„Es ist ein gewisser Luxus“Wie Flaschensammler in Köln um ihre Reviere kämpfen

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Ein älterer Mann sammelt Pfandflaschen in zwei Einkaufstüten – das Geschäft um die Flaschen nahm in Köln zuletzt Fahrt auf.

  • In Köln sammeln ganz verschiedene Menschen regelmäßig Pfandflaschen – aus unterschiedlichen Gründen.
  • Während Obdachlose das Pfand als Lebensgrundlage oft dringend benötigen, sammelt Daniel vor und nach der Arbeit „für die gute Laune“, um sich mal was zu gönnen.
  • An den Hotspots ist die Konkurrenz oft groß, das Sammeln ist in den vergangenen Jahren zum Geschäft geworden. Wir befragen auch Prof. Dr. Stefan Sell zu den Hintergründen des Phänomens.

Köln – „Acht Cent die Glasflasche – wenn ich fünf Euro extra haben will, muss ich ganz schön schleppen“, sagt Daniel: „Bis mir der Arm schlackert.“ Dem 35-Jährigen, dem es schon seit seiner missglückten Ausbildung zum Bürokaufmann auf jeden Cent ankommt, geht es genau um dieses Extra: „Es ist ein gewisser Luxus – für die gute Laune. Ich will mir ein selbst verdientes, belegtes Brötchen und ein Getränk leisten können.“ Meist schafft er das, oft sogar für unter einen Euro.

„Andere sammeln, bis sie zwei, drei Euro haben und kaufen sich dann ein Bier. Aber ich sammle morgens, wenn ich im Betreuten Wohnen an der Widdersdorfer Straße beginne und auch abends nach der Arbeit“, sagt Daniel. Er arbeitet seit etwa vier Monaten bei Gulliver.

Damit will er dem Jobcenter, von dem er monatlich das Arbeitslosengeld von 424 Euro erhält, beweisen, dass er vermittlungsfähig ist. Er will arbeiten. Die Probleme, die ihn einst auf der Straße und in einer psychiatrischen Klinik landen ließen, seien überwunden. Ein Gerichtsverfahren wegen Körperverletzung war ihm eine Lehre. Er meidet jeden Streit. „Wer eine Schlägerei haben will, versucht es vor den Diskotheken an den Ringen in der Nähe des Friesenplatzes“, sagt er. Er meidet die Bereiche, wo nach seiner Ansicht die „Rechte am Pfand“ verteilt sind und verteidigt werden, selbst wenn es nur ein Obdachloser ist, der an einem Mülleimer „wohnt“ und diesen als Eigentum betrachtet.

Profis rangeln um das Pfandgeld

Im Gulliver hat auch mal ein Flaschensammler gearbeitet, der sich im Einvernehmen mit Türstehern über die Jahre ein Wiesengrundstück im Überschwemmungsgebiet des Rheins gesichert hatte. Aber das ist eine Ausnahme. Und obwohl Flaschensammeln ein Knochenjob mit geringen Verdienstmöglichkeiten ist, rangeln die „Profis“ um das Pfandgeld. „Rentner sind die miesesten“, findet Daniel. „Sie schreien oft, beleidigen einen und verteidigen so ,ihre‘ Mülleimer. Ich geh dann woanders hin. Denn abgesehen von der Innenstadt mit Hohe Straße und Schildergasse, die immer komplett abgegrast sind, gibt es überall genug Pfand.“

Das erste, worauf Daniel sparte, war eine Tragetasche von Rewe. „Die gelbe Tüte hat 80 Cent gekostet und ist aus zwei Plastikflaschen recycelt worden. Steht zumindest drauf“, sagt Daniel, der den Kauf auch als Beitrag zum Klimaschutz wertet. Ein Rucksack für ein paar Euro von Primark zum Flaschentransport war die nächste Anschaffung. Die Flaschen hortet er über Nacht in seinem Zimmer. „Das Geld ist die Entschädigung für den Geruch.“ Dass es ein schmutziges Geschäft ist, weiß er. „Ich würde niemals mit einer Tüte voller Flaschen in einen Laden gehen.“ Schon wegen seiner vorsichtigen Art wird er selten abgewiesen. „Höchstens im Sommer mal, wenn man zu viele Flaschen für den Pfandautomaten dabei hat. Aber ich gehe lieber öfter mit Tüte und Rucksack mit Mengen, die auch im Haushalt anfallen.“

