„Nonsens wird bleiben“Was sich nach Jürgen Becker bei „Mitternachtsspitzen“ ändert

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Neuer Gastgeber: Christoph Sieber übernimmt in dieser Woche die Mitternachtsspitzen.

Neuer Gastgeber: Christoph Sieber übernimmt in dieser Woche die Mitternachtsspitzen.

  • Nach 28 Jahren hat Jürgen Becker die Mitternachtsspitzen abgegeben, an diesem Samstag übernimmt Christoph Sieber.
  • Was sich verändern wird in dem Kabarett-Klassiker und warum er die rheinische Art mag, erzählte er Jens Meifert.

Am Ende der letzten Sendung haben Sie die Fernbedienung als symbolischen Staffelstab übernommen. Nervös? Christoph Sieber: Der Respekt ist riesig, weil ich ja weiß, was die Mitternachtsspitzen sind. Ich übernehme das Flagschiff der deutschen Kabarett-Unterhaltung, und ich will derjenige sein, der es auf einem guten Kurs hält. Es soll in neue Gewässer gehen, und das traue ich mir auch zu. Mir war wichtig, dass Jürgen Becker und Wilfried Schmickler mir ihren Segen gegeben haben. Ich wurde im Schatten des Doms mit den getrockneten Tränen ostwestfälischer Stammzuschauer gesegnet.

Was wird sich verändern?

Es wird nicht mehr Loki und Smoky und auch nicht die „Überschätzten Paare der Weltgeschichte“ geben, kein Heimathirsch mehr. Wir werden nichts kopieren, das wäre dumm. Es werden neue Dinge entstehen, und ich hoffe, die Zuschauer lassen sich darauf ein.

Auf was denn?

Es wird weiter klassisches Kabarett geben zu relevanten Themen, das ist zentral. Aber es wird auch der Klamauk bleiben, das gehört zu den Mitternachtsspitzen dazu. In der ersten Sendung werden zwei Funkenmariechen im Lockdown zu sehen sein, die sind natürlich total frustriert und müssen feststellen, dass man mit den zentralen Mariechen-Kompetenzen im Alltag recht wenig anfangen kann. Das spiele ich mit Philip Simon. Der Nonsens und das Verrückte, das wird bleiben, wir probieren vieles aus. Ich fand immer die Volkstümlichkeit der Sendung toll, es ist keine belehrende Sendung.

Zur Person

51 Jahre alt ist Christoph Sieber. Gebürtig kommt er aus Balingen in Baden-Württemberg, aus der „Eifel Schwabens“, wie er sagt. Schon als Kind ist er nach Niedereschach in Baden gezogen, wo sein Vater lange CDU-Bürgermeister war.

Er studierte an der Folkwang-Hochschule in Essen Pantomime, sein erstes Kabarettprogramm „Abgeschminkt“ war die künstlerische Abschlussprüfung. Danach ging er nach Köln, wo er unter anderem die Kabarett-Late-Night-Sendung „Mann, Sieber“ produzierte. Er war zudem regelmäßig Gast in Sendungen wie „Heute-show“, „Die Anstalt“ oder Stratmanns“.

13 Jahre ist er bei den Mitternachtsspitzen dabei. Nach dem Ausscheiden von Jürgen Becker, Wilfried Schmickler und Uwe Lyko Ende 2020, tritt er nun die Nachfolge an. Zum festen Team werden weiterhin Susanne Pätzold, Philip Simon und Puppenspieler Michael Hatzius zählen. Daneben kommen wechselnde Gäste in die Sendung.

Sieber lebt in Nippes. Seine Frau kommt aus Kürten. Er spielt Tennis und Klarinette. (mft)

Mitternachtsspitzen, Samstag, 6. Februar, 21.45 WDR Fernsehen

Aber die CDU nehmen Sie sich schon vor?

Aber natürlich. Friedrich Merz wird seine Niederlage in der Sendung verarbeiten müssen.

Sie kommen aus Baden-Württemberg, sind gebürtiger Schwabe, eigentlich Badener. Wissen Sie, was Rheinländer und Westfalen hier zusammen aushalten müssen?

Ich komme vor allem vom Land, ich bin auf dem Dorf groß geworden und weiß, wie die Menschen da ticken. Ich kenne Köln, aber ich kenne auch das Ruhrgebiet. Es sind letztlich immer die Menschen, auf die es ankommt. Je hässlicher die Stadt, desto netter die Menschen, die müssen das wieder wett machen. Das funktioniert in Köln doch prächtig. Ich lebe freiwillig hier, und habe das nicht bereut. Mir liegt die rheinische Art, diese sehr entspannte Lebensart. In Schwaben tun Sie nichts unbeobachtet, da sagt der Nachbar: ,Den gelben Sack haben Sie gestern aber spät rausgestellt.’ Das passiert hier nicht, da lässt man jeden leben so wie er ist.

