„Es war Horror“Ein Ortsbesuch im Maternus-Seniorenzentrum in Rodenkirchen

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Strikt abgesperrt ist die erste Etage des Maternus-Seniorenzentrums, in dem Übergangsdirektorin Monika Schweissgut (links) und Pflegedienstleiter Thomas Werner in den vergangenen Wochen fast rund um die Uhr gearbeitet haben.

  • In keinem anderen Kölner Seniorenheim gab es so viele Coronavirus-Infizierte wie im Maternus-Seniorenzentrum.
  • Mehr als 50 der rund 100 Bewohner in der Pflegeeinrichtung hatten sich angesteckt, 15 Einwohner starben an Covid-19.
  • Wir waren vor Ort und haben mit den Verantwortlichen über die vergangenen Wochen gesprochen.

Köln – Der Korb mit den Schoko-Eiern von Ostern steht noch draußen vor der gläsernen Schiebetür. Hier kann sich bedienen, wer will. Doch dann ist Schluss mit Freizügigkeit. Rein ins Maternus-Seniorenzentrum in Rodenkirchen kommt kaum jemand. Und wenn, dann nur unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Gewährt die Rezeptionistin Einlass, muss man sich hinter einer ersten Schiebetür die Hände desinfizieren. Erst dann öffnet sich die zweite Tür. Jeder muss sich in einer Liste eintragen.

Aus gutem Grund wird auf Sicherheit geachtet. In keinem anderen Kölner Seniorenheim gab es so viele Coronavirus-Infizierte. Mehr als 50 der rund 100 Bewohner in der Pflegeeinrichtung hatten sich angesteckt. Todesfälle häuften sich. 15 waren es schließlich. „Inzwischen hat sich die Lage beruhigt“, sagt Unternehmenssprecherin Melanie Hoffmeister. Ob in den letzten Tagen weitere Menschen verstorben sind, will das Unternehmen erst einmal nicht mitteilen. Klar ist: Die verstorbenen Senioren hatten zusätzlich zum Virus ernsthafte Krankheiten. Krebs, COPD, Herzschwäche, Lungenleiden. Einige waren schon vor der Infektion mit dem Virus in palliativer Behandlung. Trotzdem schocken die Tode auch die Mitarbeiter.

Köln: Auch der Standortleiter war infiziert

„Es war Horror“, sagt Monika Schweissgut (47). Am 28. März ist sie als Leiterin eingesprungen. Denn: Auch der Standortleiter des Hauses, zu dem zusätzlich über 150 Appartements des Betreuten Wohnens gehören, war an Covid-19 erkrankt. Mit Kollegen aus Häusern in Hamburg, Ahrensbök, Löhne und Cham setzt sie ab Ende März alles daran, den Überblick zu gewinnen. Sofort bittet sie das Gesundheitsamt, alle im Haus zu testen. „Nach zwei Tagen tauchten an die 20 Medizinstudenten in Astronautenkleidung auf und machten Abstriche“, erinnert sie sich.

Spätestens ab dann ist allen Bewohnern klar, wie ernst die Lage ist. Das hilft. „Die meisten von ihnen sind sehr kooperativ.“ Umziehen ist im Pflegeheim nun das Gebot der Stunde. Nicht nur für die Mitarbeiter, die nach jedem Kontakt mit einem positiv auf Corona-Getesteten die Schutzkleidung wechseln müssen.

Alle Senioren mussten in andere Zimmer ziehen

Mit einer Feuertür und einer Schleuse, die aus Schränken und Regalen bebaut wird, werden die Positiv-Getesteten von denjenigen ohne nachgewiesene Infektion abgetrennt. Unermüdlich räumt die Haustechnik Zimmer ein und aus. Es wird zwischengelagert, desinfiziert, neu eingeräumt. Inzwischen wohnt keiner der Senioren mehr in seinem angestammten Zimmer. „Wir haben die persönlichen Gegenstände eingelagert“, sagt Monika Schweissgut. Die Deko an den Wänden ist geblieben. In den Zimmern schauen die Bewohner nun auf Familienfotos oder Kunstdrucke ihrer Mitbewohner. Zum Betrachten haben sie ausgiebig Zeit: Sie dürfen ihre Zimmer nicht verlassen. 

