„Ein einmaliger Ort“Werner Jung zu seinem Abschied als Direktor des NS-DOK

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Werner Jung 

  • Seit 1986 arbeitete Dr. Werner Jung (67) für das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, das er seit 2002 geleitet hat.
  • Nun geht er in den Ruhestand. Zum Abschied sprach Michael Fuchs mit ihm.

Köln – Herr Jung, nach über 35 Jahren beim NS-DOK räumen Sie Ihr Büro im EL-DE-Haus am Appellhofplatz. Blicken Sie mit Stolz auf Ihr Lebenswerk?

Ich bin sehr zufrieden. Unser Haus hat eine beispiellose Entwicklung genommen. Bis zur Pandemie konnte ich 18 Jahre lang jedes Jahr einen neuen Rekord verkünden, 2019 kamen fast 100 000 Besucher. Wir haben unsere Arbeit kontinuierlich ausgebaut und stehen jetzt mit der geplanten Erweiterung in der dritten und vierten Etage vor dem nächsten Schritt.

Beschreiben Sie mal Ihre Anfänge.

Nach dem Geschichtsstudium in Köln kam ich 1986 als wissenschaftlicher Mitarbeiter zum NS-DOK. Das war damals noch am Stadtarchiv angesiedelt und bestand aus einer Person (dem späteren Leiter Prof. Horst Matzerath) und einigen ABM-Kräften. Erst bei der zweiten Gründung 1987 wurden drei wissenschaftliche Stellen sowie jeweils eine Stelle für Bibliothek und Sekretariat geschaffen. Doch dabei sollte es 15 Jahre bleiben.

Das NS-Dokumentationszentrum Köln

1979 machten der Lehrer Kurt Holl und der Fotograf Gernot Huber bekannt, dass im Keller des EL-DE-Hauses am Appellhofplatz noch die originalen Gestapo-Zellen erhalten waren – samt Hunderter Inschriften, die verzweifelte Häftlinge dort hinterlassen hatten.

Die Stadtverwaltung, die in dem Gebäude als Mieter untergebracht war, nutzte die einstigen Folterkammern als Aktenkeller. Auf öffentlichen Druck hin richtete die Stadt 1981 in dem Ex-Gestapo-Gefängnis eine Gedenkstätte ein, sie bildet heute das Herzstück des NS-DOK, das seit 1988 im EL-DE-Haus untergebracht ist. Im Hinterhof befindet sich die Hinrichtungsstätte, wo die Gestapo 1944 bis 1945 Hunderte Menschen am Galgen exekutierte.

Rund 30 Mitarbeiter hat das NS-DOK heute. Sie widmen sich umfassender Forschungs- und Bildungsarbeit – etwa in der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus und der Melde- und Beratungsstelle Antisemitismus. (fu)

1988 zogen wir ins EL-DE-Haus, dort hatten wir zunächst nur wenige Räume im Erdgeschoss und die Bibliothek. Der Anfang war schwer. Noch 2004 wurde uns die Hälfte der Bibliotheksstelle gestrichen. Eine Museumspädagogik hatten wir gar nicht, obwohl das NS-Thema geradezu danach schreit.

Seitdem hat sich viel getan...

Wir haben uns das Haus nach und nach erobert. 1994 startete der erste Umbau, 1997 haben wir die Dauerausstellung eröffnet. 2012, nach dem Auszug der Kunstgalerie, konnten wir uns stark erweitern, bekamen den großen Raum für Sonderausstellungen dazu, das interaktive Geschichtslabor für selbstforschendes Lernen, den Gewölbekeller für Veranstaltungen. Und vor allem konnten wir den Hinrichtungsort im Innenhof von den bis dahin dort aufgestellten Müllcontainern befreien und in die Gedenkstätte miteinbeziehen. Im Laufe der Jahre wurden wir öffentlich stärker wahrgenommen, bekamen mehr Personal, damit wuchsen auch unsere Aufgaben. Was uns heute auszeichnet: Wir sind Gedenkort, Lernort und Forschungsort in einem. Diese Einrichtung ist ein Juwel für diese Stadt.

Was macht das EL-DE-Haus so besonders?

Als ehemaliges Gestapo-Gefängnis mit dem original erhaltenen Zellentrakt im Keller ist es ein einmaliger authentischer Ort, an dem Geschichte unmittelbar erlebbar wird. In den Anfangsjahren kam mal ein älterer Besucher in mein Büro, schloss die Tür und sagte: In diesem Raum bin ich verhört und geschlagen worden. Da bekommt man Gänsehaut. Als hier früher noch die Rentenstelle der Stadt Köln war, gab es einmal einen Tumult. Im Warteraum war ein Mann, der hier als Häftling gefoltert worden war, einem der gefürchtetsten Gestapo-Schläger begegnet. Beide wollten ihre Rente beantragen, erkannten sich wieder.

Wie ist es eigentlich, wenn man von Berufs wegen die ganze Zeit mit all dem Leid und Grauen der NS-Zeit konfrontiert ist? Wie bleibt man da als Mensch intakt?

Es ist nicht so, dass man bei der Arbeit in diesem Haus abstumpft. Es wird ja immer erschreckender, je tiefer man eindringt in die Materie. Der Punkt ist, man muss damit professionell umgehen. Es ist ja etwas Positives, dass man sich mit der braunen Vergangenheit beschäftigt, um sie aufzuarbeiten, und versucht dazu beizutragen, dass sich das nicht wiederholt. Das ist eine große Motivation.

Was waren für Sie persönliche Höhepunkte in den 35 Jahren?

Vor allem die Begegnung mit Zeitzeugen. Über das Besuchsprogramm der Stadt Köln für ehemalige Zwangsarbeiter haben viele Betroffene das EL-DE-Haus besucht, darunter ehemalige Häftlinge. Dass Menschen, die verfolgt wurden, die hier sogar inhaftiert waren, den Wert dieser Einrichtung so sehr schätzen, ist das größte Geschenk. Auch dass wir unsere Ausstellung über das Vernichtungslager Auschwitz in der Gedenkstätte Auschwitz zeigen durften, war eine besondere Ehre.

Was haben Sie für die Erweiterung in der dritten und vierten Etage geplant?

Nachdem das städtische Rechtsamt ausgezogen ist, wollen wir hier ein „Haus für Erinnerung und Demokratie“ schaffen, das den Blick auf das Vergangene mit Bildungsarbeit zur Demokratieförderung verbindet. Ein junges Museum soll entstehen, wir stellen Biografien junger Menschen der Zeit gegeneinander: ein jüdisches Mädchen, das vor den Nazis floh und mit Glück überlebte, ein Hitler-Junge, der vom NS-Staat begeistert war. In „Erzählcafés“ können Gruppen Führungen durch das Haus nacharbeiten. Außerdem wird es ein Demokratiespiel geben, bei dem Kinder und Jugendliche auf eine einsame Insel versetzt werden und der Frage nachgehen: „Wie wollen wir die Gesellschaft aufbauen?“

Ein Nachfolger für Sie wurde bisher nicht gefunden. Hat die Stadt zu spät angefangen zu suchen?

Es wäre schön gewesen, wenn man das rechtzeitig hätte regeln können. Ein Wissenstransfer nach 35 Jahren Erfahrung hätte ja sicher nicht geschadet. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Haus sein riesiges Potenzial weiter entfalten wird.

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