Bonner CDUAuf der Suche nach den Wählern

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Bonn – In der Regel dauert es eine ganze Weile, bis sich eine posttraumatische Belastungsstörung Bahn bricht und auf diese Weise Heilung ermöglicht. Auch die Bonner CDU wird die quälende Erinnerung an die Kommunalwahl 2020 mutmaßlich noch viele Monate begleiten. Nun beginnt erst einmal die Suche nach der geeigneten Therapie.

Schock: Die Liste der Angstzustände, die für die Bonner Christdemokraten nachhallen dürften, ist lang: Das schlechteste Ergebnis bei einer Wahl zum Bonner Stadtrat in ihrer Geschichte zwingt die Fraktion, zehn ihrer bisher 27 Sitze zu räumen und sich zum dritten Mal seit 1994 in die Opposition zu begeben. Ashok Sridharan wurde nach nur einer Wahlperiode wieder aus dem Amt gewählt.

In nur 15 von 33 Wahlbezirken konnten die CDU-Kandidaten das Direktmandat für die Partei holen. Und in vermeintlich bürgerlich geprägten Stadtteilen wie Friesdorf (knapp 24 Prozent), Dottendorf (knapp 23 Prozent) oder Castell (knapp 22 Prozent) nähert sich die Union bedrohlich der 20-Prozent-Marke.

Zunehmend „grüne Themen“

Symptome für den schwächelnden Zustand der CDU gab es zuletzt in verschiedenen Varianten: Je öfter man Ashok Sridharan auf den letzten Metern des Wahlkampfs zuhörte, desto mehr waren es klassische „grüne“ Themen, mit denen das Stadtoberhaupt daherkam: Mehr Radwege, ein 365-Euro-Ticket für die ganze Region und die Rad- und Fußgängerbrücke gehörten plötzlich zu den Kernforderungen des Amtsinhabers. Fast konnte  man meinen, die Union stelle sich artig in die Schlange, um von der erwarteten großen grünen Torte auch ein Stückchen abzubekommen.

Als diese Torte am Abend des 13. September im übertragenen Sinne angeschnitten war und die Verlierer der CDU im „Midi“ auf dem Münsterplatz ihren Frust herunterspülten, arbeiteten die Grünen bereits an ihrem nächsten Coup: Statt sich dem Siegesrausch hinzugeben, kam man noch am Wahlabend zur Strategiesitzung zusammen, im Morgengrauen hingen völlig neue und hochprofessionelle Plakate mit dem entschlossenen Konterfei Katja Dörners und dem Postulat „Bonn braucht den Wechsel“. Bei der CDU erschöpfte sich die Strategie für die Stichwahl offenbar in lieblosen Wahlempfehlungen, die rasch auf die bestehenden Großplakate gekleistert wurden.

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Mögliche Ursachen: „Schonungslos“, „selbstkritisch“, „sorgfältig“, „zügig“ und „gründlich“, so lauten derzeit die gängigen Attribute, mit denen Verantwortliche in der CDU die Gründe für das Scheitern bei der Wahl erforschen wollen. Das klingt entschlossen, verlangt aber nach Inhalten. „Jedenfalls ist es zu billig, den Bundes- und Landestrend verantwortlich zu machen“, sagt immerhin Christoph Jansen, der sich als Vertreter der Jüngeren in der Partei der Verantwortung stellen will.

Dazu, so Jansen, gehörte auch die Aufarbeitung „hausgemachter Gründe“, womit auch die Form des Wahlkampfs gemeint sein dürfte. Man rede hier schließlich, so der 37-Jährige, „nicht über die erste überraschende Niederlage nach langer Siegesserie“. Dass auch die vielbeschworene „bürgerliche Mitte“ in Stadtteilen wie Rüngsdorf oder dem Villenviertel den Grünen den Vorzug gaben, muss die Christdemokraten besonders schmerzen.

„Die Leute haben ein Gefühl gewählt, nicht eine Partei“, meint Ex-Ratsherr Nikolaus Kircher, der sich diesmal nicht mehr zur Wahl stellte. Sein Ortsverband Plittersdorf lade einmal im Monat zum Bürgertreff.

