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„Man fühlt sich oft allein gelassen“Corona-Auswirkungen auf Kinder mit Behinderung

Lesezeit 4 Minuten
Familie Piksa

Glücklicher Moment zuhause: Leyla Piksa mit ihrem schwerbehinderten Sohn Gabriel

  • In Dänemark lief der Schulbetrieb in Förderschulen trotz Corona ohne Unterbrechung weiter.
  • Davon profitierten vor allem Angehörige von Kindern mit betreuungsintensiven Behinderungen. Bedingungen, von denen hier zu Lande Betroffene wie die Familie Piksa nur träumen konnten.
  • Was Corona für eine Familie mit einem schwerbehinderten Sohn heißt.

„Es kommt vor, da lege ich mich neben ihn aufs Sofa und schlafe sofort ein, so erschöpft bin ich an manchen Tagen“, erzählt Leyla Piksa. Die 44-jährige und ihr Mann Thadeusz (58) stoßen in ihrem derzeitigen Alltag immer wieder an ihre Grenzen. Sie haben zwei Kinder: die 17 Monate alte Olivia und Sohn Gabriel, neun Jahre alt. Gabriel hat schwerste multiple körperliche und geistige Behinderungen. Er kann nicht sprechen, auch nonverbale Kommunikation ist so gut wie unmöglich. Er hat keine Kontrolle über seinen Körper und darf nur kurze Zeit in einer Position liegen. Jeden Tag bekommt er aufgrund seiner Behinderung epileptische Anfälle – mal schwächer, mal stärker. Der Neunjährige benötigt eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung.

Gabriel besucht in normalen Zeiten die Pestalozzi-Förderschule in Wahnheide. Doch in den vergangenen Monaten war er nur selten da. Zuerst sei er wochenlang krank gewesen und dann sei die Corona-Krise gekommen, sodass Mitte März die Schule zu war, erzählt Leyla Piksa. „Da wir die Notbetreuung in der Schule nicht nutzen konnten, hatten wir wochenlang keine Unterstützung. Manchmal ist es schwer und man fühlt sich oft allein gelassen“, fügt Ehemann Thadeusz hinzu. Gott sei dank tue sich ja nun etwas. Denn auch die Pestalozzi-Schule beginnt wieder mit Unterrichtsangeboten.

„Wir waren schon sehr enttäuscht“

Allerdings habe die Schule die Piksas per Elternbrief informiert, dass ihr Sohn nur noch an zwei Tagen bis zu den Ferien in der Schule sein kann. „Wir waren schon sehr enttäuscht, dass wir erst im nächsten Schuljahr nach den Sommerferien auf mehr Normalität hoffen können“, sagt Leyla Piksa. Auch für ihren Sohn ist das keine gute Nachricht: „Seit Monaten bekommt Gabriel keine schul-therapeutischen Behandlungen mehr, in denen er mit ausgebildetem Personal arbeitet und trainiert und zudem wichtige physiotherapeutische Übungen mit ihm gemacht werden“, sorgt sich Leyla Piksa. Ihm fehlen auch die sozialen Kontakte mit seinen Mitschülern. „In der Schule geht es ihm gut, er mag das“, ergänzt die 44-jährige Mutter.

Seit Mitte April können Leyla und Thadeusz Piksa zumindest wieder ein wenig durchatmen. Heidi Korth (43) hilft bei der Betreuung von Gabriel wieder mit – allerdings ausschließlich zuhause bei den Piksas. Die Schulbegleiterin von der Lebenshilfe Köln kommt fast an jedem Tag, an dem normalerweise Förderschule wäre, nach Rath/Heumar. Wegen der aktuellen Kurzarbeitsregelung ist sie jedoch nur halbtags von 10 bis 14 Uhr in der Eiler Straße (siehe Kasten). „Ich kann mit Gabriel nicht das machen, was in der Schule möglich wäre. Aber ich lese und singe ihm vor, füttere und wickle ihn, gehe mit ihm spazieren und wir zoomen über das Tablet mit den anderen Klassenkameraden“, beschreibt Korth den außerschulischen Alltag mit ihrem Schützling.

Schulbegleiterin in Kurzarbeit

32 Stunden in der Woche begleitet Heidi Korth ihren Förderschüler Gabriel Piksa (9). Sie ist bei der Lebenshilfe Köln in Teilzeit als Schulbegleiterin angestellt. An Schultagen arbeitet sie von 8.15 bis 15.15 Uhr und bringt Gabriel zu den einzelnen Unterrichts- und Therapie-Stationen. Wegen der Corona-Krise arbeitet die Schulbegleiterin aktuell allerdings in Kurzarbeit nur 20 Stunden bei der Familie Piksa in der Zuhausebetreuung.

Heidi Korth ist eine von 380 Schulbegleitern bei der Lebenshilfe Köln. Nur ein Teil der Mitarbeiter, wie im Falle von Frau Korth, ist über einen Zeitvertrag beschäftigt. Wegen der Corona-Krise war der soziale Trägerverein erstmalig in seiner rund 60-jährigen Geschichte gezwungen, Kurzarbeit einzuführen. www.lebenshilfekoeln.de

Für das Ehepaar und insbesondere für Leyla Piksa bedeutet es trotz der kürzeren Tages-Betreuung endlich ein wenig Freiraum für private Erledigungen oder Arztbesuche, mehr Zeit für die kleine Olivia und vor allem das Gefühl, nicht mehr alles alleine stemmen zu müssen. „Ich kann endlich die Steuer machen oder in Ruhe mit der Familie telefonieren“, erzählt sie sichtlich erleichtert. Wieder in ihrem Beruf im Steuerbüro zu arbeiten, daran sei im Moment jedoch weiterhin nicht zu denken, bedauert sie. Ihr Mann ist Bauleiter und hat das Haus, in dem sie seit kurzem leben, in Eigenregie gebaut. „Ich würde gerne wieder arbeiten – allein schon aus finanziellen Gründen“, fügt Leyla Piksa hinzu.

Und was wünschen sie sich für die nahe Zukunft? „Dass es nach den Sommerferien im September in der Förderschule wieder normalen Unterricht gibt“, sagen beide ohne zu überlegen. Zudem hoffen sie auf mehr Unterstützung seitens der Krankenkasse bei der Einrichtung von behindertengerechten Hebekonstruktionen im Haus, zum Beispiel um Gabriel, den eigenen Rücken schonend, aus dem Bett zu heben. Aber das ist ebenfalls ein aufreibendes aber ein anderes Thema.

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