„Die Mitarbeiter versuchen, mit Einzelbetreuung so gut es geht auf die Bedürfnisse einzugehen“, sagt Monika Schweissgut. Dabei ginge jeder im Haus über das übliche Arbeitsmaß, erzählt sie während sie in der geräumigen Cafeteria sitzt. Normalerweise essen hier die Mieter des Betreuten Wohnens, das im selben Gebäude wie die Pflegeeinrichtung ist. Seit Wochen ist die Cafeteria ebenso wie die gesamte angrenzende Pflege-Etage gesperrt.

Thomas Werner: „Ein Kampf gegen Windmühlen“

„Im Pflegebereich ist die Krise durch“, sagt Monika Schweissgut. Im Betreuten Wohnen dagegen kann sie das nicht garantieren. „Dort ist es ein Kampf gegen Windmühlen“, klagt Thomas Werner. Der 37-Jährige leitet den ambulanten Pflegedienst, für Appartement-Mieter. Mit allen Mitteln haben die Verantwortlichen in den vergangenen Wochen versucht, den betagten Mietern den Ernst der Lage nahezubringen.

Doch obwohl es Einkaufsdienste und viel Unterstützung durch die Rodenkirchener gibt, gehen weiterhin Mieter aus dem Haus. Drei Mieter, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, sind verstorben, weitere sind infiziert.

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„Wir können den Mietern nicht untersagen, ihre Wohnungen zu verlassen. Es gibt auch einige wenige Querulanten“, sagt die Übergangsdirektorin. Immerhin konnte Maternus als Hausherr und Vermieter ein Besuchsverbot im Betreuten Wohnen aussprechen. Auch die Mitarbeiter selbst schränken sich privat ein. „Soziale Kontakte gibt es bei mir nicht“, sagt Pflegedienstleiter Thomas Werner. „Einerseits hätte ich bisher auch keine Zeit gehabt, andererseits will ich kein Risiko eingehen.“ Desinfektionsmittel gehört für alle im Haus zum ständigen Begleiter. Ebenso wie Masken. „Nach einer Weile merkt man die nicht mehr“, sagt Werner. Neben dem regulären Putzdienst wischen alle Mitarbeiter „ständig“ mit Desinfektionstüchern über Türen, Klinken, Aufzugknöpfe und Schalter.

Das Team ist durch die Corona-Krise zusammengewachsen

Die aushelfenden Kollegen und das Team vor Ort seien in den vergangenen Wochen zusammengewachsen. „Zum Schluss haben nur noch Blicke genügt, um sich zu verständigen“, sagt Werner. Inzwischen ist die Stamm-Mannschaft wieder an Bord. „Wenn nicht alle an einem Strang gezogen hätten und uns das Unternehmen nicht so toll unterstützt hätte, hätten wir evakuieren müssen“, sagt Monika Schweissgut.

Sie kritisiert, dass man von Seiten der Politik in den Pandemie-Plänen die Pflegeheime vergessen habe. „Das musste erst langsam anlaufen.“ Auch die Task Force, die die Stadt für Pflegeheime entwickelt hat, musste sich erst einfinden. Wenn Monika Schweissgut am Freitag Köln den Rücken kehrt, tut sie das – zumindest für den Pflegebereich – mit einem guten Gefühl. „Für das Betreute Wohnen sehe ich die Gefahr noch nicht endgültig gebannt“, sagt dagegen Kollege Werner. „Wenn die Leute nachlässig werden, dann habe ich Zukunftsangst. Dann könnte die zweite Welle kommen.“  

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