Heimathistoriker Peter MohrGräueltaten der Nazis im Rheinbacher Steinbruch erforscht

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Steinbruch

Der Rheinbacher Steinbruch „Stiefel“ 

Rheinbach – Mit bewundernswerter Beharrlichkeit stemmt sich Heimatforscher Peter Mohr seit Jahrzehnten dagegen, dass die Verbrechen, die von Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges in Rheinbach verübt wurden, in Vergessenheit geraten. So ist es unter anderem seiner Initiative zu verdanken, dass im Stadtpark die Erinnerungsstelen für drei erhängte Ukrainer errichtet und zudem 36 Stolpersteine für ermordete Rheinbacher Juden verlegt wurden. Gemeinsam mit seinem Heimatforscherkollegen Hans Orth widmet er sich einer Reihe weiterer Gräueltaten, die vor genau 80 Jahren im Steinbruch „Stiefel“ am Waldhotel verübt wurden.

Teil der Erinnerungskultur

Es handelt sich um die Erschießungen eines französischen Offiziers am 22. Oktober sowie zweier deutscher Soldaten am 24. Oktober 1941. „Wahrlich, es sind sehr traurige Ereignisse in der Vergangenheit unserer Stadt, die aber zweifelsfrei zur Erinnerungskultur gehören“, so Mohr. Deshalb wünscht er sich ebenso wie Orth, dass am Steinbruch „Stiefelsberg“ ein würdiges Zeichen des Erinnerns und Nachdenkens errichtet werde als eine weitere Station des „Rheinbacher Geschichtspfads“, den der Stadtrat 2013 beschlossen hatte. Das Mahnmal soll aus Spenden finanziert werden.

Bislang seien die Erschießungen nur wenigen Eingeweihten und auch denen nur vage bekannt, bedauert Mohr gegenüber der Rundschau: „Denn trotz zweier intensiver Partnerschaften mit Frankreich drohten sie – anfangs wohl durch bewusstes Verschweigen – völlig in Vergessenheit zu geraten.“ Deshalb hätten Orth und er beschlossen, ihre bisherigen Recherchen gemeinsam weiterzuführen und zu vervollständigen. Nun lägen die Belege für eine verlässliche Darstellung der Geschehnisse und Opferschicksale vor, die wir im Folgenden zusammenfassen.

Geschichte des Gefängnisses

Hans Orth beschäftigt sich auch mit dem Zuchthaus Rheinbach. Die heutige Justizvollzugsanstalt bestehe seit 1914 und habe mit der nationalsozialistischen Machtübernahme im Jahr 1933 eine nicht unwesentliche Funktion bei der Inhaftierung und Disziplinierung politischer Gefangener gehabt, sagt der Heimatforscher. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges sei diese Zweckbestimmung ausgedehnt und das Zuchthaus in großem Maße auch als Internierungsstätte für Kriegsgefangene, Deportierte und als Ort der Zwangsarbeit genutzt worden – alles verbunden mit zahlreichen Todesopfern. (jst)

Demnach wurde am 21. Oktober 1941 im Rheinbacher Steinbruch zunächst der französische Offizier Marius Cyrille Godefroy Tournel im Alter von 49 Jahren hingerichtet. Der verheiratete Vater eines Kindes stammte aus Aix-en-Provence und wohnte zuletzt mit seiner Familie in Meudon bei Paris. Der Chemieingenieur verfügt über mehrere Patente zu Verfahren und Apparaturen zur Pyrolyse von Zellulose und Zellulosekomplexen, die er 1936 und 1937 eintragen ließ. Er war Leutnant der Reserve und schloss sich nach der Kapitulation Frankreichs im August 1940 dem französischen Widerstand an. Den Ermittlungen zufolge hatte er kriegsrelevante Informationen aus der Bretagne, insbesondere über wichtige deutsche Treibstoffdepots, an die gaullistische Exilregierung in London übermittelt. Dabei soll er nach Auskunft des französischen Verteidigungsministeriums ein Treibstoffdepot in Moult verraten haben, das bombardiert und zerstört wurde. Viele deutsche Soldaten sollen dabei gestorben sein.

