„Reinrassije Strooßekööter“Wolfgang Niedecken veröffentlicht neues Solo-Album

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Das Bild mit Frau Tina war das erste nach seinem Schlaganfall.

Das Bild mit Frau Tina war das erste nach seinem Schlaganfall.

Köln – Ein sonniger Tag in der Südstadt. Wolfgang Niedecken trinkt Tee in der Gaststätte „Severin“, gegenüber die Severinskirche,  in der er getauft wurde, wenige Meter weiter das Haus, in dem der BAP-Chef groß geworden ist. Jens Meifert  sprach mit dem 66-Jährigen.

„Reinrassije Strooßekööter“ heißt die fünfte Solo-Veröffentlichung, die Wolfgang Niedecken in New Orleans aufgenommen hat. Er spricht über:

Familie

„Die Kiste mit den Fotos und Erinnerungen, die ich im Titelstück beschreibe, die gibt es wirklich. Nachdem ich gemerkt habe, dass ich mit ihr anfangen sollte, fiel mir das Schreiben des Stücks leicht. Mich hat immer fasziniert, den eigenen Wurzeln nachzuspüren. Mein Vater war ja sozusagen Auswanderer.

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Über Generationen hat die Familie Wein in Unkel am Rhein angebaut. Eine Reblaus, Anfang des vorigen Jahrhunderts aus den USA eingeschleppt, zwang ihn und seine Brüder, sich nach einem anderen Beruf umzusehen. Das hat er am Chlodwigplatz getan, wo er sein Lebensmittelgeschäft aufgemacht hat. Ich bin selbst ein Familienmensch, bin froh, dass ich mich da wohl und aufgehoben fühlen darf.“

Kindheitserinnerungen

„Die Kölner Südstadt rund um den Chlodwigplatz war mein Dorf. Wir haben auf der Straße Fußball gespielt und sind auf den Trümmern rumgeklettert. Die Leute wussten: ,Das ist der Kleine von den Niedeckens.’ Der Häuserblock bis zur Severinskirche und An St.Magdalenen, das war mein Radius, das Größte war allerdings auf die Poller Wiesen zu gehen, auf die andere Rheinseite, in die weite Welt.“

seine Eltern

„Ich war bis zur Pubertät ein absolutes Vater-Kind. Als ich klein war, war ich nicht zu trennen von ihm. Er hat mich mitgenommen zur Milchverwertung, zur Markthalle oder zum Güterbahnhof, meistens noch vor der Schule. Meine Mutter war zwar strenger, aber sie hat auch für klare Luft gesorgt. Eigentlich war sie das Oberhaupt der Familie. Sie hat aber meinem Vater das Gefühl gegeben, er wäre der Chef – das war wahrscheinlich sehr schlau (lacht). Ich bilde mir gar nicht erst ein, ich wäre der Chef.“

Lebensweisheiten

„Als ich anfing künstlerisch unterwegs zu sein, hat mein Vater manchmal gesagt: ,Aber der Junge muss doch...’ Dann hat meine Mutter entgegnet: ,Der Junge muss gar nichts – außer glücklich werden.’ Das ist ein Satz, der hängen geblieben ist. Heute habe ich selbst vier Kinder, die alle mehr oder weniger freiberuflich unterwegs sind. Ich habe ihnen immer gesagt: Wenn ihr euch dafür entscheidet, müsst ihr eure Zufriedenheit aus dem ziehen, was ihr tut, nicht aus dem was ihr dafür bekommt. So habe ich mein ganzes Leben gelebt. Ich will nicht auf der Bühne stehen und etwas singen, hinter dem ich nicht stehe.“

seinen Großvater

„Über Hermann Platz, den Vater meiner Mutter, sagte man, dass er mir seelenverwandt gewesen sei, ich habe von ihm die künstlerische Ader geerbt. Er war gelernter Kirchenmaler, hat zwischen den Kriegen die Decke der Maternuskirche in der Südstadt mit Fresken ausgemalt. Leider musste er seine Familie in den schlimmen Zeiten als Anstreicher durchbringen. Den Schmerz hat er gerne mit Schabau und Kölsch betäubt. Ich fühle mich ihm mehr verbunden als manchem, den ich noch erlebt habe.

BAP als Familie

„Die Band ist auch eine Form der Familie. Es ist aber ein Unterschied, ob du als 20-Jähriger oder als 50-Jähriger in einer Band spielst. Es ändert sich, wenn Kinder zu Hause sind, wenn Du nicht nur spielst, um deinen Deckel bezahlen zu können. Damit ändert sich das Wesen der Band, weil Kompromisse notwendig werden. Aber eine Band ist auch Heimat. Je mehr Vertrauen da ist, desto besser ist die Band. Ich bin in unserem Fall der Vater, der dafür zu sorgen hat, dass sich alle wohlfühlen. (lacht) Deswegen heißt die Band vermutlich ja auch BAP.“

den Albumtitel

„Reinrassije Strooßekööter ist ein Begriffspaar, das sich gegenseitig ausschließt. Mir ist der Titel bei der Ansage des Songs „Jupp“ auf der letzten Tournee eingefallen. Das Lied handelt davon, dass ich mit meinem Hund Blondie unterwegs war und der Typ aus der Annostraße sagt, ,der Schäferhund ist der beste Freund des Menschen’. Ein Schäferhund war dieser Hund sicher nicht. Straßenköter im übertragenen Sinn sind wir letztlich alle, auch meine Familie ist aus ganz verschiedenen Ecken zuammengekommen.

Das Album

„Es ist der Traum jedes Musikers, mal in New Orleans ein Album zu produzieren“, sagt Wolfgang Niedecken über das neue Album „Reinrassije Strooßekööter“. Das neue Titelstück erzählt von den Erinnerungen an die Familie, Bilder, die in einem großen Karton gesammelt sind.

Die 13 weiteren Songs dürften eingefleischten BAP-Fans bekannt sein, sind aber neu arrangiert worden – und teilweise kaum wiederzuerkennen. Im Südstaaten-Swing kommt „Wie schön dat wöhr“ („Sonx“-Album) daher, mit lässiger Gitarre wird „Für ’ne Fründ“ vom 80er Solo-Album „Schlagzeiten“ entstaubt. Ganz viel Familiengeschichte erzählen der „Chippendale Desch“ oder „Chlodwigplatz“. „Verdamp lang her“, Niedeckens Vater-Sohn-Song schlechthin, ist nicht dabei, dafür „Et ess lang her“ vom Album „Lebenslänglich“, das von der Entstehung des Klassikers handelt.

Für Niedecken ist das „Familienalbum“ die Fortsetzung von „Zosamme alt“, den Stücken, die er für seine Frau Tina geschrieben hatte. Wie damals hat Julian Dawson die Produktion übernommen. Mit im Esplanade-Studio dabei waren Eagles-Gitarrist Steuart „Spider“ Smith, der Bassist von Leonhard Cohen, Roscoe Beck, mit Stewart Lerman saß ein zweifacher Grammy-Gewinner am Mischpult. Das Album wird Freitag veröffentlicht. Ab Frühjahr geht Wolfgang Niedecken mit BAP auf Tournee („Heimspiel“ in der Lanxess-Arena am 2. Juni 2018). Ebenfalls 2018 ist er in einer fünfteiligen Arte-Serie auf den Spuren von Bob Dylan in den USA zu sehen. (mft)

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