Automaten starteten das Pfand-Geschäft

Ein erfahrener Kollege, Ralph, sammelt seit Jahrzehnten – schon als Pfand noch nicht so einfach zu haben war. „Man musste jede Flasche kennen und in verschiedene Geschäfte, um das Pfand zu bekommen. Kosten und Nutzen standen beim Sammeln in keinem Verhältnis. Als dann Automaten die Rückgabe leichter machten, brach das Geschäft ein. „Pfand war plötzlich für organisierte Gruppen interessant und nicht mehr nur das Zubrot für Obdachlose“, sagt Bernd Mombauer, Geschäftsführer im Gulliver. Er beobachtet die Szene seit vielen Jahren. „Während einer Veranstaltung am Stadion braucht es dort kein normaler Flaschensammler zu probieren“, sagt Mombauer.

Mit der EU-Osterweiterung kam zusätzliche „Sammelkonkurrenz“ in Köln an. Denn Flaschensammeln ist eine der wenigen legalen Verdienstmöglichkeiten. Und die Centbeträge nähren oft große Hoffnungen. Etwa für den Flaschensammler aus Pakistan, der von seiner Unterkunft in Stommeln mehrmals täglich zum Hauptbahnhof fährt und dort die Müllsammelbehälter auf den Bahnsteigen durchsucht. Bereits zweimal sei er mit seinem Asylgesuch abgelehnt worden. „Ich muss 1000 Euro für den Anwalt zusammenbekommen“, sagt er. „Dann kann ich bleiben.“ Er ist überzeugt, in Deutschland sein Glück zu finden: „Ich will arbeiten.“

Am Flughafen werden solche Hoffnungen ganz anders abgefischt und in Euro sowie in Arbeit umgemünzt: Seit fast fünf Jahren gibt es dort Sammelbehälter. Die Aktion „Spende Dein Pfand“ finanziert in Zusammenarbeit mit dem Jobwerk Porz drei zuvor langzeitarbeitslose Menschen, die nun regelmäßig die Behälter leeren. In den ersten vier Jahren kamen mehr als eine Million Flaschen zusammen, die ein Pfand von 265 000 Euro ergaben. Nichts für kleine Flaschensammler. Und selbst die Müll-Profis machen den Obdachlosen Konkurrenz. Im Sommer, so schildert er es, fahren immer wieder AWB-Trupps an Pfandautomaten vor und setzen in Geld um, was sie dienstlich eingesammelt haben. „Und die Reinigungskräfte aus den U-Bahnhaltestellen machen es genau so“, weiß Daniel, der von solchen Kräften aus dem „Revier“, also einer U-Bahnstation, verscheucht wurde.

Die AWB wissen davon laut ihrem Sprecher Wilfried Berf nichts: „Solch ein Verhalten ist untersagt. Das wäre auch ein Missbrauch von Dienstzeit und Dienstwagen.“ Laut AWB-Statistik landen jedenfalls kaum Pfandflaschen im Müll. „Für Hausmüll gibt es keine differenzierte Betrachtung, aber Fachleute schätzen den Pfandanteil dort als sehr gering‘ein. Den Inhalt von Straßenpapierkörben haben wir erst vor zwei Jahren untersucht, und auch dort bleibt annähernd Null zurück.“ Die Sammler leisten also ganze Arbeit. Pfandringe machen

