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„Keine Entwarnung geben“Spezialist für Lungenversagen über Behandlung von Corona

Lesezeit 7 Minuten
Spezialist an der Uniklinik in Bonn für Lungenversagen und Beatmungskomplikationen: Professor Christian Putensen.

Spezialist an der Uniklinik in Bonn für Lungenversagen und Beatmungskomplikationen: Professor Christian Putensen.

  • Auf den Intensivstationen des Universitätsklinikums Bonn (UKB) werden zurzeit vor allem Patienten mit schweren Covid-19-Krankheitsverläufen behandelt.
  • Auch junge Menschen sind darunter. Vor wenigen Tagen starben zwei Männer im Alter zwischen 45 und 55 Jahren.
  • Mit dem Leiter der Operativen Intensivmedizin, Professor Christian Putensen, sprach Bernd Eyermann.

Bonn – Kommt es öfter vor, dass vergleichsweise junge Menschen im Zusammenhang mit Covid-19 sterben?

Professor Christian Putensen: Wir übernehmen jene Patienten mit sehr schwerem Covid-19-bedingtem Lungenversagen. Der Jüngste war 23 und auf der Intensivstation einer anderen Klinik mit einer konventionellen invasiven Beatmung nicht mehr therapierbar. Wir haben ihn mit einem extrakorporalen Gasaustauschverfahren (Ecmo) behandelt. Dabei wird dem Blut über eine künstliche Lunge Sauerstoff zugeführt und Kohlendioxid entnommen. Wir haben auch Patienten in den 30ern, 40ern, 50ern und 60ern. Es ist also nicht so, dass Covid-19 nur bei alten Patienten einen schweren Verlauf nehmen kann.

In welchem Alter sind die Menschen, die an dieser Lungenkrankheit sterben?

Hierzu gibt es aus der ersten Covid-19-Welle Daten von mehr als 10 000 deutschen Patienten, die an Covid-19 erkrankten. Von den bis zu 59-jährigen Patienten, die beatmet wurden, sind damals 28 Prozent gestorben. Von den 60- bis 70-Jährigen sind 45 Prozent gestorben und von den über 70-Jährigen mehr als 60 Prozent. Im Vergleich dazu: Bei den bis zu 59-Jährigen, die im Krankenhaus aufgenommen wurden, aber nicht beatmet werden mussten, betrug die Sterblichkeit weniger als ein Prozent. Was die zweite Welle angeht, haben wir den Eindruck, dass sie keine leichteren Verläufe hervorgebracht hat.

Wie viele Ihrer Covid-19-Patienten sind denn gestorben?

Bisher haben wir in der operativen Intensivmedizin des Uniklinikums 80 Patienten behandelt, die einen sehr schweren Covid-19-Krankheitsverlauf hatten, die also invasiv beatmet werden mussten und nicht mehr selbst atmen konnten, oder zusätzlich eine Lungenunterstützung mittels Ecmo benötigten. Von diesen Patienten aller Altersgruppen sind 48,8 Prozent verstorben.

Zur Person

Professor Christian Putensen (60) leitet seit 1997 die operative Intensivmedizin im UKB.

Er kam über Stationen an mehreren Universitätskliniken in die Klinik in die Bundesstadt und wohnt auch in Bonn.

Besonderer Schwerpunkt der intensivmedizinischen Tätigkeit von Putenberg an der Uniklinik in Bonn ist die Therapie von Patienten mit akutem Lungenversagen

und Beatmungskomplikationen. (ye)

Eine hohe Quote.

Man muss aber auch sehen, dass wir auf diese ganz besonders schweren Krankheitsverläufe spezialisiert sind und es unsere Aufgabe ist, dieses Maximalangebot in der Region vorzuhalten. Andere Krankenhäuser können solche Verfahren aufgrund des damit hohen personellen und apparativen Behandlungsaufwands nicht anbieten.

Woran sterben die Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen am häufigsten?

Die Mehrheit unserer Patienten leidet unter einer schweren Lungenfunktionsstörung und entwickelt nachfolgend ein Mehrfachorganversagen. Nahezu alle dieser Patienten mit sehr schweren Covid-19-Verläufen bekommen später auch zusätzlich bakterielle Infektionen und eine Sepsis. Dabei führen die körpereigenen Abwehrreaktionen gegen die Infektion zu einem nicht mehr lokal begrenzten Entzündungsgeschehen, wodurch die körpereigenen Gewebe und Organe geschädigt werden. Letztlich kommt es dann wieder zu einem Mehrfachorganversagen, das eine hohe Sterblichkeit aufweist.

Sie haben jetzt knapp ein Jahr Erfahrung. Können Sie die Patienten heute besser versorgen als zu Beginn der Pandemie?

Wir haben mehr über die Erkrankung gelernt, können die Therapieverfahren, also auch die Beatmung präziser einsetzen, aber spezifische Medikamente gegen Covid-19, sehen wir von Dexamethason ab, stehen ja weiterhin nicht zur Verfügung. Derzeit versucht man aber vermehrt auch Medikamente zu entwickeln, die einen schweren Krankheitsverlauf mit intensivmedizinischer Behandlung und Beatmung verhindern. Hierzu gehören auch die monoklonalen Antikörper gegen Strukturen des Sars-CoV-2-Virus. Diese sind derzeit noch nicht zugelassen, stehen aber bereits im UKB zur Verfügung und können bei leicht erkrankten Patienten mit hohem Risiko für einen schweren Verlauf eingesetzt werden. Diese wirken ähnlich einer passiven Impfung.

