Flut und CoronaEinzelhandel in Heimerzheim gibt trotz Rückschlägen nicht auf

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

Einen der Container am Fronhof nutzt Nina Rohloff für ihren Geschäftsstart. 

Swisttal – Das Interesse der von der Flut betroffenen Swisttaler Gewerbetreibenden an einer Informationsveranstaltung des Einzelhandelsverbandes Bonn-Rhein-Sieg zum Thema: „Flut und Corona-Pandemie – Herausforderungen und Chancen für den Swisttaler Einzelhandel“ war sehr verhalten. Lediglich zwei Geschäftsinhaberinnen nahmen an der Videokonferenzunter der Leitung des Einzelhandelsverbands-Vorsitzenden Jannis Vassiliou teil. Mit dabei waren Ursula Thiel, Leiterin der Stabsstelle Wiederaufbau des Kreises, Regina Rosenstock, die bei der IHK Bonn-Rhein-Sieg für die Fluthilfe-Entschädigungen der Unternehmen zuständig ist, und Swisttals Wirtschaftsförderer Martin Koenen.

Einzelhandel in Heimerzheim: Lage ist prekär

Auch Bürgermeisterin Petra Kalkbrenner (CDU) und die beiden Ratsfrauen Hannelore Kirleis (CDU) und Sabine Riedl (Grüne) nahmen teil. „Der Einzelhandel ist uns überaus wichtig, denn er ist die Lebensader in den Ortskernen und Magnet für Besucher“, erklärte Kalkbrenner. Es sei schon vor der Flut eine Herausforderung gewesen, die Ortskerne attraktiv zu halten, das habe sich nun noch einmal deutlich erschwert. „Hut ab vor allen, die weitermachen!“ Zu allem Überfluss seien auch die allermeisten Einzelhändler auch privat von der Flut betroffen gewesen und somit doppelt geschädigt, wusste die Bürgermeisterin.

Sabine Riedl ergänzte, dass die Einzelhandelsgeschäfte in den Ortschaften auch wichtige Kommunikationspunkte für die Bürger und somit ein elementarer Bestandteil des Gemeindelebens seien. 

„Nach wie vor ist die jetzige Zeit sehr herausfordernd und teils auch ungewiss“, bemerkte Jannis Vassiliou. Die Flut habe alles geändert. Auch die  Corona-Pandemie habe dem Einzelhandel schwer zugesetzt. Zwar gebe es nun eine Perspektive für Lockerungen, dennoch bleibe die wirtschaftliche Lage des Einzelhandels prekär. „Es gilt nun, gemeinsam Schritte in die Normalität zu machen“, forderte er.

Digitalisierung als Chance sehen

Dabei sei bekannt, dass die Verödung der Ortskerne schon seit Jahren eine zunehmende Gefahr für den Handel darstelle. Die Corona-Pandemie sei ein Katalysator für derartige Prozesse, die Flutkatastrophe könne diese Entwicklung noch beschleunigen. „Aus diesen Gründen muss dringend etwas getan werden“, so der Vorsitzende. Sich zu vernetzen und in Zusammenarbeit Probleme zu lösen sei von größter Bedeutung.

Für Swisttal sei aktuell der Wiederaufbau das größte Thema, fast ebenso wichtig sei aber auch die Digitalisierung. Durch Flut und Pandemie sei vielen Unternehmen  die Kundenansprache und  -bindung schwergefallen. „Hier eröffnet die Digitalisierung wichtige Möglichkeiten, um in Kontakt zu bleiben“, wusste Vassiliou: „Die Digitalisierung ist eine Chance, die es jetzt zu nutzen gilt. Ohne sie wird der Einzelhandel in Zukunft nicht mehr funktionieren.“

Geschäftsleute haben Frust

Für die beiden Einzelhändlerinnen Ina Krämer, die ein Sportgeschäft in Heimerzheim betrieb, und Regina Rothkopf, die am Fronhof in Heimerzheim einen Direktvermarktungsladen für ihren landwirtschaftlichen Betrieb in Dom-Esch hatte, sind indes die Regeln für die Zahlungen aus den Wiederaufbaufonds das alles überlagernde Problem.

Sie berichten, dass für zerstörtes Inventar und ruinierte Gerätschaften nur der Zeitwert ersetzt wird und nicht – wie bei Privatpersonen – der Wiederbeschaffungswert. Dadurch seien steuerlich abgeschriebene Objekte, die wichtig für die Produktion seien, praktisch wertlos und würden nicht ersetzt. „Die Vorgaben sind einfach falsch, da muss eine Lösung gefunden werden“, war Vassiliou fassungslos.

