Alltag AntisemitismusKölner Rabbiner sieht sich heftigen Anfeindungen ausgesetzt

Lesezeit 4 Minuten
In den vergangenen Monaten hatten sich Berichte gehäuft, wonach Kinder und Jugendliche jüdischen Glaubens auf Schulhöfen beschimpft werden.

In den vergangenen Monaten hatten sich Berichte gehäuft, wonach Kinder und Jugendliche jüdischen Glaubens auf Schulhöfen beschimpft werden.

  • Einfach mit der Bahn zu Terminen fahren – für Rabbi Brukner offenbar nicht möglich.
  • Er sieht sich heftigen antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt.
  • Die Berichte über Beschimpfungen gegenüber Juden nehmen zu.

Köln – Er wollte nicht im geschlossenen Auto an den Menschen vorbeirauschen. Nein, Rabbi Yechiel Brukner wollte viel lieber Köln von Grund auf und seine Bürger in direktem Kontakt kennenlernen. Deshalb hatte sich der neue Rabbiner der Synagogengemeinde an der Roonstraße nach seinem Amtsantritt im vergangenen September vorgenommen, zu seinen Terminen mit der Straßenbahn und nicht mit dem Dienstwagen zu fahren. Doch jetzt hat er von seinem Vorhaben wieder Abstand genommen. Der Grund: „Die antisemitischen Schmähungen gegenüber dem Rabbi nahmen in Kölns Stadtbahnen überhand“, wie der Geschäftsführer der Synagogengemeinde, David Klapheck, der Rundschau bestätigt. Brukner selbst war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Zu körperlichen Angriffen sei es nicht gekommen, sagt Klapheck. Aber immer wieder wurde Rabbi Yechiel Brukner massiv verbal angegangen. „Es ging soweit, dass ihm vorgehalten wurde, die Juden seien doch selbst Schuld an dem Leid, dass sie erfahren haben“, berichtet der Gemeindegeschäftsführer. Auch sei immer wieder Kritik an der israelischen Politik mit antisemitischen Verunglimpfungen verknüpft worden. Dabei seien die verbalen Angriffe von allen Teilen der Stadtgesellschaft ausgegangen. „Nicht nur Migranten gingen ihn an, die eventuell einen ausgeprägten Antisemitismus aus ihren Heimatländern mitgebracht haben“, so Klapheck. Auch Deutsche jeder Altersgruppe äußerten sich dem Geistlichen gegenüber feindlich.

„Erschrocken und wütend“

„Es war ein Querschnitt durch die Gesellschaft.“ Letztlich habe sich der 61-Jährige bei seinen Fahrten zu den Terminen diesen Anfeindungen nicht mehr aussetzen wollen. Er nimmt nun doch einen Dienstwagen in Anspruch, den er anfänglich abgelehnt hatte.

Alles zum Thema Deutscher Bundestag

„Ich bin erschrocken und wütend“, sagt Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. In der jüngsten Vorstandssitzung sei die Entscheidung des Rabbi Yechiel Brukner bekannt gegeben worden. „Das ist eine Entwicklung, die ich mir vor zehn Jahren noch nicht hätte vorstellen können“, sagt Wilhelm. Doch zugleich sieht er sich in seinen Mahnungen bestätigt. „Antisemitismus ist erneut in der Mitte der Gesellschaft angekommen, ist wieder salonfähig.“

Jüdisches Gymnasium an der Overbeckstraße

Ein jüdisches Gymnasium soll jüdisches Leben in der Stadt sichtbarer und damit selbstverständlicher machen. Schon lange hegt die jüdische Synagogengemeinde den Wunsch, eine solche Schule zu betreiben, wie es sie bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten gab. Mit dem aktuellen Schulentwicklungsplan steht es nun fest: Das Gymnasium kommt an den Standort Overbeckstraße in Ehrenfeld. Mit einem Bezug vor dem Jahr 2023 ist aber nicht zu rechnen.

Für ein tolerantes und weltoffenes Köln soll das das jüdische Gymnasium laut Schulentwicklungsplan stehen. „Die Schule wird offen Schüler anderer Glaubensrichtungen sein. Damit ist sie sowohl Ort des Lernens als auch Ort der Begegnung und des Miteinanders.“ Der Vorstand der Kölner Synagogen-Gemeinde, Abraham Lehrer, sagte kürzlich, dass er mit einem Unterrichtsstart im Jahr 2021 rechnet. Dafür muss aber noch ein Interimsstandort gefunden werden. (ngo)

Als Ursache macht der Vorsitzende nicht zuletzt die „Tabubrüche“ der Alternative für Deutschland (AfD) aus. „Ich erinnere nur an die Äußerung des Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag, Alexander Gauland, wonach die Nazidiktatur einen „Fliegenschiss“ in der deutschen Geschichte darstelle.“ Durch solche systematischen Tabubrüche werde die Hemmschwelle herabgesetzt. Soweit, dass ein Rabbiner in Köln nicht unbehelligt öffentliche Verkehrsmittel benutzen könne.

Südstadt-Pfarrer Hans Mörtter hatte in der Lutherkirche seine Gemeinde unterrichtet und dies sogleich mit einem eindringlichen Appell verbunden: „Wenn so etwas geschieht, läuft grundsätzlich etwas schief. Da dürfen wir nicht wegsehen, sondern müssen einschreiten.“ Er hätte sich nicht vorstellen können, dass so etwas in Köln passiert, sagte der Geistliche der evangelischen Gemeinde der Rundschau. „Ich habe das anfangs nicht geglaubt.“ Die Vorfälle zeigten: „Es ist nicht vorbei. Dieser Sud ist immer noch in den Köpfen drin.“ Es sei eine Herausforderung, dem zu begegnen, sagt Mörtter. „Was sind das für Leute, die so etwas tun? Woher kommt das?“ Wichtig sei, im Alltag aufzustehen, in der Bahn oder sonst wo. „Wir dürfen nicht schweigen, wenn wir schweigen wächst das weiter.“

„Köln trägt Kippa“

In den vergangenen Monaten hatten sich Berichte gehäuft, wonach Kinder und Jugendliche jüdischen Glaubens auf Schulhöfen beschimpft werden. Eltern teilten ihre Sorgen mit, weil ihre Kinder mit „Scheißjude“ oder „Du Jude“ verunglimpft oder beworfen worden seien.

Vor fast genau einem Jahr war es in Köln, Berlin und anderen Städten zu einer Solidaritätskundgebung gekommen. Unter dem Motto „Köln trägt Kippa“ hatten sich auf der Domplatte rund 1.000 Menschen versammelt und die traditionelle jüdischen Kopfbedeckung getragen. Ein breites Bündnis aus Politik, Kirchen und Zivilgesellschaft hatte die Solidaritätsaktion gegen Antisemitismus ins Leben gerufen.

Rundschau abonnieren