„Expedition Endstation“„Wir sind Köln 765“ – Mit der Linie 15 nach Chorweiler

Lesezeit 5 Minuten
Neue Plätze: Die Stadt hat mit Landesmitteln die City aufgehübscht.

Neue Plätze: Die Stadt hat mit Landesmitteln die City aufgehübscht.

  • In unser Serie „Expedition Endstation“ fahren wir die KVB-Straßenbahnlinien bis zum Ende durch.
  • In dieser Folge machen sich Tobias Wolff und Thomas Banneyer mit der Linie 15 auf zur Endhaltestelle Chorweiler.

Köln – Es war gut gemeint damals, in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts. Ein neuer Stadtteil wurde aus dem Boden gestampft, mit allen modernen Annehmlichkeiten wie Zentralheizung, dichten Fenstern und – allerdings unvermeidlich – Aufzügen. Selbst in gutbürgerlichen Vierteln wie Sülz oder Lindenthal traf man noch oft genug auf alte Kohleöfen, Papierglasfenster und marode Treppenhäuser.

Und dann das: Schon die Einfahrt in den U-Bahnhof Chorweiler musste den Passanten vorkommen wie der Zugang zu einer neuen Welt. Großzügig angelegte Bahnsteige, moderne Gestaltung, Rolltreppen und Aufzüge. Rechts die KVB, links etwas später die S-Bahn.

Chorweiler war damals noch nicht der Billigheimer, als der er heute verschrien ist. Die schleichende Stigmatisierung setzte erst später ein, als sich der Stadtteil immer mehr ghettoisierte und die Stadt nicht oder viel zu zögerlich eingriff.

Alles zum Thema Kölner Verkehrs-Betriebe

Heute hat die Moderne ein ziemlich angeranztes Flair. Die Haltestelle wirkt nicht mehr frisch und neu, sondern eher geschmacksverirrt. Oben geht es nicht viel besser weiter. Der Beton ist stumpf geworden und verwittert, vom alten Glanz ist nicht mehr viel übrig. Die GAG hat viele Häuser übernommen und muss noch enorme Arbeit leisten, um die Bauten wieder in Form zu bringen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Aber es tut sich etwas. Sosehr das immer wieder bemühte Klischee vom sozialen Brennpunkt an manchen Stellen stimmen mag, so falsch ist es an anderen. „Höchste Zeit, dass Ihr euch mal wieder blicken lasst“, sagt Ali Hankirazli. Er betreibt den Kiosk direkt am Abgang zu den Bahngleisen und kennt jedes Vorurteil über seine „Hood“ beim Namen. Und ärgert sich darüber. „Chorweiler lebt. Es geht in eine bessere Richtung“, sagt er. Polen, Russen, Türken, Deutsche: „Wir kommen alle miteinander aus. Der Zusammenhalt ist groß.“

Wobei er nicht verschweigt, dass auch die Probleme nach wie vor groß sind. „Es gibt einen Zyklus der Armut. Jeder versteht den Schmerz des anderen. Du siehst, wie deine Eltern leben und weißt, es ist verdammt schwer, etwas zu ändern.“ Und trotzdem: Es wird besser, sagt Hankirazli. Er ist hier aufgewachsen. Die sozialen Instanzen funktionieren, geben sich Mühe. Vom Sozialarbeiter über „Alteingesessene“ die sich um die Jugendlichen kümmern, Projekte anstoßen, sich mit ihnen beschäftigen, bis hin zu den Polizeibeamten, die mehr Präsenz zeigen als in früheren Jahren.

Der U-Bahnhof ist ellenlang, wer auf der hinteren Seite wieder ans Licht kommt, landet auf dem Pariser Platz. Der wurde, wie andere Plätze in Chorweiler auch, vor kurzem saniert und aufgemöbelt. Zwischen Kirche und Bezirksrathaus wirkt alles sauber, glatt, fast gebügelt. Keine Autos weit und breit – Chorweiler wurde weitgehend autofrei geplant –, viel Platz und einiges Grün. Aber keine Cafés, keine Restaurants, kein gar nix: Zum Ausgehen bleibt oft weder Muße noch Geld. Das Café Pegasus im Bürgerzentrum erfreut sich regen Zulaufs der älteren Generation, weiter nach hinten Richtung Osloer Straße ein Grill, ein türkisch-arabisches Café, ein Supermarkt, neue Sitzbänke, die rege genutzt werden.

Und die Kreativwerkstatt von „Outline e.V.“ an der Lyoner Passage. Auch Puya Bagheri ist in Chorweiler aufgewachsen, kam mit acht Jahren hierher. Anerkannter Sprayer und bekannte Größe, tief im HipHop verwurzelt und Leiter der Kreativwerkstatt. Bagheri entwickelt neue Formate, begreift sich als Nahtstelle für die Jugendlichen. Eine urbane Jugendkultur will er entwickeln, eine herausfordernde Kulturarbeit abseits von Malen nach Zahlen und Singkreisen. Mit Tonstudio und viel kreativem Input, auch politischer Bildung – wobei keinerlei „Richtung“ vorgegeben wird –, leider ohne Unterstützung der Stadt. „HipHop und Chorweiler passen perfekt zusammen“, sagt er. Beide mit jeder Menge Vorurteilen behaftet, aber auch kreativ und selbstbewusst. Bagheri freut sich, dass die Jungen „ihr“ Chorweiler selbstbewusst nach außen tragen. „Wir sind Köln 765“ – die Postleitzahl von Chorweiler – ist kein Stigma mehr, sondern eine Ansage. Was ihn am meisten stört: Wer es „geschafft“ hat rauszukommen, kommt in der Regel nicht mehr zurück. Bagheri hat es geschafft, aber Chorweiler aufzugeben war für ihn nie ein Thema: „Ich habe den Laden ganz bewusst hier aufgemacht und nirgendwo anders. Chorweiler ist Teil meiner Identität.“

Der Stadtteil hängt wie kaum ein anderer nicht nur vordergründig an einer Institution, dem City-Center. Eine Mall, nicht viel anders als überall auf der Welt, sauber, adrett und mit allen aktuellen Angeboten versehen. Deutlich erkennbares Zentrum des Stadtteils. Nicht immer einfach für diejenigen, die sich um Konsum wenig scheren oder scheren müssen, aber gerade hier, direkt am Aufgang der Haltestelle, zeigt sich, wie vielfältig der Stadtteil ist. Menschen jeden Alters, vieler Nationen, offensichtlich auch unterschiedlichster Einkommensverhältnisse, alles trifft sich hier. Kaum vorstellbar, würde sich ECE verabschieden – der Raum wäre anders gar nicht nutzbar.

Am späten Nachmittag, frühen Abend, füllt sich die Gegend um die Haltestelle wieder. Nicht wie in der Innenstadt oder in angesagten Stadtteilen, wo sich die ersten schon auf den Weg ins Nachtleben machen. Pendler kommen nach Hause, viele schleppen Taschen mit sich, die Gesichter sind meist freundlich. Die Dame im Blumenladen nickt Passanten zu, aus den Fenstern rund um den Platz wummern die ersten Beats. Chorweiler City bereitet sich auf die Nacht vor – aber das ist eine andere Geschichte.

Die Architektur: Chorweiler wurde zu Baubeginn als „Neue Stadt“ gepriesen. Namhafte Architekten beteiligten sich an der Realisierung. Heute muss viel getan werden, um dem Anspruch wieder gerecht werden zu können.

Tobias Wolff hat viele Sympathien für einen Stadtteil, der sich immer gegen Widerstände durchsetzen musste.

Rundschau abonnieren