Hier solle auf eine Änderung im NRW-Katastrophenschutzerlass hingewirkt werden, in dem dies so vorgeschrieben wird. Weil auch die Versicherung nur einen Teilbetrag ersetzte und Ina Krämer am Schluss auch noch den Gutachter selbst bezahlen musste, weil die NRW-Bank ihren Förderantrag ablehnte, „hatte ich die Faxen dicke und habe das Geschäft zum 28. Dezember abgemeldet.“ Aufgeben war für sie jedoch keine Option: Im April möchte sie ein neues Sportgeschäft in Heimerzheim eröffnen.

Regina Rothkopf ist ebenfalls frustriert und sieht ihre Hoffnung auf eine Wiedereröffnung jeden Tag ein bisschen mehr schwinden. Zumal der Vermieter wenig Anstalten mache, die Geschäftsräume wieder in Ordnung zu bringen. „Der Wiederaufbau geht überhaupt nicht voran“, schüttelt die Landwirtin den Kopf. Anscheinend konzentriere der Vermieter seine ganze Energie auf ein anderes Objekt.

Auch die Container-Ladenzeile auf dem Fronhof in Heimerzheim sieht sie kritisch: „Da macht jeder sein Ding mit völlig unterschiedlichen Öffnungszeiten.“ Das schreckt laut Rothkopf  die Kunden ab, weil sie nie wissen, wer gerade geöffnet hat und wer nicht. Sie wünscht sich künftig eine bessere Zusammenarbeit und gemeinsame Öffnungszeiten. Dafür soll sich  Wirtschaftsförderer Martin Koenen einsetzen. Bürgermeisterin Kalkbrenner will zudem dem Vermieter persönlich ins Gewissen reden. 

Container als Chance

Für andere sind die Container, die die Gemeinde ohne Mietkosten zur Verfügung stellt, eine große Chance – zum Beispiel für Nina Rohloff. Die Heilpraktikerin und Ernährungsberaterin für Hund, Katze und Pferd lebt mit ihrem Mann, zwei Kindern im Alter von elf und neun sowie zwei eigenen Katzen und einem Hund in Heimerzheim. Auch sie ist privat von der Flut betroffen, das Wasser stieg bis kniehoch ins Erdgeschoss. Parallel zum Wiederaufbau eröffnete sie Mitte Januar  in einem Container ihr „Swistmäulchen“, ein Geschäft für Naturheilkunde und Tierbedarf und -nahrung ohne Konservierungsstoffe.

Das könnte Sie auch interessieren:

Zuvor arbeitete sie nur mobil, fuhr zu den Kunden und ihren Patienten, zu denen viele Hunde mit Allergien gehören. Immer wieder kam in Gesprächen die Idee auf, einen Laden mit einer Praxis zu eröffnen. „Aber das macht man ja nicht einfach so, da steckt viel dahinter“, so Rohoff. Die Container am Fronhof boten ihr dann die Möglichkeit, mit geringen finanziellem Risiko zu testen, ob sie mit ihrem Geschäft im Ort Fuß fassen kann. „Es wird super angenommen. Immer wieder werde ich gefragt, ob ich nach dem Container in ein Ladenlokal ziehe“, berichtet die 32-Jährige.

Auch die anderen Geschäftsleute haben sie gut aufgenommen: Fahrschulbesitzer Wilfried Rang hat den Kontakt vermittelt, mit der Schneider gegenüber kooperiert sie bereits – die selbstgenähten Hundeanhänger liegen bei Nina Rohloff aus. Aktuell schaut sie sich um, ob sie in Zukunft in eigene Geschäftsräume zieht, wo sie ihren Laden und ihre Praxis kombinieren kann.

Provisorium bis Mai

Wie lange die improvisierte Ladenzeile bleibt, steht noch nicht endgültig fest. Wirtschaftsförderer Koenen steht bei dem Projekt in engem Austausch mit den Gewerbetreibenden. Laut Verwaltung ist vorgesehen,  sie je nach Fortschritt des Wiederaufbaus  bis voraussichtlich Ende April/Ende Mai zur Verfügung zu stellen. Koenen und die Gemeinde sehen das Modell des „Swistmäulchens“ ebenfalls als Chance, den Ortskern zusätzlich zu beleben: „Es bestand von Anfang die Idee, freiwerdende Container auch anderen interessierten Betrieben zur Nutzung zu überlassen.“ Da einige Betriebe bereits wieder in ihre Räumlichkeiten zurückkehrten, wurden neue Räume für weitere Geschäftsleute frei.

Rundschau abonnieren