„Wir sind an der Grenze“Krisenstabsleiterin Andrea Blome über die Ausgangssperre

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Krisenstabsleiterin Andrea Blome.

Köln – Seit gut einem Monat leitet die designierte Stadtdirektorin Andrea Blome den Corona-Krisenstab. Jens Meifert und Matthias Hendorf haben mit der 61-Jährigen über die Pandemie gesprochen.

Frau Blome, Sie leiten seit 19. März den Krisenstab der Stadt. Bereitet Ihnen das schlaflose Nächte?

Andrea Blome: Ich bin ja nicht alleine in der Verantwortung, in der Verwaltung arbeiten viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen daran, dass wir gut durch die Krise kommen. Die Stadtverwaltung beweist ein enormes Durchhaltevermögen in der Bewältigung der Pandemie.

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Und Sie persönlich?

Das erste, was ich morgens mache: Ich schaue mir die Inzidenzzahlen an, das ist aktuell aufgrund der hohen Werte ein unerquicklicher Anblick. Danach lese ich die Berichte des Ordnungsamtes.

Vermutlich auch keine sonderlich angenehme Lektüre.

Stimmt, ja. Mich betrübt, dass unsere Mitarbeiter angefeindet werden, wenn sie Gruppen auflösen wollen. Die Grundstimmung ist teils aggressiv. Wir wollen doch alle unsere Freiheiten zurück. Als Stadtverwaltung haben wir es aktuell schwer, weil viele Menschen die Maßnahmen nicht mehr verstehen, auch weil Ursache und Wirkung der Maßnahmen nicht immer klar zu benennen sind. Wir sind der Einschränkungen doch alle überdrüssig geworden.

Die schärfste ist die Ausgangssperre, in Köln ist sie mit 21 Uhr sogar noch schärfer als im Bund. Wissen Sie, ob sie etwas gebracht hat?

Nein, das wird man frühestens 14 Tage nach Inkrafttreten erkennen können. Und wir werden auch dann nicht genau feststellen können, ob es an den Ausgangsbeschränkungen allein liegt oder an der Gesamtzahl der Maßnahmen. Wir haben uns extrem schwer damit getan, Grundrechte so massiv einzuschränken, das hat ja etwas Martialisches. Wir wollen aber verhindern, dass die Menschen im privaten Raum zusammenkommen. Ich muss aber sagen: Trotz der berechtigten Unzufriedenheit halten sich die meisten Kölner und Kölnerinnen daran.

Wie lange lässt sich mental eine solche Sperre durchhalten?

Das ist eine gute Frage. Jeder Tag weniger wäre ein guter. Aber die Situation auf den Intensivstationen ist nicht weniger dramatisch als vor zwei Wochen und die Zahl der Neuinfektionen nach wie vor viel zu hoch.

Wie sehr ringt der Krisenstab um Maßnahmen? Beispielsweise sollte die Skateranlage im Rheinauhafen geschlossen werden, blieb aber doch auf.

Wir ringen um jede Maßnahme an sich und um deren Praktikabilität. Und, ganz wichtig: Wir ringen auch um deren Akzeptanz in der Bevölkerung. Wir haben jetzt eine Grenze erreicht, das ist diese Ausgangsbeschränkung. Noch weitere Verschärfungen dürften ganz schwer werden. Das ginge eigentlich nur über eine bundesweite Regelung mit einem totalen Lockdown auch für die Wirtschaft. Aber wir tun alles, um das zu vermeiden.

Wie entscheidet die Stadt, ob man die Ausgangssperre über den 3. Mai hinaus verlängert?

Wir können nicht trennen, wie viele Inzidenzpunkte entfallen etwa auf geschlossene Schulen oder wie viele auf die Ausgangsbeschränkungen. Aber wenn die Inzidenzwerte insgesamt fallen und sich vor allem die Situation auf den Intensivstationen verbessert, dann können wir das insgesamt bewerten. Nochmal: Die Ausgangsbeschränkung ist keine isolierte Maßnahme.

Können Sie sich vorstellen, dass Köln auf die Bundeslinie einschwenkt, etwa wenn der Inzidenzwert unter 150 geht?

Wir liegen deutlich über 200, die 150 ist weit entfernt. Und die Bundesregelung greift ab 100.

