Absage mit SignalwirkungLandesregierung empfiehlt Alkohol- und Verweilverbote

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Die klare Entscheidung aus Düsseldorf hat auf viele Karnevalsvereine geradezu befreiende Wirkung.

Köln – Die Erleichterung bei Kölns Festkomiteechef Christoph Kuckelkorn ist spürbar, als am Freitagabend klar ist, dass weder der Straßen- noch der Sitzungskarneval in der bevorstehenden Session wie gewohnt stattfinden wird. „Es kann kein Feiern um jeden Preis geben. Vor allem der Straßenkarneval hat uns große Sorgen bereitet“, sagte Kuckelkorn nach einem Treffen von Karnevalsvertretern aus Köln, Aachen, Bonn und Düsseldorf mit Nathanael Liminski, dem Chef der Staatskanzlei.

Für die Sessionseröffnungen am 11. November empfiehlt die Landesregierung den närrischen Hochburgen ein striktes Durchgreifen und das Aussprechen von Alkohol- und Verweilverboten für neuralgische Orte. „Jegliche Magnetwirkung in den Zentren muss vermieden werden“, so die Devise der Staatskanzlei. Die klare Entscheidung aus Düsseldorf hat auf viele Karnevalsvereine geradezu befreiende Wirkung. Denn viele Vereine stecken in der Bredouille, weil sie bereits für viel Geld Säle gemietet und Künstler engagiert haben und nur durch ein generelles Sitzungsverbot aus ihren Verträgen kommen. Das haben sie nun erreicht.

600 Millionen Euro pro Session

In den meisten Teilen der Republik mag diese Sorge um das regionale Brauchtum Unver-ständnis erzeugen, wo die meisten Menschen doch gerade um ihren Herbsturlaub bangen und angesichts steigender Corona-Infektionszahlen immer neue Reisewarnungen ausgesprochen werden. Doch in Köln ist Karneval ein Wirtschaftsfaktor. Erst in der vorigen Session hatte die Boston Consulting Group im Auftrag des Kölner Festkomitees die Wirtschaftskraft des Karnevals auf 600 Millionen Euro pro Session geschätzt.

Nur in Köln. Doch inmitten der Krise geht es längst um das Image des Karnevals. „Ganz Deutschland guckt auf Köln. Wir sind uns bewusst: Unsere Entscheidung hat eine Signalwirkung. Das bedeutet für uns auch eine große Verantwortung“, sagt Christoph Kuckelkorn, Präsident des Kölner Festkomitees.

Alternative Veranstaltungen

In der Region sind in den vergangenen Wochen vielerorts Karnevalsveranstaltungen und Umzüge abgesagt worden, mit leichtem Befremden wurde dort nach Köln geschaut, wo das Festkomitee im Sommer das Credo verkündet hatte: Den Karneval kann man nicht absagen, dafür ist er zu facettenreich. Das ist noch immer so. Viele Vereine haben nach Vorgabe des Festkomitees zuletzt fleißig an einem „Plan B“ gearbeitet, um sich auf die Corona-Session und die gängigen Hygienebestimmungen einzustellen.

Das neue Ziel ist die Durchführung „karnevalistischer Kulturveranstaltungen“, dies alles dann für 100 bis 200 Besucher und nicht für 1300, die sonst im Gürzenich oder den anderen großen Sälen feiern. Normalerweise verkaufen die 120 dem Festkomitee angeschlossenen Vereine zusammen rund eine Million Sitzungskarten.

Karneval in Zahlen

600 Millionen Euro beträgt die Wirtschaftskraft des Kölner Karnevals. Dies haben die Boston Consulting Group und die Fachhochschule im Auftrag des Kölner Festkomitees untersucht. Im Vergleich zu 2008 bedeutet dies eine Zunahme um knapp 30 Prozent. Ursache ist ein Zuwachs der Veranstaltungsformate und eine größere Termindichte etwa bei der Lachenden Kölnarena, zu der rund 10 000 Menschen pro Abend kommen. Zu den Karnevalszügen kommen rund 2,1 Millionen Menschen. Sitzungen werden von 835 000 Karnevalisten besucht, hinzu kommen neue Partyformate.

1,6 Millionen Kostüme werden jedes Jahr verkauft, die Textilbranche ist einer der großen Profiteure des Karnevals. Branchenriese Deiters hat neben dem traditionellen Mottoschal für diese Session auch Mundschutz-Masken produzieren lassen. Etwa 110 Millionen Euro werden laut Studie jedes Jahr durch den Kostümverkauf erwirtschaftet, eine Steigerung von rund 40 Prozent im Zehnjahresvergleich. Im Schnitt geben die Menschen 53 Euro pro Kostüm aus. Normalerweise lockt Köln im Straßenkarneval viele Touristen, zuletzt wurden 385 000 Übernachtungen gezählt.

257 Millionen Euro werden während der Session in der Gastronomie umgesetzt – dies ist der größte Anteil am Gesamtumsatz. Nach Verbandsangaben machen manche Kneipen innerhalb von fünf Tagen einen Drittel ihres Jahresumsatzes. Dies gelte auch für Städte wie Mainz, Düsseldorf und Mönchengladbach. Im Sessionsmonat Februar werden rund 80 Millionen Gläser Kölsch gezapft. Laut Untersuchung hängen in der Region rund 6500 Arbeitsplätze am Karneval, viele in der Veranstaltungsbranche. Etwa 30 000 Menschen engagieren sich ehrenamtlich in Vereinen. (tho)

Die großen Traditionskorps wie die Roten Funken haben sehnsüchtig auf das nun ausgesprochene Verbot der klassischen Sitzungen gewartet – „jetzt geht die Arbeit von vorne los“, kündigte Präsident Heinz-Günther Hunold an. „Wir müssen erstmal ermitteln, wer überhaupt zu einer Karnevalsveranstaltung kommen würde“, meint er. Es gehe jetzt darum, Formate zu entwickeln, „die ihre eigenen Regeln haben und mit nicht mit den herkömmlichen Sitzungen vergleichbar sind. Wir wollen skurrile Momente schaffen und der Situation mit einer gewissen Ironie begegnen“, sagt Hunold.

Nicht nur Vereine, sondern auch Hoteliers haben bereits alternative Konzepte erarbeitet. Das Linder-Hotel am Friesenplatz bietet Veranstaltungen für 150 Gäste, die an Zehner-Tischen sitzen, das alles nach speziellen Hygieneregeln. „Hierfür sind bei uns fast alle Termine geblockt worden“, erzählt Hotel-Direktor Dirk Metzner. Für Karnevalssamstag haben die Roten Funken bei der Stadt bereits ein Konzept für ihren traditionellen Funken-Biwak eingereicht – „dieses Mal mit weniger Menschen“, so Präsident Hunold.

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Horst Müller, der mit seiner Agentur „alaaaf.de“ normalerweise rund 450 Sitzungsprogramme für diverse Vereine in der Region erstellt, kennt die neuen Veranstaltungspläne. „Vier Stunden Programm, zwei Redner, zwei Bands soll es geben. Die Künstler stehen unter einem enormen Druck, alles wollen auf die Bühne und bieten Sonder-Gagen an“, weiß Müller. Doch er weiß auch, dass vielen kleinen Bands eine schwere Zeit mit sehr wenigen Auftritten bevorsteht. Aber: „Zur Absage gibt es keine Alternative. Das Image des Rheinlands steht auf dem Spiel“, stellt er fest.

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