Am 17. August 1940 wurde Tournel im Zuge einer Verhaftungswelle durch die Staatspolizei festgesetzt und musste sich vor dem 1. Senat des Reichskriegsgerichts, dem obersten militärischen Gericht, wegen Spionage verantworten. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde Tournel am 17. März 1941 zum Tode verurteilt und Anfang September 1941 mit einem Sammeltransport von 77 Häftlingen nach Deutschland deportiert. Nach einem Zwischenaufenthalt in der Karlsruher Strafanstalt wurde er in das Rheinbacher Zwangsarbeitszuchthaus überstellt, das damals auch als Militärgefängnis der Wehrmacht diente. Ein von der Vichy-Regierung unterstütztes Gnadengesuch wurde abgelehnt, so wurde Tournel am 22. Oktober 1941 hingerichtet. Zuvor zelebrierte der damalige Leiter des Erzbischöflichen Theologenkonviktes in Bonn, Dr. Hans Daniels, im Zuchthaus noch eine Heilige Messe und versah Marius Tournel mit den kirchlichen Sterbesakramenten. Noch während des Krieges wurde ihm die Auszeichnung „gestorben für Frankreich“ verliehen. 1993 wurde er mit der Auszeichnung „gestorben in der Deportation“ geehrt und bekam posthum die französische Widerstandsmedaille.

Harte Strafe für angebliche Fahnenflucht

Wegen Fahnenflucht erschossen wurden am 24. Oktober 1941 die beiden 22-jährigen Wehrmachts-Deserteure Heinrich Bastians aus Bad Kreuznach und Hugo Heck aus Winningen an der Mosel. Den Nachforschungen Mohrs und Orths zufolge waren die beiden Infanteriesoldaten der Fahnenflucht bezichtigt worden, was besonders in Kriegszeiten sehr hart bestraft wurde. Die Todesstrafe, die von der Militärjustiz in der kriegführenden Wehrmacht in einer Art „vorauseilendem Gehorsam“ sehr oft verhängt wurde, hatte Adolf Hitler schon in seiner Schrift „Mein Kampf“ und später im März 1941 noch einmal zur kompromisslosen Regel erklärt: „Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben.“ Für Wehrmachtsangehörige war grundsätzlich die Erschießung als eine Art „ehrenhafter Exekution“ vorgesehen und wurde zu dieser Zeit auch praktiziert.

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Bis zum Tag der Vollstreckung waren die Delinquenten in der Rheinbacher Strafanstalt inhaftiert worden. War die Urteilsbestätigung erfolgt, dauerte es bis zur Hinrichtung meist nur noch wenige Tage. Allerdings war die Rheinbacher Anstalt für die Vollstreckung von Todesurteilen nicht ausgestattet, weshalb kurzerhand auf den ehemaligen Steinbruch zurückgegriffen wurde, der bereits Mitte des 19. Jahrhundert als „Schießbahn“ der Schützengesellschaft gedient hatte und sich im Eigentum der Stadt Rheinbach befand. Auf diesem Platz wurden die beiden Deserteure erschossen. Beide waren zum Zeitpunkt ihrer Hinrichtung 22 Jahre alt.

Schütze Heinrich Bastians, im Zivilberuf Huf- und Wagenschmied, gehörte dem bei der Mobilmachung im August 1939 in Koblenz aufgestellten Grenz-Infanterie-Ersatz-Bataillon 124 an. Der ebenfalls unverheiratete Schütze Hugo Heck, im Zivilberuf Arbeiter, diente beim Infanterie-Ersatz-Bataillon 483. Noch am Tag der Exekution wurden die Leichen der beiden Erschossenen auf dem Rheinbacher Sankt Martinfriedhof bestattet, am Tag darauf beurkundete Stadtoberinspektor Hubert Pfahl die Exekutionen.

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