommen: In einem Blog auf der Internetseite des LVR Landesmuseums Bonn berichtet die wissenschaftlichen Volontärin Susanne Domke über die Bergung, die derzeit laufende Untersuchung und die geplante Restaurierung, denn im nächsten Jahr soll der Fund im Bonner Museum ausgestellt werden. Noch sind nicht alle Rätsel um „Acki vom Wolbersacker“ gelöst: Wer ist die Person aus der Kultur der Schnurkeramik und was erzählt sie uns von sich und ihrem Lebensraum?

Die Entdeckung

In Rheinbach fanden in den letzten Jahren immer wieder archäologische Ausgrabungen auf den Feldern am östlichen Stadtrand statt, die vor Jahren auch als neuer Firmensitz des Süßwarenherstellers Haribo im Gespräch waren. Nachdem die Stadt einen anderen Investor für die Erweiterung des Gewerbegebiets an der A 61 gefunden hatte (siehe Infokasten rechts), wurde das mehr als zehn Hektar großen Bauareal routinemäßig auf Kampfmittel aus dem Zweiten Weltkrieg überprüft und geologisch analysiert. Zudem erteilte das LVR-Amt für Bodendenkmalpflege die Auflage, das Areal archäologisch untersuchen zu lassen, denn schon im Winter 2004/2005 waren auf dem Wolbersacker und an vielen anderen Stellen im Rheinbacher Gewerbegebiet Siedlungsreste aus vergangener Zeit festgestellt worden.

Das Wirtschaftsprojekt

Einen zweistelligen Millionenbetrag hat die „DHL Supply Chain“, ein auf Logistik spezialisierte Geschäftsbereich der Deutschen Post DHL Group (Bonn), in ein neues Distributionszentrum im Rheinbacher Gewerbegebiet „Wolbersacker“ investiert. Kunde ist die Firma Eaton, ein weltweiter Anbieter für Energiemanagement-Lösungen. In direkter Nachbarschaft zur Autobahn 61 entstand im vergangenen Jahr ein 28 000 Quadratmeter großes Zentrallager aus drei imposanten Gebäudeteilen, von denen zwei jeweils zwölf Meter hoch und 11 000 Quadratmeter groß sind. Der dritte Teil stellt ein 16 Meter hohes Hochregallager mit 6000 Quadratmetern Grundfläche dar. Insgesamt stehen laut der Rheinbacher Wirtschaftsförderungsgesellschaft in dem neuen Industriegebiet „Wolbersacker“ rund 55 Hektar für großflächige Industrie- und Gewerbeansiedlungen zur Verfügung.

Das Areal wurde bislang überwiegend landwirtschaftlich genutzt. (Bir)

Auf dem Areal des heutigen Gewerbegebiets bestand wohl einst eine große Siedlung. In dem Suchabschnitt, in dem das jetzt entdeckte Grab lag, waren bis auf einen schon lange bekannten mittelalterlichen Weg aber zunächst keinerlei Befunde zutage getreten. Dem Archäologen Dr. Martin Heinen von der Frechener Grabungsfirma Arthemus GmbH, der schon viele Male herausragende Objekte entdeckte, wenn niemand mehr damit rechnete, fiel dann aber im Januar 2018 eine Stelle auf, an der er einen Fund vermutete. Er und sein Team legten ein Grab mit sterblichen Überresten frei. Die verstorbene Person, so ist in der hochspannenden Veröffentlichung des LVR nachzulesen, wurde in Hockstellung bestattet, das heißt seitlich liegend mit angewinkelten Beinen. Diese Bestattungsart sowie ein Becher und zwei Steinwerkzeuge als Grabbeigaben hätten schnell klargemacht, dass es sich um einen verstorbenen Menschen aus der Zeit der Schnurkeramik handeln muss.

Ein Glücksfall, so die Wissenschaftler, denn zum einen sind Hinterlassenschaften aus der Zeit der schnurkeramischen Bauern im Rheinland per se äußerst selten, zum anderen, so Domke, wurde hier erstmals aus dieser Zeit eine Bestattung mit Knochenerhaltung in den rheinischen Lössbörden entdeckt. Normalerweise vergehen Knochen nach wenigen Jahrhunderten in den im Rheinland vorkommenden sauren Lehmböden. Nur der Tatsache, dass das Grab bis knapp an die Grenze des tiefer liegenden kalkhaltigen Lösses eingetieft war, habe man die überraschend gute Überlieferung der Knochen zu verdanken. Gleichzeitig habe die Tiefe der Grabgrube dazu beigetragen, dass die Bestattung nicht dem Ackerbau zum Opfer gefallen ist.

