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Jeder Meter eine QualRundschau-Volontär nimmt am Megamarsch teil

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1721 Menschen nahmen am Megamarsch teil. (Symboldbild)

  • 100 Kilometer zu Fuß in knapp 24 Stunden – so lautet das Konzept des Megamarschs.
  • "Es war ein Kampf gegen Blasen, Krämpfe und Müdigkeit", schildert eine Teilnehmerin den Weg von Brühl nach Nettersheim.
  • Rundschau-Volontär Simon Westphal hat den Selbstversuch gewagt und an der härtesten Wanderveranstaltung des Rheinlands teilgenommen.

Rheinland – Das Ziel: 100 Kilometer von Brühl aus in die Eifel. Zu Fuß. Ohne Schlaf und in 24 Stunden. Der Megamarsch Köln ist die härteste Wanderveranstaltung des Rheinlands. Bei der vierten Auflage am Wochenende traten 1721Teilnehmer an, auch Rundschau-Volontär Simon Westphal wagte den Versuch.

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Auf dem Parkplatz am Heider Bergsee in Brühl herrscht Ausnahmestimmung. 1721 Menschen drängeln sich dicht an dicht in den Startbereich. Motivierende Musik tönt aus den Boxen, aufgeregt und hochkonzentriert starten die Teilnehmer ihre GPS-Apps. Um 16 Uhr geht es endlich los. Die Masse setzt sich in Bewegung. Auf den ersten Kilometern geht es darum, langsam sein eigenes Tempo zu finden. Nicht leicht, denn die ersten Waldpassagen sind eng, an manchen Stellen gibt es Stau. Die ersten Minuten sind auch ein gegenseitiges Abchecken. Wie ist mein Vordermann ausgestattet? Riesiger Rucksack - kann der den 100 Kilometer schleppen? Wow, stramme Waden - der ist sicher gut vorbereitet. Ich bin es nicht. Trainiert habe ich nicht, zuletzt machte mein rechter Fuß mir immer wieder Probleme. Jetzt fühlt er sich gut an. Aber 100 Kilometer? Mit solchen Entfernungen habe ich keine Erfahrung. Zum Glück habe ich meine Freundin dabei. Ebenfalls hoch motiviert, aber ebenso wenig vorbereitet.

14,2 Kilometer

Nach einem langen Waldstück und zwei Stunden und 46 Minuten später ist auf dem Sportplatz in Bornheim die erste Verpflegungsstation erreicht. Das Tempo ist mit durchschnittlich 5,5 Kilometern pro Stunde schneller als erwartet. Die Waden haben sich bereits gemeldet, unter den Fersen bilden sich die ersten Blasen. Neben Obst und kleineren Snacks verteilen die Volunteers auch Energieriegel und Protein-Kuchen. Gestärkt und mit aufgefüllten Wasserflaschen geht es weiter.

19,5 Kilometer

Um 20.10 Uhr ist es dunkel. Eine längere Passage durch die Villewälder steht an. Die ersten Teilnehmer schalten ihre Stirnlampen an. Während die optischen Reize sich auf die Hinterköpfe des vorausgehenden Läufers beschränken, verstärken sich andere Eindrücke. Es riecht nach frisch geschnittenem Holz, so richtig nach Wald eben. Auf einer Lichtung schaue ich in den klaren Nachthimmel und sehe als einziger eine Sternschnuppe. Wie viele andere habe ich die Dunkelheit unterschätzt. Der Weg durch den Wald wird immer eintöniger, die Beine werden langsam schwerer.

26,5 Kilometer

Endlich wieder Zivilisation. In Buschhoven scheint es so, als wäre der Megamarsch das Ereignis des Jahres. In den engen Gassen schauen die Bewohner aus dem Fenster und klatschen, an einer Ecke steht ein älterer Mann mit seinem staunenden Enkel. Am Wegesrand hat ein Anwohner Teller mit geschnittenem Obst und Schokolade aufgestellt, ein Schild lädt zum Gang auf die Toilette ein. Lüftelberg wirkt dagegen eine Stunde später wie ein Geisterdorf. Nur bevölkert von Megamarsch-Teilnehmern, die auf den vielen Mäuerchen an jeder Ecke ihre Wunden lecken.