Zu viele Negativassoziationen

„Von den Grünen war hier nichts zu sehen“, so Kircher und spricht damit indirekt ein Indiz dafür an, dass seiner Partei einfach zu viele Negativassoziationen ins Gehege kamen: Vom ewigen Hin und Her in der Bäderdebatte und beim Cityring, dem Chaos im Dienstleistungszentrum, Willfährigkeit gegenüber Investoren und den Residualkosten für „Urban Soul“ bis hin zur Melbbadbebauung und dem Baustellendrama in der Beethovenhalle kleben der CDU - so zumindest die Stimmungslage bei vielen Bürgern - die Problemthemen wie Kaugummis am Schuh, sodass ein langjähriger Bonner CDU-Mann zum frustrierten Ergebnis kommt: „Ashok Sridharan war als OB ein Geschenk für die CDU, und prompt haben wir es verspielt. Er hatte alles, was einen guten Oberbürgermeister ausmacht, bloß kein Programm für die Stichwahl“.

Süßes Gift der Koalition: „Nicht mit den Grünen streiten, die brauchen wir noch als Koalitionspartner“ - es ist erst wenige Wochen her, dass dieser Ausspruch in einer Fraktionsrunde der CDU fiel, wie ein Teilnehmer berichtet. Für ihn ist klar: „Wir haben uns zu lange am Nasenring durch die Manege führen lassen.“

Auch der Bonner Politikwissenschaftler Volker Kronenberg stellte noch am Wahlabend fest: „Die CDU wird sich nun fragen müssen, was die Koalition mit den Grünen und der FDP gebracht hat. Wo waren etwa die Großprojekte, mit denen man punkten konnte? Womit hätte man sich profilieren können? Warum konnten die Grünen die Lorbeeren für sich einsammeln? Nach meiner Beobachtung blieb die CDU in dieser Koalition eher blass.“

Mit diesem Eindruck steht der Dekan der Philosophischen Fakultät nicht allein: Man habe, etwa in Gestalt gemeinsamer Pressemitteilungen, „eine Partei gespielt“, so ein Beobachter. Die CDU sei es vor allem um Ruhe in der Koalition gegangen, während die Grünen konsequent und fleißig ihre eigenen Ziele verfolgt hätten.

Hoffnung für die Union

Therapie: Hier weckt Volker Kronenberg Hoffnung für die Union: Parteien, sagt er, seien lernfähig und könnten nach einer Krise auch wieder regenerieren. Ob Selbstmitleid zum Genesungsprozess beiträgt, muss die Partei selbst wissen, wenn Kreisvorsitzender Christos Katzidis in der aktuellen Mitgliederschrift schreibt, man erlebe „jetzt schon in den Stadtbezirken, wie sich teilweise Vierer-Bündnisse bilden, um CDU-Bezirksbürgermeister zu verhindern. Es hat sich ganz offensichtlich eine breite Front gegen uns formiert, die nicht nur Grün-Rot-Rot umfasst“.

Doch auch Katzidis sagt im Gespräch mit der Redaktion, die Partei müsse sich der Frage stellen, inwieweit die Wähler sie derzeit als Interessenvertretung ansähen. „Wir sollten dabei aber auch im Auge behalten: Was ist dabei wirklich beeinflussbar“, so der Landtagsabgeordnete. Dass man bei der Analyse nicht nur eine Projektgruppe einsetzen werde, ist für Katzidis ebenso klar wie die Integration der Parteibasis und die Nutzung externer Expertise.

Christoph Jansen plädiert dafür, das Thema grundsätzlich anzugehen. „Wir brauchen neue, partizipatorische Ansätze und müssen uns fragen, wie wir künftig Wahlkämpfe führen. Ich sehe da großen Änderungsbedarf“, sagt er. Mindestens ebenso wichtig ist seiner Ansicht nach neben allen Erkenntnissen aber noch etwas anderes: „Es darf jetzt nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben.“

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