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„Too Good To Go“Essen retten per App – der 7-Tage-Praxis-Test in Köln

Lesezeit 7 Minuten
Simon Westphal hat die App getestet.

Simon Westphal hat die App getestet.

  • Die Verschwendung von Lebensmitteln sollen Anwendungen wie „Too Good To Go“ verhindern.
  • Unser Kollege Simon Westphal hat die Kostprobe gemacht.

Köln – In Deutschland landen laut Bundesamt für Ernährung jedes Jahr rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Ein bedeutender Anteil ist genießbar und wird in privaten Haushalten, aber vor allem von Restaurants oder Supermärkten weggeworfen.

Mit „Too Good To Go“ habe ich vor wenigen Wochen eine Internet-Anwendung kennengelernt, die dieser unnötigen Lebensmittelverschwendung den Kampf ansagt. Sieben Tage lang essen, was die App hergibt, wie geht das?

Montag

Meine Woche beginnt um 10 Uhr im „Ibis“-Hotel am Barbarossaplatz. Für drei Euro darf ich mich an den Resten des Frühstücksbuffets bedienen. Über die App habe ich bereits am Vorabend bestellt, eine Hotel-Mitarbeiterin entwertet meine Bestellung mit einem Wisch auf meinem Smartphone. 

Neben Brötchen aller Art sind auch Croissants übrig geblieben, dazu reichlich Aufschnitt und Rohkost. Als die nette Mitarbeiterin noch einmal die Pancake-Maschine anwirft, ist die Freude groß. Um mein Frühstück nach Hause zu transportieren, bekomme ich wie in den meisten teilnehmenden Läden eine biologisch abbaubare Box aus Zuckerrohr.

Für 3,50 Euro habe ich mir mein Mittagessen beim indischen Restaurant „Govardhan“ auf der Roonstraße gesichert. Hier bekomme ich um 15.30 Uhr schnell und unkompliziert eine fertig abgepackte Box in die Hand gedrückt – zusammengestellt aus den Resten des Mittagsbuffets.

Der Abholtermin wird von den Läden festgelegt und variiert zwischen zehn Minuten und mehreren Stunden. Erst zu Hause angekommen, sehe ich die Ausbeute: eine große Portion Reis, Kartoffelwürfel, zwei verschiedene Currys und eine süße Paste, die ich nicht näher identifizieren kann. Alles schmeckt fantastisch. Natürlich gehört bei solchen „Wundertüten“ immer ein bisschen Glück dazu.

Der erste Tag des Experiments steht auch im Zeichen der Vorsorge. In der „Real“-Filiale in Sülz bestelle ich für 3,50 Euro eine Portion Obst und Gemüse, von der ich mich gefühlt die ganze Woche ernähren könnte.

Beim Backwerk am Barbarossaplatz decke ich mich zudem mit Backwaren ein. Für 2,90 Euro kann ich mir kurz vor Ladenschluss Waren im Wert von sieben Euro sichern. In meine Tüte wandern ein Tomate-Mozzarella-Panini, zwei Croissants und vier Körnerbrötchen. Zwei Brötchen esse ich abends, dazu gibt es eine Banane und einen Apfel.

Dienstag

Mit den Backwaren und dem Obst fällt es mir leicht, bis abends durchzuhalten. Dann fällt die Wahl auf „EXKi“ in der Schwertnergasse. Für vier Euro bekomme ich einen riesigen Salat, ein Sandwich mit Salami und Ziegenkäse und ein Mikrowellengericht, bestehend aus Couscous und Köfte. Mithilfe der beigelegten Speisekarte errechne ich mir einen Originalpreis von 19 Euro.

Von den riesigen Portionen schaffe ich nur das Mikrowellengericht und ein halbes Sandwich. Dazu presse ich mir einen frischen Orangen- und Mandarinensaft.

Mittwoch

Aufgewärmt im Backofen lasse ich mir das Sandwich zum Frühstück schmecken, mittags ist der Salat mit Roter Bete und Bohnen dran. Beide Gerichte schmecken noch einwandfrei. Am frühen Abend ist das erste Gemüse welk geworden.

Am Nachmittag mache ich im Café Pausenbrot in der Südstadt Halt. Für drei Euro gibt es zwei Behälter mit Chili con Carne, zwei belegte Brote und drei belegte Brötchen. Die Verkäuferin bittet mich, beim nächsten Mal eigene Frischhalteboxen mitzubringen.

Donnerstag

Die Zeit bis zum Abend überbrücke ich ohne Hungerattacken mit dem Essen vom Vortag. Bei „dean and david“ am Rudolfplatz besteht das Abendessen aus zwei Wraps und einem Mango-Milchreis.

Für 4,50 Euro eine der kleineren Portionen der Woche, dennoch schmeckt das Essen frisch und lecker und ich werde satt. Geschäftsführer Mirko Warnik berichtet mir, dass die Gründe für die Teilnahme neben der Nachhaltigkeit auch in Marketing- und Imagezielen liegen.