Die Bonner Wissenschaftler sind deshalb sicher, dass sie alle Beigaben aus nichtorganischen Materialien erfasst haben. Ob dem Verstorbenen oder der Verstorbenen – noch wissen sie es nicht genau – darüber hinaus Objekte aus organischem Material für die Reise ins Jenseits mitgegeben wurden, lasse sich nicht beantworten. Wenn es sie gegeben habe, seien sie bis heute längst vergangen.

Die Bergung

Eine Bergung mit den dazugehörigen Transporten wird immer zur Herausforderung für alle Beteiligten. Organische Materialien, in diesem Fall mehr als 4500 Jahre alte Knochen, können sehr empfindlich auf Klimaveränderungen, Lichteinfall und Erschütterungen reagieren. Umso wichtiger war die fachgemäße Verpackung und Lagerung bis zur Konservierung. Das Grabungsteam von Dr. Martin Heinen folgte den Empfehlungen der Restauratoren und wendete ein mehrschichtiges Verpackungssystem an.

Regine Vogel, Restauratorin für organische Materialien im LVR-LandesMuseum, sei begeistert von der Arbeit des Grabungsteams gewesen. In dem Bericht wird sie mit den Worten zitiert: „So muss eine Verpackung aussehen! Die Knochen sind optimal stabilisiert und die einzelnen Schichten lassen sich wunderbar voneinander trennen.“ Der beschwerende Sand und die Gipsdecke hielten die Knochen an Ort und Stelle. Trennschichten aus Folie verhinderten, dass die Knochen damit in Verbindung kamen. Da der gesamte Block mit Stretchfolie fest umwickelt war, blieb die Feuchtigkeit im Block und verhinderte eine unkontrollierte Austrocknung.

Das Zeitalter

Namensgebend für die schnurkeramische Kultur, so schreibt Susanne Domke in ihrem Blog, sind linienförmige Gefäßverzierungen, die z.B. durch das Eindrücken von Schnüren in den feuchten Ton erzeugt wurden. Die Menschen der schnurkeramischen Zeit lebten zwischen 2800 und 2150 vor Christus und gehörten den Becherkulturen der Jungsteinzeit an. Sie waren sesshaft, betrieben Viehzucht und Ackerbau. Außerdem begannen sie mit Kupfer zu experimentieren und schufen damit die Grundlage der Metallverarbeitung. Damit stehe die schnurkeramische Kultur zeitlich an der Schwelle von der Steinzeit zur Bronzezeit, so der LVR. (r.)

Die erste Untersuchung

Nach der Zwischenlagerung im Kühlraum des Museums waren die Restauratoren gespannt auf den Zustand der Knochen. Sie öffneten die Verpackung und nahmen die Gipsdecke vorsichtig ab. Restauratoren, Vor- und Frühgeschichtler, Bodendenkmalpfleger und der Archäologie Heinen waren sich einig, dass dieser Fund einmalig für das Rheinland und das Knochenmaterial in vergleichsweise gutem Zustand ist. Deshalb vereinbarten sie weitere Untersuchungen, die Hinweise auf die verstorbene Person, ihre Lebensgewohnheiten und ihre Umgebung liefern können. Dr. Erich Claßen, Leiter der Außenstelle Overath des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege, empfahl zwei wissenschaftliche Methoden.

Isotonie und DNA

Eine anthropologische Untersuchung, so Domke, beschreibt und interpretiert biologische Merkmale wie die Knochenlänge oder den Zahnstand. Sie lässt Rückschlüsse auf Alter, Größe, Geschlecht, Gesundheitszustand und manchmal auch auf die Tätigkeiten und Essgewohnheiten der verstorbenen Person zu. Die Untersuchung der Isotopie könne Informationen zur Herkunft und zu den Aufenthaltsorten der verstorbenen Person liefern. Das Augenmerk gilt dabei dem Spurenelement Strontium, das über die Nahrung aufgenommen und in der Kindheit in den Zähnen und später in Knochen gespeichert wird. Spezialisten ist es so möglich, die Region zu bestimmen, in der ein Mensch seine ersten und letzten Lebensjahre verbracht hat.

Obwohl die rechte Hälfte des Schädels nicht mehr erhalten ist, tauchte bei der Freilegung ein Teil des Unterkiefers mit einigen Zähnen auf. Sogar zwei Backenzähne ließen sich finden. Überraschenderweise jedoch nicht im Kiefer, sondern in der Augenhöhle und rechts neben dem Schädel. Mit diesen Zähnen steigt die Chance, auch die DNA des Individuums untersuchen zu können.

Wie geht es weiter?

Begleitet von einem Anthropologen sind inzwischen diese Proben entnommen worden. Seine Sicht auf Knochen und Zähne soll im nächsten Teil des Blogs erläutert werden .

Nachzulesen ist der spannende Blog von Susanne Domke auf der Internetseite des LVR.

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