Wegen Corona-PandemieWaldbesuche im Kottenforst mehr als verdoppelt

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Wissenschaftliche Untersuchung im Kottenforst: Laura Meichsner fragt bei Udo (82) und Helma (76) Fleischhauer aus Rheinbach Wissen und Wünsche ab.

Wissenschaftliche Untersuchung im Kottenforst: Laura Meichsner fragt bei Udo (82) und Helma (76) Fleischhauer aus Rheinbach Wissen und Wünsche ab.

Die einen sind froh, die anderen entsetzt. Eine wissenschaftliche Besucherzählung und -befragung im Kottenforst dokumentiert derzeit, wie sich die Corona-Pandemie auf die Nutzung des Kottenforsts auswirkt – ein Nebenprodukt des ursprünglichen Forschungsvorhabens. Und schon jetzt wissen Förster und Wissenschaftler, dass der Wald in den Tagen des strikten Lock-Downs, während dem viele Menschen nicht zur üblichen Arbeitsstätte mussten, beinahe von Spaziergängern überrannt und von Radfahrern überrollt worden ist. 140 Prozent mehr Besucher an der Zählstelle. Das ist deutlich – und absoluter Rekord.

Skruppellose Radfahrer und unvorsichtige Spaziergänger

Revierförster Wolfgang Bongardt schildert zudem atemberaubende Szenen von skrupellosen Radrennfahrern und völlig unverständigen Spaziergängern: „Es gab einen Fall, da sind Waldbesucher unter einem Ladekran mit Holzstämmen hergegangen. Es war dramatisch, ging aber glimpflich aus. Der Kranführer weigert sich aber seitdem, noch einmal im Kottenforst zu arbeiten.“ Jugendliche, die trotz Waldbrandgefahr ein Lagerfeuer entfachten, Raucher und Menschen die ausgiebig bei Abholzungen nachfragen, sind ein Horror für den Beamten: „Das raubt uns die Zeit, und die Fragen zeigen, dass die Menschen einfach nicht erkennen, wenn im Bestand schon alle Bäume tot sind.“

Urbane Waldnutzung

Vor Corona hatte der Kottenforst vor allem an den Wochenenden Besuch – zwischen 6 und 21 Uhr. Allerdings gab es an allen Wochentagen zwischen 5 und 9 sowie zwischen 16 und 19 Uhr auffällige Spitzen. Die Forscher erklären sich das mit Berufspendlern, die den Wald per Fahrrad durchqueren, und den Besuchern, die noch schnell vor der Arbeit oder danach ihren Hund ausführen. 292 Menschen wurden innerhalb mehrerer Monate, bis Januar 2020, befragt. Am Annaberger Feld gibt es eine Zählstelle mit einer Besuchererfassung via Infrarot. Hauptsächlich kamen die Besucher aus den umliegenden Orten.

Nach Corona ließen die Wissenschaftler die Zählstelle weiterlaufen und setzten die Befragung fort. Die Besucherzahl legte um 140 Prozent zu. Plötzlich gab es keinen Unterschied mehr zu den hohen Besucherzahlen vom Wochenende. Der Tagesrekord an der Zählstelle lag bei 1250 Besuchern, der Durchschnitt zuvor bei 250, der vormalige Spitzenwert bei 550. Außerdem verdoppelte sich die Menge an Müll, die Menschen in den Wald kippten (wie in Walberberg) statt darauf zu warten, dass die Annahmestellen wieder öffnen würden.

änderten sich: Seit Corona kommen nicht mehr hauptsächlich über 40-Jährige, sondern viele junge Menschen und vor allem Familien mit Kindern in den Kottenforst. Und sie kommen inzwischen auch aus Köln, Düsseldorf und sogar vom Niederrhein. Allerdings liegen die Tageshöchstwerte erst am Nachmittag. (mfr)

Die Trockenheit und „Milliarden von Borkenkäfern“ haben laut Forstamts-Chef Uwe Schölmerich seit 2018 etwa 100 000 Bäume absterben lassen: „Wir haben aber erst die Hälfte des Holzes aus dem Wald abfahren können. Rund 90 000 Festmeter liegen dort noch.“ Ein Festmeter sei ungefähr so viel Holz wie eine mittelgroße Fichte ergebe. Buchen, so Schölmerich, stürben zudem von der Krone aus: „Das sehen die Leute nicht und erkennen auch nicht die Gefahr, dass ihnen solch ein Ast auf den Kopf fallen und sie dann tot sein könnten.“

Und noch eins ärgert die Förster – und sicherlich auch die Jäger: „Vom Weg abweichende Besucher und freilaufende Hunde stören vor allem gerade jetzt in der Setz- und Brutzeit“, sagt Bongardt, also wenn das Wild gerade Nachwuchs bekommt.

Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Nutzung und Freizeit

Die Erkenntnisse der Befragung werden sicherlich auch Ansätze für die Vermittlung zwischen professioneller Waldnutzung und Freizeitbesuchern liefern. Genau darauf freut sich Georg Winkel, der Chef der Bonner Niederlassung des Europäischen Forstinstituts EFI: „Es ist ein positiver Effekt, dass Leute in den Wald gehen. Und wir haben nun durch die Befragung die Bestätigung, dass die Menschen aus dem urbanen Umfeld im Wald Ruhe, Erholung und eine Auszeit vom Beruf suchen.“ Der Diplom-Biologe Klaus Striepen, Leiter des „Life+“-Naturschutzprojekts „Villewälder – Wald und Wasserwelten“, will die kompletten Befragungsergebnisse erst nach genauerer Auswertung vorstellen. Life+ hatte das Projekt initiiert und das Regionalforstamt Rhein-Sieg-Erft sowie die Biologische Station Bonn/Rhein-Erft zu Kooperationspartnern gemacht. „Wir wollen zunächst wissen, ob die Menschen in der Region von Naturschutzmaßnahmen profitieren und benötigen darum Zahlen, wieviele Menschen den Wald benutzen, warum sie das tun, ob sie das Projekt kennen und was sie davon halten“, so Striepen.

Weitere Messstellen im Wald gewünscht

Der Belgier Jakob Derks, ein Forscher am EFI, nahm die Datenerhebung in die Hand und ergänzte den Fragenkatalog, als die Corona-Pandemie unerwartet weitere Erkenntnisse versprach. Derks: „Es wäre gut, noch mehr Messstellen im Wald zu haben. So können wir nur vermuten, dass viele Tausend Menschen täglich den Kottenforst besuchen.“

Diesen Donnerstag sprach Laura Meichsner mit Waldbesuchern. Trotz ihrer Jacke in grellen Farben musste sie aufpassen, weil Radfahrer ungeachtet der Menschen auf den Wegen am Jägerhäuschen vorbeipreschten. Aber im Ehepaar Fleischhauer aus Rheinbach fand sie ruhige Gesprächspartner: „Wegen der Erholung und der Natur kommen wir her“, sagte Helma Fleischhauer. „Und wegen des Kurfürsten“, ergänzte ihr Mann in Anspielung auf die Geschichte des Kottenforsts als Jagdrevier der Mächtigen. Jeden Tag touren die beiden Senioren mit ihren Rädern bis Friesdorf oder Godesberg. „Wir sind Naturmenschen, und wenn wir Essen mitbringen, erhitzen wir es nicht im Wald, wo es ein Feuer geben könnte“, sagt Er. Sie beantwortet derweil weiter die Fragen von Meichsner und gibt ihr Verständnis für Holzwirtschaft zu erkennen. Solch ein Waldverständnis wünschen sich die Förster von allen Besuchern.

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