Freitag

Am Morgen wird das letzte Obst der Woche verbraucht, dazu presse ich mir ein Glas Mandarinensaft. Zum ersten Mal knurrt mir mittags der Magen, da die nächste Mahlzeit erst um 15.30 Uhr parat steht. Im „Park Inn“-Hotel auf der Inneren Kanalstraße wartet dann ein Festmahl. Eine üppige Portion Rinderbraten mit grünen Bohnen, Wurzelgemüse und Kartoffelscheiben. Nach zehn Minuten auf dem Rad ist das Essen zwar nur noch lauwarm, was nichts daran ändert, dass es grandios schmeckt.

Die Größe der Portion hilft, die die Zeit bis zum Abendessen um 21.30 Uhr zu überbrücken. Im Chinarestaurant „Drachen City“ nahe der Schildergasse räume ich für 3,40 Euro das erste warme Buffet der Woche ab. Natürlich sind nicht mehr alle Speisen so reichhaltig vorhanden wie zwei Stunden früher, aber das erwarte ich als „Too Good To Go“-Kunde auch nicht. „Wir bieten jeden Tag bis zu fünf Portionen an, damit das Buffet am Ende leer ist. Wir sind fast jeden Abend ausverkauft und müssen so kaum Essen wegschmeißen“, erklärt Inhaber Yong Zhang.

Samstag

Das Wochenende startet mit Resten des Frühstückbuffets im „Mercure“-Hotel in der Friesenstraße. Die Portion für 3,40 Euro ist bereits zusammengestellt und enthält neben zwei Brötchen und einem Croissant reichlich Aufschnitt und ein Ei.

Die Portion ist groß, kein Problem, bis 21.30 Uhr durchzuhalten. Auf dem Weihnachtsmarkt am Chlodwigplatz nimmt der Stand „Power Pro Vida“ bei „Too Good To Go“ teil. Für 3,50 Euro gibt es eine heiße Kokos-Kürbis-Suppe, selbst gemachte Pommes mit Aioli und eine Probierportion Falafel.

Sonntag

Der letzte Tag des Experiments startet um 13.45 Uhr im „Rendezvous“ auf der Zülpicher Straße. In der App wird darum gebeten, eigene Frischhalteboxen mitzubringen. Mit den eigenen Boxen sind am Brunch-Buffet dann aber keine Grenzen gesetzt. Für mich gibt es sowohl süße als auch herzhafte Speisen, von denen ich auch nachmittags noch den kleinen Hunger zwischendurch stillen kann. Vom Buffet aus höre ich einen Gast flüstern: „Schau mal, die ziehen sich nicht mal ihre Jacken aus und räumen alles ab.“ Das ist nicht die erste Reaktion dieser Art. Der Bekanntheitsgrad der App hat noch Luft nach oben.

Die Woche endet mit einer überdimensional großen Portion Sushi von „Grand The Sushi Circle“ im Belgischen Viertel. Laut eigener Angabe das erste Restaurant, dass sich der App in Köln angeschlossen hat.

Fazit

Ich hatte Bedenken, ob die ganze Woche problemlos durchzuhalten ist. Nach sieben Tagen „Too Good To Go“-Nutzung fällt das Fazit aber ausschließlich positiv aus. Ich habe jeden Tag gut und gesund gegessen, hatte nie Hungerprobleme und das Wichtigste: Mit der Teilnahme habe ich mich aktiv gegen Lebensmittelverschwendung eingesetzt. Für 13 Portionen habe ich insgesamt 48,10 Euro ausgegeben.

Fest steht: Ohne die App wäre das Essen niemals so günstig zu haben gewesen. Und wenn die eigenen Fähigkeiten am Herd begrenzt sind, kommt ein praktisches Argument dazu. Wenn der Tag im Voraus zu planen ist, die Restaurants von Entfernung und Abholzeit her gut erreichbar sind, spricht für mich nichts dagegen, die App häufig zu nutzen.

Was Restaurants und Geschäfte sagen

Alja-Claire Dufhues, Real: „In unsere Tüten kommen vornehmlich Produkte, die überschüssig sind oder kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum stehen. Kunden sind nicht nur die typischen Sparfüchse, sondern vor allem Leute, die etwas gegen die Lebensmittelverschwendung unternehmen wollen. Von Jung bis alt ist alles dabei.“

Ein Backwerk-Mitarbeiter: „Unsere Standorte werden von selbstständigen Franchisepartnern betrieben. Jeder Franchisepartner kann eigenständig entscheiden, wie er am Ende des Tages mit nicht verkauften Produkten umgeht. Manche schmeißen es weg, wir lassen die Reste einfach abholen.“

Stefan Willems, Park Inn: „Für uns steht die Lebensmittelverschwendung und die Minimierung der eigenen Entsorgung der Lebensmittel im Vordergrund. Unser Angebot resultiert aus den Rückläufen des Lunchbuffets. Bisher haben wir durchweg positive Resonanz von den Abholern erhalten.“

Mitarbeiter von Grand The Sushi Circle: „Wir sind sehr überzeugt von der Idee, weniger bis gar kein Essen zu verschwenden. Täglich werden jeden Abend mindestens zwei Boxen verkauft, manchmal kurzfristig auch mehr, da bei unserem All-You-Can-Eat-Angebot immer Reste übrig bleiben. “ (sim)

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