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AufwandsentschädigungenIn Köln erhalten Stadträte vier Mal weniger als in München

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Der Kölner Stadtrat (Archivfoto)

Der Kölner Stadtrat (Archivfoto)

Köln – Manchmal ist Malik Karaman, 50, während einer Sitzung des Stadtrats woanders mit seinen Gedanken. Dann denkt Karaman nicht über Anträge oder Reden nach, sondern sorgt sich um sein Reise- und Versicherungsbüro in Nippes. SPD-Ratsherr Karaman sagt: „Das habe ich immer im Kopf, diesen Gedanken: Hoffentlich läuft alles gut im Büro. So ist das als Selbstständiger. Wer etwas anders sagt, ist nicht ganz ehrlich.“ Der alte Spruch eben: Selbstständige arbeiten selbst und ständig.

Seit 2004 sitzt Karaman im Integrationsrat, seit 2009 im Stadtrat. Ehrenamtlich, neben seinem Job. Er wollte mitgestalten, nicht mehr nur zusehen. Jetzt gehört Karaman dazu, aber das hat seinen Preis, auf mindestens 40 Stunden im Monat schätzt er seinen Aufwand für das Ehrenamt.

Oberbürgermeisterin wirbt für mehr Geld

Um Karamans Aufwand aufzufangen zahlt ihm die Stadt monatlich 492,90 Euro Entschädigung, so schreibt es die Gemeindeordnung NRW für Städte mit mehr als 450 000 Einwohnern vor. Norbert Kersting von der Uni Münster sagt: „Der zeitliche Aufwand ist und bleibt enorm. Das ist für einige fast eine Ganztagsstelle.“

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Für die Rundschau haben Karaman und Linken-Ratsmitglied Güldane Tokyürek, 45, ihre Einnahmen beispielhaft für September 2017 dargelegt. Auf der Liste steht eben die Aufwandsentschädigung, zudem das Sitzungsgeld von 20,30 Euro. Vereinfacht gesagt erhält es jeder Politiker für Sitzungen der Ausschüsse oder des Stadtrates sowie der Fraktion. 20,30 Euro für sechs Stunden.

Andere Städte, mehr Entschädigungen

Karaman kommt auf 767,70 Euro – nach Abzug der üblichen Abgabe an Partei oder Fraktion, wie sie im Stadtrat Usus ist, die Höhe unterscheidet sich je nach Fraktion. Allerdings ist der September ein Ausreißer-Monat nach oben für Karaman, weil der Kölntourismus-Aufsichtsrat tagte. In den städtischen Gesellschaften wie der Tourismus-GmbH sitzen ausgewählte Politiker in diesem Gremium, Karaman erhält für jede der vier Sitzungen 250 Euro. Tokyürek ist wie Karaman Mitglied in zwei Aufsichtsräten, führt von der Entschädigung die Hälfte an die Partei ab – wie bei der Aufwandsentschädigung. Bei ihr bleiben für den September 307,35 Euro über, vor der Steuerabgabe ans Finanzamt.

In anderen Städten erhalten ehrenamtliche Stadträte mehr Geld im Monat: In München beispielsweise 2291,95 Euro, in Stuttgart 1500 Euro, in Frankfurt am Main 1023 Euro – also teils mehr als das Vierfache.

Henriette Reker ist für eine Anhebung

Die Politiker in Köln entscheiden über mehrere hundert Millionen Euro schwere Projekte oder den Haushalt von fast fünf Milliarden Euro. Geht das nebenbei? Können sie sich mit den Themen ausreichend beschäftigen, sie verstehen – und nebenbei arbeiten? Oder sollen die Politiker mehr Geld bekommen, um finanziell unabhängiger zu sein, um möglicherweise fundierter zu entscheiden? Und: Bedeutet mehr Geld überhaupt mehr Zeit und bessere Entscheidungen?

Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker sieht das so, deshalb hat sie im Januar an Ministerpräsident Armin Laschet geschrieben, eine Anhebung ist Ländersache. Besonders in Köln sei „eine ehrenamtliche Tätigkeit für Ratsmitglieder in der bisherigen Form nicht mehr zeitgemäß“. Die Stadt hat im Jahr 2015 insgesamt 1,76 Millionen Euro Aufwandsentschädigung an den Rat gezahlt, dazu noch 321.000 Euro Sitzungsgeld.

Karaman und Tokyürek betonen, sie hätten nichts zu verbergen, legen deshalb ihre Einnahmen offen. Andere sind verschlossener. Es ist ein Thema, über das nicht jeder reden möchte. Manches Ratsmitglied fürchtet, was die Arbeitskollegen denken. Das Motto: Für Politik ist Zeit da, für den Job nicht, die Kollegen müssen es ausbaden. Grünen-Ratsfrau Brigitta von Bülow sagt: „Es ist schon wichtig für mich, dass es bei meiner Arbeit Verständnis für meine Ratstätigkeit gibt, um dieses Ehrenamt auszuüben.“ Von Bülow arbeitet als Lehrerin auf 80-Prozent-Basis.

Beratungsumfang ist gesunken

Tokyürek ist im Jobcenter Mönchengladbach angestellt, nutzt die Zugfahrten, um sich für den Ausschuss Allgemeine Verwaltung vorzubereiten. Die Vorlagen der Verwaltung sind oft so spannend wie Beipackzettel für Arzneimittel formuliert. Tokyürek sagt: „Ich will die Sachen verstehen und gute Arbeit machen. Wir brauchen aber auch die Zeit dafür.“

Im Jahr 2017 gab es 322 Sitzungen aller Gremien des Rats. Laut Kersting ist der Aufwand aber weniger geworden, weil viele Städte Betriebe ausgegliedert haben, etwa in Stadtwerke. So sei der Beratungsumfang gesunken. Er sagt: „Das Spannende ist nicht das Geld, sondern der Einfluss auf die Gemeindepolitik.“

Trotzdem votieren viele Fraktionen für eine Steigerung, FDP-Fraktionschef Ralph Sterck setzt sich sogar für einige Vollzeitpolitiker ein. „Kommunalpolitisches Engagement ist heute für viele Berufstätige nicht möglich.“ CDU-Fraktionsgeschäftsführer Niklas Kienitz sagt: „Auch wir sind der Meinung, dass eine Verbesserung der Situation sinnvoll ist, weil der Arbeitsaufwand in den demokratischen Gremien einer Großstadt deutlich größer ist als in anderen Kommunen.“

Karaman wüsste schon, wofür er eine höhere Entschädigung einsetzen würde: für eine Halbtagskraft im Büro. Damit er mit seinen Gedanken seltener im Büro sein muss.

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