August Sander-Archiv„Er hat in seinen Bildern gelebt“

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Konditormeister Franz Bremer, 1928 von Sander fotografiert, auf der original Negativplatte aus Glas. (Foto: Hanano)

Konditormeister Franz Bremer, 1928 von Sander fotografiert, auf der original Negativplatte aus Glas. (Foto: Hanano)

Köln – Eine Glasplatte, 16,5 mal 12 Zentimeter groß, eingefasst in Pergaminpapier. Handschriftlich ist darauf vermerkt: „Gruppe 2, Mappe 7a, Konditor“. Das Originalnegativ aus dem Jahr 1928 zeigt den im Kessel rührenden Handwerksmeister Franz Bremer aus Lindenthal. Den Blick stolz geradeaus gerichtet, die Schuhe glänzen unter dem Arbeitsmantel. Es ist eine der berühmtesten Porträtaufnahmen von August Sander – ein Schatz, der in einer kleinen Schachtel in den Regalen der SK Stiftung Kultur im Mediapark schlummert. Und nicht der einzige.

6000 Originalabzüge und 10.500 Negative umfasst das August Sander Archiv, das seit 1992 der Photographischen Sammlung der Stiftung gehört. Schon die Geschichte des Archivs erzählt viel über den Künstler Sander, seinen Blick auf die Welt und auf seine Bilder. Sander kommt 1876 in Herdorf, einer Kleinstadt im Siegerland, zur Welt. Der Vater ist Bergzimmermann, doch der Sohn entdeckt früh die Fotografie, als Jugendlicher porträtiert er die „Wanderer am Hohenseelbachskopf“. Er verlässt den elterlichen Hof, als er zum Militär eingezogen wird und übernimmt in Linz an der Donau als junger Mann ein Fotoatelier. Der Oberschicht gefällt er mit seinen sensiblen Porträtaufnahmen und nennt sich fortan „Kunstfotograf“.

Sanders Wirken als Künstler beginnt, und das Archiv wächst. Vor allem nach dem Umzug nach Köln und der Gründung des Ateliers an der Dürener Straße. Arbeiter, Bürgerliche, Landstreicher und Zirkusleute porträtiert er. Das Werk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ wird zu einer Chronik der Zeit. 20.000 bis 30.000 Negative umfasst der Bestand bis zum Zweiten Weltkrieg, schätzt Gabriele Conrath-Scholl, Leiterin der Photographischen Sammlung. „Er hat in seinen Bildern und mit dem Archiv gelebt“, sagt sie. Und in diese Welt müsse man sich immer auch hineindenken.

Schon während der Krieges flüchtet Sanders Frau Anna nach Kuchhausen, einem Dorf in der Nähe von Altenkirchen. Sander schafft in Kartons und Manteltaschen Fotos aus der Stadt, die immer häufiger Ziel von Bombardements wird. 1944 liegt das Atelier in Schutt und Asche. Zwei Drittel des Archiv-Bestandes sind zerstört. „Es war auch ein Stück zerstörter Lebenslauf“, sagt Conrath-Scholl. Vorbei das Leben mit Kölner Künstlern, mit den Progressiven, mit Architekten wie Wilhelm Riphahn. Er rettet unter anderem das Bildmaterial zu „Köln, wie es war.“ 16 Mappen und über 400 Fotografien, darunter auch Aufnahmen der zerstörten Stadt. Ein historisches Statement, das er nach dem Krieg für 25.000 D-Mark an die Stadt Köln verkauft. Nach Sanders Tod 1964 übernimmt sein Sohn Gunther das Archiv. Er weiß um den Wert des Vermächtnisses und verwaltet es in Rottach-Egern.

Zu diesem Zeitpunkt sind bereits erste Bilder im Museum of Modern Art in New York zu sehen, Sander war längst für Sammler interessant geworden. „Es war immer Sanders Wunsch, dass die Nutzung seiner Bilder über das profan Kommerzielle hinausgeht“, sagt Conrath-Scholl. Ende der 80er Jahre kommt Enkel Gerd Sander, Galerist in den USA, nach Köln zurück und befasst sich mit dem Erbe. Über Jahre wird es in der St. Apern-Straße verwahrt, bevor es die SK Stiftung Kultur 1992 für einen Millionenbetrag ankauft. Genaue Zahlen nennt Conrath-Scholl nicht. Der Kauf ist zugleich Grundstein für die Photographische Sammlung.

Durch Neuankäufe, Schenkungen und Dauerleihgaben wird es schnell erweitert. Es kommt zu Kooperationen mit dem Sammlerehepaar Wilde, die Perspektive wird damit in Richtung des Werkes von Karl Blossfeldt und Albert Renger-Patzsch erweitert. 1996 wird eine Kooperation mit Bernd und Hilla Becher geschlossen.

Bis heute steht das August Sander Archiv im Zentrum der Sammlung. Sieben Mitarbeiter arbeiten in den Räumen im Mediapark. Etwa 40 Sander-Ausstellungen gab es seit 1993. „Sander hat sein Werk immer systematisiert“, sagt Conrath-Scholl. Das ermöglicht einen besonderen Zugang. In einem gesicherten Depotraum lagern die Negative in Archiv-Schachteln. „Bauernarchiv“, „Westerwald“ oder „Botanik“ steht auf den Schachteln. Erst vor wenigen Wochen meldete sich eine Zeitzeugin aus dem Westerwald in der Photographischen Sammlung.: „Ich bin auch von August Sander fotografiert worden.“ Das Bild der Dame ist in der aktuellen Ausstellung zu sehen. Das Archiv wächst weiter.

August Sander. Meisterwerke und Entdeckungen. Bis 3. August, SK Stiftung Kultur, Mediapark 7, täglich außer Mittwoch 14 bis 19 Uhr. Montags Eintritt frei.

Am 20. April jährt sich der Todestag von August Sander zum 50. Mal. In der SK Stiftung sind seine Bilder zu sehen, die Rundschau ist Medienpartner. In einer Serie blicken wir auf Leben und Werk des Fotografen.

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