Schwache zu Verlierern

Wie fern das Flaschensammeln den Politikern ist, schließt Mombauer an den gelegentlichen Debatten, Sammelringe an Mülleimern zu installieren. „Wir haben das anfänglich auch für eine gute Idee gehalten und uns hier mit Studenten aus Düsseldorf und Kölner Flaschensammlern an einen Tisch gesetzt. Danach war klar: Die Ringe sind keine gute Idee. Sie machen es starken Gruppen leicht, Pfand abzugreifen. Und wer meint, am Mülleimer mit einem Pfandring die Würde des Menschen zu retten, ist ohnehin auf dem Holzweg.“ Beim Job-Center brauchen Flaschensammler zumindest keine Angst zu haben, dass die Einkünfte aus ihrer Tätigkeit zu Abzügen bei den Leistungen führen würden. „Für uns ist Flaschensammeln keine Erwerbstätigkeit. Wir haben Respekt vor Leuten, die was tun“, sagte Geschäftsführerin Martina Würker.

Alltag in der Bahn

Das Einsammeln von Pfandflaschen in Eisenbahnen ist bei der Deutschen Bahn (DB) „grundsätzlich nicht erlaubt“. Laut Unternehmen stört das Einsammeln Fahrgäste.

Eine Fahrkarte wird durch Flaschensammeln ungültig, denn Sammler sind laut Unternehmen von einer Beförderung ausgeschlossen. Ohne Fahrkarte wird somit das „erhöhte Beförderungsentgelt“ fällig.

Aus dem Mülleimer darf man Flaschen auch nicht nehmen: „Da die Pfandflaschen in den Besitz der DB gelangt sind, die diese wieder dem Pfandkreislauf zuführt, stellt das Einsammeln einen Diebstahl dar“, sagte ein Sprecher der Bahn.

Praktisch kontrolliert die Bahn aber kaum, und so sind Flaschensammler Alltag in den Zügen.

Drei Fragen an Prof. Dr. Stefan Sell

Wir haben den Eindruck, es gibt immer mehr Flaschensammler. Wie hat sich das Phänomen entwickelt?

Es handelt sich um einen Schattenbereich ohne offizielle Statistik – auch bei Obdach- und Wohnungslosen kennt man die Anzahl nicht. Aber alle Wissenschaftler sagen unisono, die Zahl hat zugenommen. Der ökonomische Angebotsgrund – Flaschenpfand und seine Höhe – ist aber auch noch nicht so alt. Es werden nun Preise abgerufen, die diese Tätigkeit attraktiv werden lassen.

Aber nicht nur für Obdachlose?

Ich war mal in einer Jury zur Armutsfotografie, und drei Viertel der Bilder zeigten Obdachlose – oder ältere Menschen, die im Müll wühlten. Das ist das Bild in unseren Köpfen: von Menschen, die im Dreck wühlen. Aber wir haben es weniger mit denen ganz unten zu tun, sondern mit Leistungsträgern – und nicht mit Leistungsempfängern. Es sind viele Ältere, die sich eine karge Rente aufstocken, Menschen, die Einkommensarmut selbstbewusst und arbeitsorientiert begegnen. Viele machen das im Nebenverdienst. Und das ist eigentlich toll, denn sie halten sich an die Erwartungen der Leistungsgesellschaft.

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Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell.

Unterliegen bei den Verteilungskämpfen nicht genau die, denen man das Pfand am meisten gönnt?

Ob es jemand verdient hätte? Da fehlen valide Daten. Aber Verdrängung gibt es überall an „Aldi und Lidl-Standorten“, also Orten mit hoher Umsatzgeschwindigkeit, wo große Mengen anfallen. Dieser kapitalistische Verdrängungswettbewerb ist ruppig und hierarchisch strukturiert – wie im normalen Geschäftsleben auch.

Darum also das organisierte Flaschensammeln am Stadion und an den Ringen. . .

Genau. Dazu noch eine Anmerkung: Es verengt sich schnell der Blick auf die Armutsproblematik. Flaschensammler erfüllen eine zentrale Funktion beim eigentlichen Anliegen der Einführung von Pfand: die Recyclingquote zu erhöhen. Denn die Leute sind schlichtweg zu faul, leere Flaschen oder Dosen wieder abzugeben, wo sie sie herhatten. 

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