LVR-LandesmuseumIn Bonn schreitet die Restaurierung des „Ötzi von Rheinbach“ voran

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Den Glockenbecher, der neben dem Skelett lag, untersucht Restauratorin Susanne Domke ganz genau.

Den Glockenbecher, der neben dem Skelett lag, untersucht Restauratorin Susanne Domke ganz genau.

Rheinbach – Der Archäologe Dr. Martin Heinen entdeckte im Januar 2018 auf dem Wolbersacker am Rande von Rheinbach ein Tausende Jahre altes Grab. Der Verstorbene – seither in der Bonner Rundschau, die als erstes über den sensationellen Fund berichtete, als „Ötzi von Rheinbach“ bezeichnet – war in Hockstellung bestattet, also seitlich liegend mit angewinkelten Beinen. Ein Glücksfall, denn laut Aussagen von Experten handelt es sich um das erste erhaltene Skelett im Rheinland aus der Zeit um 2500 bis 2050 von Christus, somit um einen Menschen der ausgehenden Jungsteinzeit.

„Männlich, um die 40 Jahre alt, circa 1,69 Meter groß, kräftige Statur und einige Zahnprobleme“, so beschreibt der Anthropologe und Archäologe Christian Meyer die Überreste. Der Fund wird derzeit im LVR-Landesmuseum Bonn restauriert und für eine Ausstellung, vermutlich ab 2022, präpariert. Den Stand der Dinge erläuterte Restauratorin Susanne Domke.

Glockenbecher Schicht für Schicht freigelegt

Sie hat auch den als Grabbeigabe gefundenen Glockenbecher näher untersucht und restauriert. „Denn obwohl die Röntgenbilder keine weiteren im Becher versteckten Grabbeigaben vermuten ließen, bringt erst die Entnahme der Erde wirkliche Gewissheit über das Innenleben des Bechers“, schreibt sie im sechsten Teil ihres Museumsblogs „Ein Block im Blog“. Schicht für Schicht hat sie den Becherinhalt freigelegt, was schwieriger war als gedacht: Die lehmhaltige Erde des Wolbersackers war in getrocknetem Zustand steinhart und musste zuerst mit Feuchtigkeit aufgeweicht werden. Die Keramik aber reagiere sehr empfindlich auf Wasser und sollte deshalb so wenig wie möglich damit in Berührung kommen.

Nachdem das Sediment also nur so viel wie nötig befeuchtet wurde, grub sich Domke mit dem Freilegungswerkzeug Zentimeter für Zentimeter tiefer in den Becher, ohne dabei weitere Objekte zu finden. Das Sediment jeder entnommenen Schicht wird in einzelnen Fundtüten dauerhaft aufbewahrt und kann in Zukunft analytisch ausgewertet werden. Denn auch das Sediment könne viele Informationen enthalten. „Darin enthaltene Pflanzenrückstände können analysiert werden und Hinweise auf die Pflanzenvielfalt der vergangenen Jahrtausende geben oder sogar über ein mögliches Mahl informieren, das dem Toten mit ins Jenseits gegeben wurde“, so die Restauratorin.

Der Zustand des Bechers sei erfreulicherweise so gut, dass er seine Form auch ohne den stützenden Sedimentkern halten und als zusammenhängendes Objekt konserviert werden könne. Dass sich Keramikbehältnisse dieses Alters in einem Stück erhalten, sei äußerst selten, freut sich Domke.

Nach der Reinigung der Oberfläche habe sie abblätternde Partien gefestigt und destabilisierende Risse mit einer der Keramik in Farbe und Textur ähnlichen Kittmasse geschlossen. Nur bei genauerem Hinschauen sieht man die nun geschlossenen Risse, aus dem gewöhnlichen Betrachter-Abstand wirkt er so, als wäre er erst vor Kurzem abgestellt worden.

Wie weit soll nun restauriert werden?

Die rotbraune Farbe des Glockenbechers stamme von Eisenverbindungen im Ton: Bei einem oxidierenden Brand unter sauerstoffreicher Atmosphäre wandeln sich Eisenverbindungen in Rost um und geben der Keramik ihren rotbraunen Charakter. Aber auch mit dem Skelett selbst beschäftigt sich die Restauratorin weiterhin. Nachdem die Konsolidierung der Knochen schon einen stabilen Zustand der Knochensubstanz herbeigeführt habe, gebe es immer noch fehlende Knochenelemente, aber auch Risse, Splitter und hohlliegende Bereiche, die konservatorisch versorgt sein wollen.

„Jetzt muss entschieden werden, wie weit man geht. Welche Fragmente werden wieder miteinander verbunden? Welche Bereiche werden ergänzt? Was kann bleiben wie es ist?“ Dabei orientiere sie sich an Grundsätzen, die in der „Charta von Venedig“ formuliert sind. Darin heißt es: „Die Restaurierung (…) findet dort ihre Grenze, wo die Hypothese beginnt“. Übertragen auf die Knochenergänzung bedeutet dies, dass zum Beispiel die rechte fehlende Schädelhälfte nicht rekonstruiert werden dürfe, da niemand wisse, wie sie ausgesehen hat. Dem Verstorbenen würde dies eine verfälschte Schädelform geben. Dagegen sei klar, wie das während der Untersuchung aus dem Schienbein entnommene Knochenstück ausgesehen hat. Diese Fehlstelle könne somit wieder geschlossen werden. Mit einer acrylgebundenen Ergänzungsmasse, die neben Marmormehl und Hohlglaskügelchen auch feines Holzmehl enthält, lasse sich die Textur des umliegenden Originalknochens sehr gut imitieren. Mit der Retusche verschwindet die Ergänzung schließlich fast – aber nur fast, denn es sei für zukünftige Restauratoren wichtig, auf einen Blick nachvollziehen zu können, wo Veränderungen vorgenommen und welche Materialien eingesetzt worden seien.

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Gemäß der Vorstellung „Das Runde muss in das Eckige“ gehe es nach der Konservierung weiter mit den präsentationstechnischen Maßnahmen, durch welche die Blockbergung wieder als Grab erfahrbar werden soll, so Domke. Da sie die Reihe von Skelettfunden, welche die Menschheitsgeschichte des Rheinlandes in der Dauerausstellung repräsentieren, ergänzen solle, orientiere sich das Präsentationskonzept an diesen Gräbern. Deshalb soll die aus Gewichtsgründen oval geborgene Grabstätte eine quaderförmige Grundform erhalten.

Nach mehr als einem Jahr folgt schließlich der schönste Teil jeder Restaurierung – die Abschlussarbeiten, die den Fund aus der Bearbeitungsphase herausheben und ihm sozusagen die Aura eines Grabes zurückgeben sollen. Dabei wird so getan, als läge das Bergungsobjekt noch am ursprünglichen Fundort. Für den Auftrag des Deckmörtels kam Entdecker Dr. Martin Heinen mit der Hauptzutat in die Werkstätten des LVR-Landesmuseums Bonn. Dort setzte er zwei volle Eimer Erde ab mit der Bemerkung: „Original vom Wolbersacker, damit das Ganze auch authentisch wird“.

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