„Wir haben ja uns“Wie eine irakische Flüchtlingsfamilie die Corona-Zeit erlebt hat

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Flüchtlingsfamilie

Die elfköpfige irakische Flüchtlingsfamilie

  • Die Corona-Krise bedeutet für Familien große Einschnitte. Home-Schooling, Kontaktverbot etc.
  • Wie schwierig muss es da sein, als elfköpfige geflüchtete Familie in einem Wohnheim zu leben?
  • Eine irakische Familie berichtet von ihrem Alltag in der Corona-Zeit.

Köln – „Ich wünsche mir, dass wir immer zusammen bleiben, vielleicht in einem Haus wie im Irak“, sagt die kleine Lane (9) (Namen sind geändert). Sie und ihre elfköpfige Familie leben zur Zeit im Wohnheim am Neubrücker Ring. Lane will mal Künstlerin werden, erzählt sie stolz. Denn malen ist ihre Leidenschaft. „In der Schule hängen meine ganzen Bilder, deswegen kann ich leider keines zeigen.“

Die Neunjährige ist im Irak geboren, genauso wie fast alle in ihrer Familie. Das jüngste Mitglied allerdings, drei Jahre alt, kam in Köln zur Welt. 2014 ist die heute elfköpfige Familie aus der irakischen Stadt Shingal vor den Gewalttaten der Terrororganisation IS geflüchtet. Zwei Jahre hat die zum Teil gefährliche Flucht nach Deutschland gedauert. Im Wohnheim am Neubrücker Ring 20 wohnen sie im Obergeschoss eines der insgesamt vier Wohnblocks, die dort 2017 um einen zentralen Aufenthaltsplatz errichtet wurden.

Corona-Zeit sorgte für Schwierigkeiten

„Es gefällt uns in Deutschland, ich schaue nicht in den Irak zurück“, sagt Jamal N. (37). Aber die Corona-Zeit sei schwer gewesen: Nur zu Hause, zu eng, keine Schule und die Kinder konnten nicht raus auf den Spielplatz, wie sie das wollten, blickt er auf die vergangenen Wochen seit dem Corona-Lockdown zurück.

Elf Personen in einem Apartment mit drei Zimmern, einem kleinen Wohnzimmer und einer größeren Küche können da leicht zu einer Belastung werden. Tochter Shilan (13) beschreibt anschaulich, wie sie und ihre Geschwister in den Zimmer schlafen: „Wir jüngeren sind zu fünft in einem Zimmer. Wir legen die Matratzen auf den Boden und schlafen dann kreuz und quer.“ Manchmal sei das schon doof, aber es geht schon, sagt sie.

Schulaufgaben von zu Hause machen

Die drei älteren Mädchen teilen sich das zweite Zimmer. Eine davon ist die 16-jährige Amina. Sie ist die zweitälteste Tochter von Mutter Maryam (36) und vermisst ihre Freundinnen in der Schule genauso wie die Kleinen. „Mit Whatsapp und Telefon halte ich Kontakt, aber sie fehlen mir“, sagt sie. In der Küche machen alle ihre Schulaufgaben, die sie von der Schule wegen der Sprache über eine Ehrenamtlerin per Mail zugesandt bekommen.

Sie haben, wie alle anderen Familien in dem Wohnheim auch, vom Kölner Flüchtlingsrat Laptops für das Lernen zu Hause gespendet bekommen. Bei drei Geräten bekommt jedes der Geschwister ausreichend Zeit, die Hausaufgaben zu machen. „Wir Älteren helfen den Kleinen, wenn sie mal nicht weiter wissen. Klappt aber nicht immer“, schmunzelt die Teenagerin.

Corona verhinderte das Sprechen der Sprache

Die Kinder des irakischen Ehepaares haben keine großen Probleme mehr mit der deutschen Sprache, auch wenn Corona regelmäßiges Deutschsprechen verhindert hat. Auch Vater Jamal lernt in der Küche regelmäßig die für ihn völlig neue Sprache – wenn es seine Zeit erlaubt. Seine vielen Kinder genießt er trotzdem und freut sich, dass er sie um sich hat und sie ohne Gefahr leben können. Etwas Positives also in Corona-Zeiten.

Sein großes Ziel ist, den deutschen Führerschein zu machen und Taxi- oder Lkw-Fahrer zu werden, wie im Irak. Seine Kinder geben im täglich Kraft, sagt er. Die Enge in ihrem Apartment nehme er hin. „Das geht schon“, sagt er etwas scheu auf Deutsch. Ob er etwas vermisse aus der Zeit im Irak? Jamal N. sagt nein. „Zu viel Krieg. Ich denke nur an Deutschland.“ Seine Frau Maryam vermisst hingegen etwas, das ihr nahegeht: „Meine Mutter und Brüder sind noch im Irak. Ich denke oft an sie.“ Die Kinder dagegen sind in Köln längst angekommen, auch wenn sie wenig aus dem Wohnheimgelände raus in den Stadtteil gehen.

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Die Corona-Regeln galten im Übrigen für die Wohnheim-Bewohner wie für jeden anderen Kölner auch, sagt Sozialarbeiterin Selda Aydinli, die mit weiteren Kollegen für die Bewohner Ansprechpartnerin im Wohnheim ist. „Wir haben alle seit dem Lockdown mindestens einmal wöchentlich über die neuesten Corona-Meldungen per Whatsapp oder telefonisch informiert.“

Seit Anfang Juni dürfen auch Besucher von außen wieder auf das Wohnheim-Gelände kommen. Besonders für die Kinder eine Gelegenheit,  ihre Freunde wieder zu sehen. Aber Tochter Amina sagt, dass sie lieber noch ein bisschen warte – wegen Corona. „Wir haben ja uns, da wird’s nie langweilig“, lächelt sie.

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