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Blick fürs Böse in KölnWie die neuen Experten für Gesichtserkennung arbeiten

Lesezeit 4 Minuten
Gesichtserkennung Kölner Polizei

Die Experten bei der Arbeit an der Bergisch Gladbacher Straße.

Köln – Ein paar Tage durfte sich ein Gepäckdieb über seine geglückte Flucht vor der Polizei freuen. In einem Zug hatte sich der vorbestrafte Mann eine fremde Tasche gegriffen und war im Dortmunder Hauptbahnhof mit seiner Beute ausgestiegen. Als er die Beamten erblickte, rannte er durch den Bahnhof und fuhr schließlich mit einem anderen Zug davon. Hinterlassen hat der Dieb lediglich Aufnahmen auf einer Überwachungskamera.

Enttarnt wurde der Unbekannte schließlich in der einstigen Moorslede-Kaserne an der Bergisch Gladbacher Straße in Köln. Neben dem Zollkriminalamt haben hier auch einige Abteilungen der Bundespolizei ihren Sitz. Erstmals verfügt die Bundespolizeidirektion St. Augustin jetzt über zwei Lichtbildexperten. Die Büros von Stefan Schmitz (40) und Nadine Gehrke (39/beide Namen geändert), befinden sich in der ersten Etage, von ihren Rechnern aus haben sie Zugriff auf Datenbanken von Landes- und Bundespolizei. Im Informationssystem „Inpol“ sind mehr als 5,8 Millionen Lichtbilder von etwa 3,6 Millionen Personen gespeichert. Hier entdeckten sie auch den Gepäckdieb aus Dortmund wieder.

Umfangreiche Kameraüberwachung

300 Überwachungskameras gibt es allein im Kölner Hauptbahnhof. Die Bilder der zentralen Bereiche des Bahnhofs werden live von Beamten der Bundespolizei verfolgt, so dass im Falle von Straftaten oder Notfällen schnell reagiert werden kann. Das Bildmaterial wird mehrere Tage gespeichert, so dass auch nachträglich noch nach Tatverdächtigen gesucht werden kann. Derzeit befindet sich die Bahnhofswache der Bundespolizei in mehreren Containern am Breslauer Platz.

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Die Kameras auf dem Bahnhofsvorplatz (Foto) gehören zum Zuständigkeitsbereich der Landespolizei. Vor fünf Jahren wurden hier die Kameras installiert, es folgten Neumarkt, Rudolfplatz, Breslauer Platz, die Ringe, Ebertplatz und der Wiener Platz. Insgesamt gibt es 73 Kameras.

200 verdächtige Personen sind im Jahr 2020 von der Bundespolizei in Nordrhein-Westfalen mit Fahndungsbildern gesucht worden. Meist wurden die Fotos nur im Intranet der Behörde veröffentlicht, in 23 Fällen genehmigten die Gerichte auch eine Öffentlichkeitsfahndung. Dabei spielt vor allem die Schwere der Straftat eine Rolle. Im zentralen polizeilichen Informationssystem Inpol sind neben den 5,8 Millionen Lichtbildern auch 3,5 Millionen Personenbeschreibungen gespeichert. (tho)

Die Gesichtsumrisse, der Abstand der Augen, der Verlauf des Nasenrückens, die Form der Ohren– die anatomischen Merkmale des menschlichen Gesichts sind vielfältig. „Die Liebe zum Detail ist wichtig, um Kleinigkeiten wie etwa Hautveränderungen zu erkennen. Oft ist die Arbeit mühselig“, weiß Gehrke, die bereits bei der Kriminalpolizei in Frankfurt für den Erkennungsdienst gearbeitet hat. Seit März ist sie für die Bundespolizei in Köln im Einsatz.

Das Verbrechen hat viele Gesichter. Der Suchlauf in einer Datenbank dauert wenige Minuten, dann präsentiert der Computer mehrere Fotos von Menschen mit großer Ähnlichkeit zur gesuchten Person. Schwarzfahrer, Räuber, Menschenhändler - die beiden Gesichtsexperten wissen nicht immer, wessen Identität sie gerade zu lüften versuchen. Bislang gab es die Lichtbildexperten in der Bundespolizei nur in der obersten Behörde in Potsdam, im Bundespolizeipräsidium, jetzt gibt es diese Experten unter anderem auch in Köln. „Wir sind die Dienstleister für die verschiedensten Abteilungen“, sagt Schmitz, der Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Sankt Augustin umfasst ganz Nordrhein-Westfalen mit allen Bahnhöfen und Flughäfen.

Drei Monate dauert die Ausbildung zum Lichtbildexperten. „Oft haben wir mit Störfaktoren zu kämpfen. Mit schlechter Bildqualität oder mit Verdächtigen, die Mütze oder Mund-Nasenschutz tragen“, sagt Gehrke. Dann ist vom Gesicht kaum noch etwas zu erkennen. Manchmal versuchen die Experten auch Personen zu identifizieren, deren erkennungsdienstliche Behandlung Jahre zurückliegt. „Die anatomischen Merkmale von Menschen verändern sich im Alter, all das müssen wir berücksichtigen“, erklärt Schmitz, der 2005 von der Bundeswehr zur Bundespolizei wechselte.

Etwa 54 000 Abfragen werden jedes Jahr von Zoll und Polizei im Gesichtserkennungsportal des Bundeskriminalamts durchgeführt. Die Experten in Köln kommen immer dann zum Einsatz, wenn an Tatorten entweder keine Spuren gesichert wurden oder die gesicherten Spuren wie DNA oder Fingerabdrücke nicht zur Personenidentifizierung geführt haben. Selbst eineiige Zwillinge können sie unterscheiden.

Als nach der chaotischen Silvesternacht 2015 im Kölner Hauptbahnhof Hunderte Strafanzeigen wegen sexueller Belästigungen und Diebstählen eingingen, hatte Scotland Yard sogenannte Super-Recognizer geschickt – Spezialisten, die bei der Videoanalyse Tatverdächtige aus sich bewegenden Menschenmassen herausfiltern konnten. Solche Feinheiten gehören nicht zum Job der Lichtbildexperten der Bundespolizei. „Hier geht es um die reine Gegenüberstellung von Aufnahmen“, erklärt Gehrke. Ihr Kollege bezeichnet seine tägliche Arbeit als „Nischenjob“, der sich von der klassischen Polizeiarbeit abhebt.

Die technischen Mittel gegen schlechte Kameraaufnahmen sind begrenzt. Selten werden Tatverdächtige frontal von einer Kamera erfasst, meist ist nur ein Teil des Gesichts zu erkennen. Alle Bahnhöfe sind videoüberwacht, die Kameraqualität hat sich in den vergangenen Jahren stetig verbessert. Falls die Ermittler Hinweise auf Namen von Verdächtigen haben, dürfen sie auch andere Behörden um Hilfe bitten, wo Ausweisbilder gespeichert werden, beispielsweise das Einwohnermeldeamt oder die Ausländerbehörde. Doch nicht alle Wege führen zum Erfolg. „Manchmal müssen wir einfach feststellen: Mit diesem Bildmaterial können wir leider nicht helfen“, sagt Gehrke.

Neben den Lichtbildexperten gibt es Sachverständige, diese Ausbildung dauert deutlich länger und berechtigt zur Anfertigung von Analysen und Expertisen für Gerichte.

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