„Lebende Bibliothek“ in KölnMenschen über ihre Erfahrungen mit Diskriminierung

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Bibliothek (Symbolbild)

Köln – Die „Lebende Bibliothek“ ist ein Format, das der Däne Ronny Abergel vor 20 Jahren gründete. Seine Idee: Wenn unterschiedliche Menschen miteinander ins Gespräch kommen, räumt die Begegnung Vorurteile aus. Im Garten der Religionen richteten das Forum für Willkommenskultur und die Kölner Freiwilligen-Agentur für zunächst einen Abend eine solche „Lebende Bibliothek“ ein. Unter der Überschrift „Sprich mit deinem Vorurteil!“ brachten sie Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe oder einer Behinderung etwas anders sind als die Mehrheitsgesellschaft, mit „Lesenden“ zusammen. Die lebendigen Bücher haben Titeln wie „Leben zwischen zwei Kulturen – Zu welcher gehöre ich?“, „Hoffnung auf ein besseres Leben – Erlebnisse eines jungen Geflüchteten“ und „Wendejahre – Aufwachsen unter Faschos“. Jeder Bibliotheksbesucher, jede -besucherin durfte sich die lebenden Bücher „ausleihen“, um sich den „Inhalt“ erzählen lassen.

Nour und Marco haben eines gemeinsam: Sie haben einen deutschen Pass, aber sie müssen für ihre Ziele mehr Energie und Durchhaltekraft aufbringen als viele andere. Nour ist Muslima und trägt Kopftuch. Sie wurde in Aachen geboren, wuchs in Bonn auf, lebt jetzt in Köln, wo sie in einem Labor für molekulare Biomedizin angestellt ist. „Aufgrund meiner Herkunft und des Kopftuchs gehen manche davon aus, dass ich ein bisschen blöd bin und die Sprache nicht kenne“, erzählt sie. „Oft höre ich, wenn jemand von meiner Herkunft erfährt, als erstes die Frage, ob ich zum Tragen des Kopftuchs gezwungen werde“, fährt sie fort. Im Studium schickte sie nach 50 vergeblichen Bewerbungen um ein Praktikum kein Foto mehr mit. Auch das half nicht. Freundinnen ohne Kopftuch und ausländisch klingende Namen fanden hingegen schnell Plätze. Mit dem Praktikum klappte es schließlich doch noch, dank Weiterempfehlung und einem persönlichen Vorstellungstermin, bei dem es hieß: „Du bist sympathisch, du passt in unser Team.“

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Marco wurde 1982 in der damaligen DDR als Sohn einer polnisch-stämmigen Mutter und eines Gastarbeiters aus Kuba geboren. „Erst in den Wendejahren bekam ich Rassismus zu spüren, musste in unserer Plattenbausiedlung in Zwickau immer auf der Hut sein, um nicht Opfer von Nazis zu werden“, berichtet er. Deshalb suchte er sich selbst eine Gruppe, die Schutz bot. Die fand er in Jugendlichen, die dem US-amerikanischen Lebensstil anhingen und notfalls auch zur Selbstverteidigung bereit waren. Nach dem Schulabschluss scheiterte eine Bewerbung in Süddeutschland daran, dass der Arbeitgeber befürchtete, Kunden könnten befremdet auf sein Aussehen reagieren. Einmal – und darüber muss der gefragte Theaterfotograf längst lachen – wurde er nicht wegen seiner Hautfarbe, sondern wegen seines sächsischen Dialekts abgelehnt.

Viele der „lebendigen Bücher“ haben Strategien entwickelt, Diskriminierung aus dem Weg zu gehen. Marco zum Beispiel meint, es sei persönliche Auslegungssache, ob eine Bemerkung als diskriminierend aufgefasst wird. „Auf einer Hochzeit wollte mir ein betrunkener älterer Gast eigentlich sagen, wie liebenswürdig er mich findet und benutzte das N-Wort“, erzählt der Kölner, der vor sechs Jahren zuzog. Er reagierte gelassen: „Innerhalb seiner Rhetorik war das ein Kompliment, und so habe ich es aufgenommen.“

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