Fühlen Sie sich schon so sehr als Rheinländer, dass Sie vor der Kamera Kölsch sprechen würden?

Nein, das sollen die machen, die es wirklich können. Dann gibt es nur die Diskussion, ob das nun gutes oder schlechtes oder überhaupt Kölsch war, Sülzer Kölsch oder Nippeser Kölsch oder was weiß ich. In die Debatte begebe ich mich nicht. Aber mit der Lebensart spiele ich natürlich schon. Das ist auch wichtig, weil die Sendung nun mal in Köln aufgezeichnet wird, da zieht eine rheinische Pointe schon anders. Das müssen die Berliner aushalten.

Sind Sie in der Kirche?

Ich bin ausgetreten. Ich war Katholik, Ministrant, ich habe das alles von der Pike auf mitgemacht. Wir haben in der Vorbereitung viel über Kardinal Woelki diskutiert. Jürgen Becker hatte zuletzt eine sehr starke Nummer zu ihm gebracht, von daher wissen wir noch nicht, ob wir es erneut machen. Mir würde es aber schwer fallen, die Vorgänge um die Missbrauchsfälle unkommentiert zu lassen. Schon weil wir aus dem Wartesaal , quasi unter dem Dom gelegen, senden. Da muss der Bericht aus der Hölle kommen, da muss ein bisschen Zunder gemacht werden, damit es oben im Dom wärmer wird. Die müssen schon spüren, dass wir ihnen auf den Füßen stehen. Ich glaube, dass die kritische Begleitung dem Glauben gut tut.

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Die Leute beschäftigt vor allem die Corona-Krise. Ist es eine gute oder schlechte Zeit für Kabarett?

Damit habe ich mich nie beschäftigt. Es sind die Zeiten, die es sind. Aber wenn wir den Humor verlieren, dann können wir einpacken. Etwas Gelassenheit tut immer gut. Ich habe gehört, einige Schüler haben eine Zoom-Konferenz gehackt und ihren Lehrer stumm geschaltet: Schulstreiche 2.0, ist doch wunderbar.

Sie haben Pantomime studiert. War das nicht schwer für Sie, ganz ohne Reden?

Doch. Ich habe mich auch nicht an diese Regel gehalten, was meinen Lehrer ganz fuchsig gemacht hat. Der hat immer gesagt: ,Jetzt halt doch mal die Klappe. Sprechen kannste, das weiß ich.’ Ich habe das vier Jahre durchgezogen und danach dann meine Nummern gespielt. Ich hatte Politik aufgesogen, weil mein Vater Bürgermeister war und habe dann nach und nach das Kabarett entdeckt. Wobei das zu Hause ausgeschaltet wurde, mein Vater war in der CDU, da kam linkes Kabarett nicht gut an.

Lieber Musikantenstadl.

Wer waren Ihre Vorbilder, was Humor angeht.

Buster Keaton und Charlie Chaplin als alte Meister, die fand ich ganz toll. Und dann kam Gerhard Polt und auch schon Dieter Hildebrandt mit dem scharfen analytischen und politischen Humor. Ich habe in jeder Lebensphase Vorbilder entdeckt, später Josef Hader, den österreichischen Kabarettist.

Feiern Sie gerne Karneval?

(überlegt) Achtung Fangfrage. Eine stickige Kneipe, neben mir an der Theke ein Einhorn im Polyesterkostüm, es umarmen mich Leute, die ich nicht kenne, unendlich laute Musik, das sagen viele in Köln: der perfekte Tag. Ich will dann lieber nach Hause. Aber es ist nicht so, dass ich das ganz ablehne, ich gehe schon mit, aber ich gebe zu: Meine Frau ist da wesentlich besser aufgestellt.

Sie sagen, Überraschungen sind wichtig auf der Bühne. Welche wird es am kommenden Samstag geben?

Sarah Bosetti und Christian Ehring werden dabei sein und Helge Schneider! Das finde ich ganz toll, weil er natürlich ein wunderbarer Künstler ist, aber auch eine eigene Humorfarbe mit in die Sendung bringt. Sein elfjähriger Sohn wird am Schlagzeug sitzen, das ist eine Weltpremiere. Hoffentlich werden die beiden häufiger dabei sein.

Was sollen die Leute sagen, wenn der Abspann läuft?

Wie, schon vorbei? (lacht) Das wäre ein Traum.

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