Zu Beginn der Krise haben Sie gesagt, Sie wollen die Patienten in Isolationszimmern sammeln, danach auf Stationen kohortieren, also ganze Stationen würden für Covid-19-Patienten reserviert. Wie war die Entwicklung?

Die Covid-19-Patienten ohne intensivmedizinischen Behandlungsbedarf wurden am UKB auf Covid-Stationen zusammengelegt. Auf den Intensivstationen haben wir das mit den Isolationszimmern bislang gut gemanagt bekommen. Wir dürfen ja nie vergessen, dass wir viele Patienten haben, die eine Intensivbehandlung aus anderen Gründen benötigen. Es gibt immer noch Schlaganfälle, Gehirnblutungen, verunfallte Patienten, Tumorpatienten oder andere schwere Krankheiten, die eine Intensivbehandlung erfordern.

Es ist oft von der hohen Belastung der Mediziner und Pflegekräfte die Rede. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Die Behandlung der Covid-19-Patienten ist sehr aufwendig und langwierig. Die Patienten müssen unter anderem regelmäßig abgesaugt und bronchoskopiert werden. Zudem werden sie auf dem Bauch gelagert, um die Beatmung zu verbessern. Dies alles unter sehr strikten Hygienemaßnahmen: Schutzkleidung, hochwertige Masken (FFP2 oder FFP3) und Augenschutzbrillen sind vorgeschrieben. Unsere Stationen sind ja auch sonst voll ausgelastet. In der Spitzenzeit hatten wir bis zu zwölf Ecmo-Patienten, deren Behandlung und Pflege extrem arbeitsintensiv ist, gleichzeitig zu behandeln. Das ist für das gesamte Intensivteam eine extreme Herausforderung und Belastung.

Wie lange sind die Patienten bei Ihnen?

Teilweise wochen- oder monatelang. Wir hatten schon Patienten, die acht Wochen mit Ecmo behandelt wurden. Im Laufe des letzten Jahres haben wir gelernt, dass sich der Zustand von Covid-19-Patienten auch nach mehreren Wochen an Ecmo noch verbessern kann. Bei anderen Formen der Lungenentzündung, zum Beispiel Influenza, also Grippe, erholen sich die Patienten üblicherweise schneller. Wenn jemand nach einem Monat nicht von Ecmo unabhängig war, dann galt dies früher als sehr schlechte Prognose. Wir haben da viel gelernt. Aber für diese Patienten ist es ein langer Weg zurück ins tägliche Leben.

Gibt es Ärzte oder Pflegefachkräfte, die sich bei Patienten mit dem Virus angesteckt haben?

Im Intensivbereich bisher noch nicht und damit bin ich sehr zufrieden. Es zeigt, dass wir nicht nur ausreichend Personal eingesetzt haben, sondern auch die Schutzmaßnahmen adäquat durchgeführt haben.

Wie ist die Auslastung der Intensivstationen mit Covid-19-Patienten bei Ihnen derzeit? Ist die Kapazitätsgrenze noch weit entfernt?

Gegenüber der Zeit um Weihnachten hat sich die Situation beruhigt. Wir können aber noch keine Entwarnung geben. Denn wir wissen nicht, wie sich die Lage im Zusammenhang mit den neuen Mutanten oder den Verhaltensweisen der Menschen – Stichwort AHA-Regeln – entwickeln wird.

Der Präsident der Intensiv- und Notfallmediziner (Divi), Gernot Marx, hat Sorge vor einer schweren dritten Welle geäußert und eine Verlängerung des bundesweiten Lockdowns zumindest bis Anfang April gefordert, um so mehr Zeit für Impfungene der einzelnen Risikogruppen zu haben. Danach solle langsam geöffnet werden. Wie sehen Sie die Situation mit Blick auf Bonn?

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In Bonn liegt derzeit der Anteil der Covid-19-Patienten an den Patienten auf den Intensivstationen der Kliniken momentan insgesamt bei elf bis zwölf Prozent. In ganz Nordrhein-Westfalen sind es rund zehn Prozent, in Rheinland-Pfalz dagegen neun. Dagegen in Hamburg und Brandenburg um 15, in Berlin sogar über 18 Prozent. Für uns wäre ein Anstieg derzeit weniger ein Problem, für andere Regionen in Deutschland allerdings schon. Wir befinden uns aber immer noch in einer dynamischen Situation, so dass sich die Situation auch in Bonn sehr rasch ändern kann.

Wie blicken Sie auf die Runde der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin?

Wenn wir uns noch einmal vor Augen führen, dass Sachsen im Januar große Probleme hatte, seine Patienten versorgen zu können, dann sehen wir, wie schwierig es werden kann. Man muss schon aufpassen, dass der Zuwachs an Patienten möglichst begrenzt gehalten wird. Wir behandeln ja jetzt immer noch Menschen, die während der zweiten Welle zu uns gekommen sind.

In einem Divi-Modell-Szenario ist von möglicherweise 25 000 Intensivpatienten im Mai die Rede. Das spräche gegen großflächige Öffnungen . . .

Dieses Divi-Modell-Szenario basiert auf einem mathematischen Modell – aber eine solche Entwicklung ist möglich. Die Politik muss natürlich auch immer die gesamtgesellschaftliche Situation beurteilen und zum Beispiel auch die wirtschaftlichen Probleme von einzelnen Branchen im Blick haben. Die Aufgabe der Intensivmediziner ist aber zu versuchen, Menschenleben zu retten.

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