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Heimat-CheckGeschichte, Gegenwart und Zukunft in Bergisch Gladbach

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Bergisch Gladbach – Geographisch reitet Bergisch Gladbach auf der Abbruchkante des Mittelgebirges zu den Rheinterrassen, die der durch die spärlich bewachsene Zwergstrauchsteppe der Eiszeit mäandernde Strom hinterlassen hat: Der stark besiedelte Westteil der elftkleinsten von 81 bundesdeutschen Großstädten liegt auf der Hauptterrasse, Teile von Schildgen, Paffrath, Hand, Gronau und Refrath auch auf der jüngeren Mittelterrasse, die einst von Mooren, Kiefernwäldern und Sanddünen geprägt war.

Der Boden ist hier flach aber der Untergrund tückisch, wie viele Bauherren feststellen mussten: Kalkfelsen, Braunkohle und Sandlinsen zeugen von lebhafter geologischer Gestaltung. Der Osten der Kreisstadt liegt eine Etage höher auf dem Bergischen Höhenrand, mit phänomenaler Fernsicht von der Kante aus und sehr unruhiger Topografie: rechts und links der Höhenstraßen, die von Köln kommend nach Westfalen streben, geht es über steile Böschungen, zerkerbt von Quellsiefen, in die schattigen Talgründe der Dhünn- und Sülzzuflüsse.

Autobahn A4 folgt der Brüderstraße

Dazwischen das kurze Karsttal der Strunde, die 45 Quadratkilometer devonisches Kalkgebirge entwässert und deren gleichmäßige Wasserführung Voraussetzung für die florierendste Mühlenlandschaft zwischen Remscheid und Siegburg war, der wirtschaftlichen Schlagader des Stadtgebietes. Früher wurden hier Hellebarden geschliffen und Schießpulver gemahlen, später standen hier die Bütten der Papiermacher.

Damit ist das Wesentliche über Gladbach und seine Problemzonen gesagt: Wasserkraft zog Gewerbe an, doch Platz zum Bauen ist begrenzt und dem Verkehr schreibt die Natur enge Korridore vor. Historisch waren das drei Ostwest-Achsen: der Heerweg, der die Stadt im Norden streift und den die B506 nachzeichnet, die Heidenstraße und die Brüderstraße im Süden, die noch gemeinsam von Deutz kommend entlang der Königsforstgrenze auf das schlossgekrönte Bensberger Vorgebirge zulaufen und sich dann trennen.

Der Brüderstraße folgt mehr oder weniger die heutige Autobahn A4. Die Heidenstraße ist in ihrem Westteil schlecht definiert, klettert den Burgberg hinauf, steigt hinter Moitzfeld wieder ab, nach Hohkeppel und Lindlar wieder hoch, ein Zeichen, dass die Fernstrecke nicht so alt ist, wie ihr Name suggeriert. Für historische Straßenverbindungen gilt, je häufiger sie ins Tal steigen, desto jünger sind sie. Der Herweg, der auf dem Weg nach Arnsberg nur einmal in Wipperfürth zur Wupper absteigt, geht auf karolingische, vielleicht merowingische Zeiten zurück.

Boom im 19. und 20. Jahrhundert

Auffallend: die anschlussfreie zentrale Mitte und das Fehlen von Nord-Süd-Sprossen. Vor dem Höhenrand liegt nur die Landesstraße 286 als Verkehrsband auf der Hauptterrasse von Rösrath über Forsbach, Bensberg, Gladbach-Mitte, Paffrath, Schildgen, Leverkusen. Östlich des Höhenrandes: nichts. Völlig überforderte Nebenstraßen wie die Dolmanstraße in Refrath oder die L289 von Herkenrath zur Autobahn herunter müssen die Erschließung des Hinterlandes tragen.

Die goldenen Zeiten der boomenden Industriestadt im 19. und 20. Jahrhundert waren von zwei Befreiungsschlägen geprägt und ausgelöst: zuerst der Bau der Chaussee von Mülheim zur Stadtmitte und dann der Eisenbahnanschluss parallel dazu. In Verbindung mit dem prosperierenden Zinkbergbau im Bensberger Revier und der Kalkindustrie in den devonischen Strunde-Riffen wurde eine starke Maschinenbauindustrie angeschoben. Auf dem Höhepunkt der Gladbacher Industriegeschichte in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts waren in den 14 Fabriken der Maschinenbauer über 2000 Menschen beschäftigt, mehr noch als in der seit 400 Jahren eingesessenen Papierindustrie.

Diese Industriestadt sollte in der kommunalen Neugliederung 1975 gestärkt werden, doch das Konzept hatte einen bösen Pferdefuß: Der Industriekern im Norden der neuen Stadt lag abseits der Autobahn, die schwachen Nordsüd-Achsen machten eine Anbindung mühsam, ein Befreiungsschlag wie im 19. Jahrhundert stieß auf den entschlossenen Widerwillen der Bensberger und Refrather Wohnbevölkerung, die sich mit der Zwangsverheiratung mit den ungeliebten nördlichen Nachbarn nicht abfinden mochte.

Langsame Industrieabwanderung

Was folgte, war eine langsame aber stetige Industrieabwanderung. Diese Entwicklung steht in der Region nicht allein. Im Kölner Osten schwanden Unternehmen wie Chemische Kalk oder Carlswerk ebenfalls dahin. Gladbach wurde vom Kölner Speckgürtel verdaut und wandelte sich zunehmend zur Wohnstadt.

Nach einer gewissen Flaute hat diese Tendenz seit einigen Jahren wieder zugenommen, mit der Folge scharf ansteigender Immobilienpreise. Politik und Verwaltung, auch genötigt von der Nachbarin Köln und dem Regierungspräsidenten, versuchen die Nachfrage durch Erhöhung des Angebotes zu kompensieren. Im neuen Flächennutzungsplan wurden erhebliche Reserveflächen für Neubaugebiete freigeschlagen, vor allem im Westen und Nordwesten der Stadt sowie im Herkenrather Raum. Für neue Arbeitsplätze in Form von Gewerbegebieten wird der Horizont aber nur spärlich erweitert. Damit steigen die Pendlerzahlen. Die geforderte Mobilität ist ein Kennzeichen besserverdienender Bevölkerungskreise. Gladbach ist keine Stadt für arme Leute.

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