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Biergarten wird zur FestungSo lief das Public Viewing beim Deutschland-Spiel in Köln

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Fans Public Viewing in Köln 2

Schon vor dem Spiel brachten sich Fans in Stimmung.

Köln – Normalerweise ist der Biergarten im Grüngürtel am Aachener Weiher einigermaßen gut in die Landschaft integriert. Die riesigen Sonnenschirme sind grün wie die Bäume, der Zaun aus dunklem Holz.

Am Tag des ersten Deutschland-Spiels bei der Fußball-Europameisterschaft wirkt das Freiluftlokal wie eine Festung. Metallzäune mit weißen Sichtschutzplanen begrenzen den Biergarten, niemand soll von außen auf die zahlreichen Monitore schauen können.

Josef Rayes ist zufrieden mit der neuen Form der Abgrenzung. „Die Ereignisse des vergangenen Wochenendes sind schädlich für den Ruf der ganzen Wiese“, gibt er zu bedenken. Hunderte Fußballbegeisterte hatten dicht gedrängt vor dem Biergarten die Spiele verfolgt, später am Abend flogen Flaschen gegen Polizisten und Ordnungskräfte. „Da wurden keine Abstände eingehalten, wir mussten etwas tun. Wir sind an einer guten Zusammenarbeit mit Stadt und Polizei interessiert“, betont Rayes.

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Junger Mann niedergeschlagen – Zeugen gesucht

Am Tag des Deutschland-Spiels veröffentlicht die Polizei einen Zeugenaufruf. In der Nacht nach dem Eröffnungsspiel der EM und den anschließenden Tumulten soll ein junger Mann (19) in Höhe des Biergartens niedergeschlagen worden sein. Als er sich am Samstag im Krankenhaus untersuchen ließ, stellten die Ärzte bei ihm einen zweifachen Schädelbruch fest. Die Tat soll sich am frühen Samstagmorgen um 3.15 Uhr ereignet haben. Der traurige Höhepunkt eines unruhigen EM-Auftakts.

Schon am späten Nachmittag trudeln am Dienstag die ersten Deutschland-Fans in Trikots im Biergarten ein, andere schlendern mit Bier über die Wiese, vorbei am Weiher. Dass die Stadt hier seit Dienstag ein Alkoholverbot verhängt hat, hat kaum jemand mitbekommen. Ein Student trinkt genüsslich ein Radler – alkoholfrei versteht sich. „Das Alkoholverbot ist mir auch neu. Aber die Ereignisse des vergangenen Wochenendes waren traurig. Hier lagen noch nie so viele Scherben wie am Samstag nach dem Eröffnungsspiel“, erzählt er. Er hatte im Internet die Chats von Feiernden verfolgt, die den Polizeieinsatz abwarten und anschließend weiter feiern wollten. „Dass hier 200 Leute dicht gedrängt stehen, finde ich unverhältnismäßig. Denn Corona ist noch nicht vorbei“, gibt der Student zu bedenken.

Die Stimmung ist am frühen Abend friedlich, viele Menschen am Weiher genießen die Sonne, andere warten im Biergarten auf die Fußballspiele. Als um 18 Uhr das Spiel zwischen Portugal und Ungarn beginnt, fährt das Ordnungsamt mit zwei Einsatzfahrzeugen auf der Wiese am Weiher vor, auch drei Rettungswagen fahren vor. Die Stadt zeigt Präsenz, doch die personelle Lage beim Ordnungsamt ist nach wie vor angespannt. Nach Rundschau-Informationen war das Ordnungsamt am Samstag mit 13 Mitarbeitern im Außendienst im Einsatz.

Um die Feierlaune des jungen Publikums in geregelte Bahnen zu lenken, hatte Klubkomm-Vorstand Mankel Brinkmann in der Rundschau unkonventionelle und flexible Lösungen für die Genehmigung von Partyflächen unter freiem Himmel gefordert. Am Dienstag folgte in der Kölner Politik einhellige Unterstützung für den Vorstoß. Das Ratsbündnis von Grünen, CDU und Volt hatte im Kulturausschuss eine Aktuelle Stunde beantragt.

„Ich bin erschüttert, verärgert und enttäuscht, dass Köln es nicht hinbekommt, in Coronazeiten Veranstaltungen Open Air schnell und unbürokratisch zu ermöglichen“, bemängelte die kulturpolitische Sprecherin der Grünen. Dass Feiernde – wie unlängst am Aachener Weiher – mit Flaschen werfen, wird auf breiter Front verurteilt. „Allerdings muss auch die Stadtverwaltung ihren Teil dazu beitragen, dass Feiern in Köln wieder möglich wird, ohne gegen geltenden Corona-Regeln zu verstoßen“, fordert die SPD. Gemeinsam mit Veranstaltern solle die Stadtverwaltung nun Konzepte entwickeln.

Ordnungsdebatte

Auch in anderen Städten gibt es Diskussionen um Sicherheit und Ordnung nach nächtlichen Angriffen auf Ordnungsbeamte. In Düsseldorf ist es am Rheinufer zu Attacken gekommen, fünf Polizisten wurden verletzt.

„Erschütternd“ nannte es der Düsseldorfer Oberbürgermeister, Stephan Keller (CDU), dass „jeglicher Respekt“ gegenüber den Einsatzkräften abhanden gekommen sei. Man habe es mit gesellschaftlichen Problemen zu tun“, sagte Keller der „Rheinischen Post“. Diese seien auch in anderen Städten zu erkennen, sagte er unter anderem mit Blick auf die Vorfälle in Köln. Auch in Münster war es zu Angriffen auf Ordnungsamtskräfte gekommen. Keller war bis zum vergangenen Jahr Stadtdirektor in Köln. (mft)

Auf eine Lösung hofft auch Josef Rayes vom Biergarten am Aachener Weiher. Er beobachtet seit Wochen das feierwillige Publikum auf dem Hügel nahe der Universitätsstraße. „Wir brauchen hier Licht, das schafft Sicherheit und Respekt“, schlägt er vor. Im Biergarten ist die Stimmung friedlich und fröhlich. Franzosen und Deutsche feiern Seite an Seite inmitten der Festung. Auch auf der Wiese vor dem Sitzschutz schauen einige Fans Fußball: auf ihrem Handy.

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