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„Die Bedrohung ist stärker geworden“Wie Juden in Köln mit Anfeindungen umgehen

Lesezeit 3 Minuten
Zentrum der Jüdischen Gemeinde: Blick auf das Fenster der Synagoge an der Roonstraße.

Zentrum der Jüdischen Gemeinde: Blick auf das Fenster der Synagoge an der Roonstraße.

  • Davidstern und Kippa bleiben versteckt – Wie Juden in Köln versuchen, sich vor Anfeindungen zu schützen.
  • In unserem großen Themenpaket beleuchten wir die aktuelle Situation in Köln: Wie viel Antisemitismus gibt es in der Stadt?

Köln – Es sind Strategien, um in Ruhe gelassen zu werden. Den Davidstern an der Kette trägt Volker Scholz-Goldenberg nicht mehr. Weil er nicht möchte, dass er Sprüche zu hören bekommt oder beschimpft wird. Und wenn er mit dem Zug nach Bonn fährt, knickt er die Jüdische Allgemeine Zeitung so ein, dass der Titelkopf nicht zu erkennen ist. Es könnten ebenfalls dumme Bemerkungen kommen.

„Es ist ein automatischer Reflex“, sagt der 48-Jährige, der im vergangenen Jahr den jüdischen Karnevalsverein „Kölsche Kippa Köpp“ mitbegründet hat. Er lebt seit 20 Jahren in Köln. Und wenn er selbst nicht offen angefeindet worden ist: Judenfeindlichkeit mitzudenken, das gehöre dazu.

Kippa unter der Käppi

Die Rundschau hat exklusiv berichtet, dass der neue Rabbiner der Kölner Synagogengemeinde, Yechiel Brukner, in der Stadt offen beschimpft worden ist. Ursprünglich hatte der Geistliche auf einen Dienstwagen verzichten wollen, in den Bussen und Bahnen der Kölner Verkehrs-Betriebe war es aber zu Anfeindungen gekommen. Das ging bis zur Aussage, die Juden seien selbst schuld an dem Leid, das ihnen widerfahren ist. Der Vorfall löste in der Stadt Entsetzen aus. Wie leben Juden in Köln, sind Beschimpfungen Alltag?

Alles zum Thema Kölner Verkehrs-Betriebe

In den letzten Jahren sei der Antisemitismus spürbar stärker geworden, erzählt eine 17-jährige jüdische Gymnasiastin aus dem Kölner Norden. „Die meisten, die ich kenne, tragen ihre jüdischen Glaubenszeichen nicht öffentlich. Jungs verstecken ihre Kippa unter einer Käppi, wenn sie raus gehen. Meine Eltern verbieten mir auch, offen den Davidstern zu tragen, wenn ich unterwegs bin. Das machen sie, weil sie Angst haben, dass ich angemacht werde. Also muss ich ihn entweder ausziehen oder ihn unter dem T-Shirt verstecken wenn ich in der Stadt unterwegs bin“, sagt das Mädchen. „Mein Bruder wurde in der fünften Klasse von Mitschülern als Jude gemobbt und verprügelt. Die Jungs, die das gemacht haben, sind von der Schule geflogen.“

„Das Gefühl von Bedrohung ist stärker geworden in den letzten Jahren“, sagt auch eine Jüdin, die vor sechs Jahren von Ungarn nach Deutschland gezogen ist. Die Mutter von zwei Kindern hat zwar keine konkreten schlechten Erfahrungen in Köln gemacht, aber Vorsicht gehört für sie zu ihrem Selbstverständnis.

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Während die Kippa im Gottesdienst dazu gehört, tragen sie auf der Straße längst nicht alle Juden. Er habe selbst keine Übergriffe in seinem Umfeld beobachtet, sagt Rafi Rothenberg, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Liberalen Gemeinde mit Sitz in Riehl. Er hat auch nicht das Erstarken antisemitischer Anfeindungen in seinem Umfeld beobachtet. „Ich persönlich habe keine schlechten Erfahrungen gemacht.“ Die Jüdische Liberale Gemeinde pflegt in Riehl eine enge Verbindung mit der evangelischen und der katholischen Kirchengemeinde.

Scholz-Goldenberg bezeichnet sich als „Kulturjuden“. „Ich komme nicht aus einer religiösen Familie, aber ich fühle mich der Gemeinde zugehörig.“ Dass Juden nicht sichtbar werden wollen, sei keine neue Erscheinung, sagt er, „aber die Ressentiments sind viel schärfer, teils hasserfüllt“. Er möchte niemals erleben, wie der Rabbiner in der Öffentlichkeit beschimpft zu werden – weil er Jude ist.

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