„Fitter als vor Corona“88-Jährige überlebte Corona-Erkrankung

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

Sonja Büthe hat eine Corona-Erkrankung im April überlebt.

  • Sonja Büthe erzählt, wie sie die Krankheit mit 88 Jahren überlebt hat.
  • Auch dank Unterstützung von Tochter Andrea und der Familie

Köln – Sonja Büthe sitzt auf dem Beifahrersitz eines schwarzen Volkswagens. Vor dem Haus ihrer Tochter in Sürth hält das Auto an. Hilfe beim Aussteigen lehnt die 88-Jährige ab. „Das schaffe ich schon alleine!“ Mit einem Ruck erhebt sie sich aus dem Beifahrersitz. Eigenhändig klappt sie ihren Rollator auf und geht, einzelne Stufen herabsteigend, in den Garten ihrer Tochter. Die weißen Haare hat sie unter den blauen Sonnenhut gesteckt.

Was man der alten Dame nicht anmerkt: Im April war sie mit dem Coronavirus infiziert. Die 88-Jährige wohnt im „Seniorencentrum Maternus“, einer Einrichtung für Betreutes Wohnen in Rodenkirchen. Das Coronavirus hatte sich in der Anlage, der auch ein Pflegeheim angeschlossen ist, besonders schnell verbreitet. 61 Bewohner waren infiziert, 24 Menschen starben.

Wohnung schon länger nicht verlassen

Wo genau Sonja Büthe sich dort angesteckt hatte, kann sie sich bis heute nicht erklären. Sie hatte schon mehrere Wochen vor der Erkrankung nicht mehr ihre Wohnung verlassen. Das Essen wurde ihr aufs Zimmer gebracht, die Einkäufe erledigte die Familie für sie. Nur das Pflegepersonal durfte ihre Wohnung betreten. Lange lebte die 88-Jährige in Isolation. Ihr Alltag spielte sich in ihrer Einzimmerwohnung ab. Auf 27 Quadratmetern. „Die Zeit war sehr einsam“, sagt Sonja Büthe heute.

Dann kam Corona. Die ersten Symptome des neuartigen Virus traten am 9. April auf. Starke Kopfschmerzen, hohes Fieber, Gliederschmerzen. „Wie eine schwere Grippe“, beschreibt Büthe. Am gleichen Tag machte sie einen Test. Als wenige Tage später die Nachricht kam, dass die 88-Jährige Corona-positiv war, wurde sie sofort ins Krankenhaus verlegt. Auch, weil sich ihr Zustand verschlechtert hatte.

Keine Beatmung im Notfall

Ihre Mutter habe den Ärzten gesagt, sie wolle im Notfall nicht beatmet werden, erzählt Tochter Andrea. Sie wollte sich nicht lange quälen. War bereit, den Tod hinzunehmen. Ihre Tochter wollte das aber nicht kampflos akzeptieren. „Ich hätte noch mal mit ihr gesprochen und versucht, sie wachzurütteln.“ Büthe selbst kann sich daran nicht mehr erinnern. Die ganze Situation damals war ihr einfach zu viel. Die Krankheit und alles um sich herum konnte sie gar nicht richtig begreifen. „Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich gar nicht richtig bei mir bin.“ Ihre Mutter habe die Situation wie im Traum wahrgenommen, erzählt die Tochter. „Manchmal war sie wie in Trance. Die Realität kam gar nicht an sie ran.“

Die Seniorin war vier Wochen von zu Hause weg. Zwei Wochen lag sie im Krankenhaus, danach zwei Wochen auf einer Pflegestation. Kontakt zu ihren Liebsten konnte sie nur über das Telefon halten. Im Krankenhaus war sie jedoch zu schwach, um selbst zum Hörer zu greifen. „Ich selbst habe überhaupt niemanden anrufen können. Meine Kinder haben mich aber jeden Tag angerufen“, erzählt sie.

Wiedersehen am Muttertag

Am Muttertag sah Sonja Büthe ihren Sohn nach langer Zeit auf der Pflegestation des Krankenhauses wieder. „Das war ganz großartig für mich, dass ich wieder Besuch kriegen konnte.“ Die Einsamkeit sei ihrer Mutter so schwer auf die Psyche gegangen, dass sich das auch negativ auf ihre Genesung ausgewirkt hat, vermutet Tochter Andrea. Ganz oft habe die Seniorin geklagt, dass jeder Tag wie der andere sei. Gute Nachrichten habe sie gar nicht wirklich aufgenommen.

Heute, drei Monate später, zeigt das Coronavirus immer noch deutliche Spuren im Alltag der 88-Jährigen. Sie muss jeden Tag eine Tablette gegen die Kopfschmerzen nehmen. Außerdem plagt sie Müdigkeit. Fast jeden Nachmittag schläft sie, um durch den Tag zu kommen. Die Nachwirkungen des Virus können bis zu vier Monate anhalten, haben ihre Ärzte gesagt.

Ohne Gehilfe im Garten

Trotzdem wirkt die Seniorin fit und gelassen. Längere Strecken geht sie am Rollator, kürzere Distanzen eigentlich am Stock. „Den hab ich jetzt vergessen. Dann muss es halt so gehen“, sagt die 88-Jährige und läuft ganz ohne Gehhilfen im Garten der Tochter herum. „Die ist fitter als vor Corona“, findet die 58-Jährige.

Und Sonja Büthe blüht richtig auf, wenn sie von ihrer Familie erzählt. Sie spricht dann flüssig und lebendig von früher. Von ihrem Sohn, ihrer Tochter. Lacht viel. Nur wenn das Thema auf das Coronavirus kommt, wird sie ganz wortkarg. Ihre Miene verändert sich, wird ernster, trauriger. Manchmal bricht sie mitten im Satz ab und weiß nicht mehr, was sie sagen will. Die Krankheit spielt offenbar psychisch immer noch eine große Rolle. Auch, wenn sie körperlich eigentlich überwunden ist. „Es ging mir so schlecht, da war mir alles egal“, erzählt die Seniorin. Am Anfang ihrer Erkrankung sei sie schlichtweg zu schwach gewesen, um für ihre Genesung zu kämpfen. „Und wenn ich gestorben wäre, das wär mir auch egal gewesen“, sagt sie und schaut ins Leere.

Das könnte Sie auch interessieren:

Dabei regelt Sonja Büthe ihren Alltag längst wieder selbst, genau wie vor ihrer Erkrankung. Die 88-Jährige geht alleine einkaufen, macht jede Woche zwei bis drei Mal Gymnastik und geht regelmäßig kegeln. Oft bekommt sie Besuch, teilweise geht sie auch selbst ihre Familie besuchen. Seit Anfang Juni fährt sie eine Pflegerin einmal die Woche mit dem Rollstuhl aus. Vor allem beim ersten Mal war das etwas ganz Besonderes, weil sie nach so langer Zeit mal wieder draußen war. „Wir sind über den Marktplatz gegangen. Ich mag es so gerne, wenn Menschen um mich herum sind“, erzählt sie.

Die Nachwirkungen des Coronavirus belasten sie zwar, trotzdem überwiegt das glückliche Gefühl, dass sie die Krankheit besiegt hat. „Ich habe gelernt, dass meine Familie immer zu mir steht“, erzählt sie. Und wenn Sonja Büthe am Gartentisch von Tochter Andrea sitzt und zufrieden lächelt, kann es daran keinen Zweifel geben.

Rundschau abonnieren