„Ich will nicht, dass Schluss ist“Aus für Kölner Reittherapiezentrum trifft Patienten

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Glück: Tim (12) vertraut seinem Pferd Klaus voll und ganz. Er liebt es, sich einfach tragen zu lassen, wagt aber auch schwierige Übungen auf Klaus’ Rücken.

Glück: Tim (12) vertraut seinem Pferd Klaus voll und ganz. Er liebt es, sich einfach tragen zu lassen, wagt aber auch schwierige Übungen auf Klaus’ Rücken.

Porz-Westhoven – Früher hatte Svenja oft Angst zu reden. Sie dachte, dass sie das sowieso nicht richtig hinkriegt. „Mein Bruder sagt das“ war ihr Standardspruch. Wegen ihrer geistigen und körperlichen Beeinträchtigung sprach sie nur in Halbsätzen, sprang von einem Thema zum nächsten. Die Pferde haben sie motiviert, das zu ändern. Denn wenn man lernen will, ein Pferd richtig zu versorgen, muss man miteinander sprechen.

„Das hat Svenja hier im Zentrum für Therapeutisches Reiten gelernt, in einer sehr liebevollen Atmosphäre“, sagt ihre Mutter Sonia Kögler. Nach zwei Jahren Reittherapie in Porz-Westhoven konnte Svenja außerdem schon viel aufrechter gehen, und auch ihr Gleichgewichtssystem hatte sich verbessert. Heute hat die 19-Jährige viele Freunde im ZTR, sie reitet und voltigiert seit zehn Jahren. Ihr Lieblingspferd Gimly kommt, wenn sie es ruft.

Seelisch, kognitiv und körperlich

180 Kinder, Jugendliche und Erwachsene kommen jede Woche ins ZTR. Durch die pädagogisch angeleitete Arbeit mit dem Pferd werden positive Veränderungen im seelischen, kognitiven und körperlichen Bereich ausgelöst. „Der Umgang mit den Therapiepferden regt die Eigenaktivität an und gibt Selbstvertrauen, Wärme und Takt der Bewegung wirken bei vielen körperlichen Beeinträchtigungen lösend, und auch das Sozialverhalten kann dadurch verändert werden, erklärt ZTR-Leiterin Anja Reinhardt, die das Zentrum mit aufgebaut hat.

Doch nachdem ein Teil der gepachteten Hofflächen den Besitzer gewechselt hat und der geplante Umzug nach Esch am Denkmalschutz gescheitert ist, steht jetzt fest, dass das ZTR im Juni 2021 schließen wird (s. Kasten). Das wollen viele der Kinder und Jugendlichen nicht einfach hinnehmen. Mit einem Faltblatt, auf Instagram und Twitter werben sie für den Erhalt des einzigen Reittherapiezentrums im rechtsrheinischen Köln. „Wir hoffen, dass sich so doch noch ein Alternativstandort oder Geldgeber finden“, sagt Helferin Friederike A.. Ebenso wie Yasemin B. schätzt sie die menschliche Haltung im ZTR. „Mir wurde hier früher sehr geholfen“, sagt die 15-Jährige, die ADHS hat. „Ich arbeite sehr gerne hier.“

Der Umgang mit den Pferden bedeutet auch ein Stück Normalität für Kinder, die oft jahrelang mehrere Therapiestunden pro Woche haben. „Für meine Tochter Marie ist das Voltigieren einfach ein tolles Hobby“, erzählt Nathalie Korfmacher. „Dass sich mit der Zeit auch ihr Muskeltonus und ihr Sprachvermögen deutlich verbessert hat, ist für sie kein Thema.“ Wohl aber ihr Lieblingspferd Heinzel. Ihn reitet die 16-Jährige, die Trisomie 23 hat, besonders gerne. „Er hat den schnellsten Galopp. Das ist wie Fliegen“, sagt sie begeistert. Neben ihr im Gras sitzt Tim (12), auch er ist stolz auf sich: „Wegen der Corona-Pause hatte ich Angst, dass ich alles verlerne. Aber ich konnte alles noch!“ Elisa B. (23) freut sich mit ihm. Sie kommt seit 17 Jahren ins ZTR, ist jetzt Helferin. „Ich bin Autistin“, sagt sie. „Dadurch finde ich nur schwer Freunde, auch an der Uni klappt das nicht. Hier kann ich gut auf andere zugehen, weil alle so offen sind.“ Das finden auch Siri Baron (35) und Tobias L. (20).

Auch in Zukunft wird die Imhoff-Stiftung Therapieplätze finanzieren. Es gebe viele kleine Höfe, wo das Therapeutische Reiten im Vormittagsbereich umgesetzt werden könne, so Susanne Imhoff. „Gefördert wird, wo pädagogische Fachkräfte mit gut ausgebildeten Pferde arbeiten.“ Die Kinderreitschule im Frohnhof sei eine gute Möglichkeit, mit der Jugendfarm Wilhelmshof sei man in Kontakt. Geplant sei auch, mit der Gold-Kraemer-Stiftung neue Konzepte zu entwickeln.

Die meisten Pferde würden als Rentnerpferde auf Höfen untergebracht, einige könnten mit Schutzvertrag übernommen werden. „Mit der Auflösung des ZTR geht in jedem Fall etwas Einzigartiges verloren, denn die Arbeit des Zentrums können wir nur teilweise ersetzen“, bedauert Imhoff. „Wir haben das Therapeutische Reiten in Westhoven fast 30 Jahre umfangreich gefördert. Dass die Arbeit dort jetzt endet, ist für alle Beteiligten einfach nur traurig.“ Auch Svenja fasst ihre Gefühle in Worte: „Ich will nicht, dass hier Schluss ist. Ich bin sehr traurig und wünsche mir, dass die Leute uns helfen, dass wir hierbleiben können.“

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