37,3 Kilometer

Für meine Freundin ist Schluss. Der Magen macht seit knapp zehn Kilometern Probleme. Gut, dass an der Haltestelle Rheinbach/Römerkanal gerade ein Zug nach Bonn einfährt. Schnell ist klar, dass ich alleine weitermache. Bis zur zweiten Verpflegungsstation sind es noch gut fünf Kilometer. Da ich die Pause dringend brauche und der Hunger zunimmt, ziehe ich das Tempo mit motivierender Musik auf den Ohren noch einmal leicht an. Der Weg führt durch Rheinbach, eine willkommene Abwechslung nach unzähligen Metern Feldweg.

42,5 Kilometer

Die letzten fünf Kilometer bis zur Verpflegungsstation ziehen sich, der Weg wird bergiger. Im Schützenhaus in Oberdrees lasse ich mich in einen Stuhl fallen und beobachte. Wunden werden verarztet, Füße eingecremt, Bandagen gewickelt. Die Mitarbeiter der Malteser haben gut zu tun.

Ein älterer Mann mit Schüttelfrost plumpst auf einen freien Stuhl und wird wenig später von seiner Frau abgeholt. Eine Frau Mitte 50 humpelt durch den Raum und lässt sich neben mir auf den Stuhl fallen. "Ab jetzt ist alles Kopfsache", erklärt sie mir. Als ich mich nach einer Dreiviertelstunde wieder erhebe, wird klar, dass für mich das Ende erreicht ist. Mein rechter Fuß schmerzt besonders stark, der Rücken, die Oberschenkel und die Achillessehne fast genauso. Ich kann nicht mehr auftreten. Die Vorstellung, 20 Kilometer bis zur nächsten Verpflegungsstation durch die Nacht zu laufen, ist in Anbetracht der körperlichen Verfassung wenig verlockend. Der Shuttle-Bus nach Bonn fährt voll besetzt ab. Für mich endet eine tolle Erfahrung, nächstes Jahr versuche ich es erneut.

62,5 Kilometer

Schon zwei Stunden bevor ich in den Bus steige, trudeln die ersten Läufer an der dritten Verpflegungsstation auf dem Sportplatz in Mechernich ein. Leonas ist dort als Volunteer eingeteilt. "Unser Job war es natürlich nicht nur, die Verpflegung der Teilnehmer zu betreuen, sondern auch, sie zu ermutigen", erzählt er später. "Manche liefen noch rund, andere hatten Wadenkrämpfe, einige mussten mit massiven Kreislaufproblemen aussteigen. Von Miniblasen bis blutigen Fersen habe ich alles gesehen."

80 Kilometer

Je weiter es in die Eifel geht, desto bergiger wird das Terrain. Gegen halb sechs kämpft sich der Kölner Guido Koch mit schmerzenden Knien eine alte Römerstraße hinauf. Spitze, senkrecht gestellte Steine, bohren sich in die Füße, jeder Schritt ist wackelig. Nur nicht umknicken, denkt er sich. "Da war mir klar - die 100 werden es heute nicht", erzählt er am nächsten Tag. Er steigt aus. Eine tolle Erfahrung, die aber einmalig bleiben soll. "Nur die letzten 20 Kilometer, die mache ich vielleicht noch zu Ende, wenn ich wieder geradeaus laufen kann."

100 Kilometer

Es ist vollbracht. 562 Teilnehmer überqueren in Nettersheim die Ziellinie. Darunter auch Nicole Rozanski aus Lüdenscheid. "Es war ein Kampf gegen Blasen, Krämpfe und Müdigkeit", sagt sie. "Am härtesten waren die letzten 25 Kilometer bergauf und ab. Jeder Meter war eine Qual." Neben der eigenen Grenzerfahrung bereicherten vor allem die vielen Begegnungen den Tag. "Wir haben zum Beispiel Siggi getroffen, der bei Kilometer 50 aussteigen wollte, weil er alleine war. Wir haben ihn bis ins Ziel motivieren können und dafür dankte er uns tausende Male."

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