Die Ausgangssperre

21 Uhr ist Schicht in Köln: Seit dem 17. April gilt die Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr, in dieser Zeit dürfen die Kölner sich draußen nur aufhalten, wenn eine von sieben Ausnahmen auf sie zutrifft, etwa der Arbeitsweg.

Am 3. Mai läuft die Verordnung aus, danach will die Stadt prüfen, ob sie etwas gebracht hat und gegebenenfalls verlängern – es gilt als wahrscheinlich (siehe Interview).  Köln ist damit deutlich härter unterwegs als das Bundesgesetz, demnach gilt die Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr. Und: Joggen oder Spazieren bis 24 Uhr sind alleine erlaubt – im Gegensatz zu Köln. (mhe)

Die Sperre gilt zunächst bis Montag. Gibt es am Montag also eine Information, ob es bei 21 Uhr bleibt oder doch 22 Uhr wird?

Noch einmal: Wir liegen weit über 200. Und selbst wenn wir am Montag bei 200 sind, würde ich nicht sagen: Okay, jetzt ist ja alles prima und wir können unsere verschärften Kölner Regeln zurücknehmen. Aus heutiger Sicht halte ich 22 Uhr für unrealistisch.

Ein Maßstab des Krisenstabs war mal, dass die Maßnahmen nachvollziehbar sein müssen, weil sich die Menschen sonst nicht daran halten. Viele Menschen verstehen die Ausgangssperre nicht, andere die Schulschließungen nicht. Gilt dieser Anspruch des Krisenstabs noch?

Da möchte ich widersprechen. Es geht immer um das Gesamtbild, auch wenn einzelne Maßnahmen vielleicht nicht nachvollziehbar erscheinen, etwa, warum der Zoo geschlossen hat. Dort sind die Menschen im Freien und können sich kaum anstecken. Es geht darum, die Mobilität insgesamt einzuschränken. Und das schränkt die Leute in ihrer Freiheit ein.

Wann ist die Herdenimmunität erreicht oder wann sind alle geimpft, die möchten?

Die Herdenimmunität liegt bei rund 70 Prozent. Ich denke, im September könnte es soweit sein. Aber das ist ein Stück weit Glaskugel, das ist mir bei dieser Aussage wichtig. Wenn wir im jetzigen Tempo weiterimpfen, sind zumindest die Prioritätsgruppen bis Juni abgearbeitet, und dann können sich alle impfen lassen. Wir müssen jetzt auch das Impfen in den stark betroffenen Veedeln forcieren.

Dort liegt die Inzidenz teils über 300, etwa in Chorweiler, Porz oder Mülheim. Die Coronaimpfverordnung sieht vor, dass man in Gebieten mit besonders hohen Inzidenzen von der Impfreihenfolge abweichen kann. Das heißt, dass die Arztpraxen in Hochinzidenzstadtteilen nach ärztlichem Ermessen jeden, der dort lebt, impfen können – unabhängig von Alter oder Vorerkrankung. Wir brauchen nun dringend zusätzlichen Impfstoff – für die Arztpraxen in diesen Infektionsschwerpunkten, aber auch für weitere niederschwellige Impfangebote etwa durch mobile Teams oder Impfveranstaltungen vor Ort.

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Und wann geht es los?

Sobald das Land uns zusätzlichen Impfstoff für die besonders betroffenen Stadtteile zur Verfügung stellt, können wir dort Sonderimpfungen organisieren, hoffentlich zeitnah. Wir sind vorbereitet.

Köln soll eine Modellstadt werden, also probeweise bestimmte Einrichtungen öffnen. Wie weit sind die Pläne?

Ich denke, in der nächsten Woche können wir etwas dazu sagen, welche Einrichtungen dabei sind. Es geht nicht um die gesamte Südstadt beispielsweise, sondern um einzelne Betriebe aus Kultur, Sport, Handel oder Gastronomie. Es ist aber räumlich klar eingegrenzt, mit Ein- und Auschecken sowie Schnelltest oder PCR-Test. Das könnte bei entsprechend gesunkener Inzidenz schnell gehen.

Wird der Bundesligist 1. FC Köln mit dem Rheinenergie-Stadion dabei sein?

Nein. Das ist zu schwierig abzugrenzen.

Wann können die Menschen draußen mal wieder ein Kölsch trinken?

Im Moment sehe ich das nicht. Es ist nicht absehbar, dass es im Juni möglich sein wird, also in einem ganz normal geöffneten Betrieb mit Biergarten.

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