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Bündnis ohne MehrheitKönnte der Kölner Rat ein Modell für Berlin sein?

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Kölner Puzzlespiel: Im Rat bildet Schwarz-Grün ein Gestaltungsbündnis, das in vielen Fragen von den Liberalen unterstützt wird.

Kölner Puzzlespiel: Im Rat bildet Schwarz-Grün ein Gestaltungsbündnis, das in vielen Fragen von den Liberalen unterstützt wird.

Köln – Was nun, Deutschland? Nach demAusstieg der FDP aus den Sondierungsgesprächen mit CDU, CSU und Grünen wird es in Berlin keine Jamaika-Koalition geben. Was in der Hauptstadt an letztlich unüberbrückbaren Differenzen gescheitert ist, funktioniert in Köln auf kommunaler Ebene seit drei Jahren weitgehend geräuschlos – wenn auch unter anderen Vorzeichen. Gerade weil die Berliner Gespräche krachend gescheitert sind, lohnt sich ein Blick auf die Mechanismen im Kölner Rathaus.

„Es ist eine schwierige Situation für Deutschland, wenn es den demokratisch gewählten Parteien nicht gelingt, eine Regierung zu bilden“, kommentierte Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) gestern die Lage der Nation. Das Land brauche eine handlungsfähige Regierung: „Wir haben keine Zeit für längeren Stillstand.“ Die unabhängige OB rührt schon eine Weile in dem Topf mit grüner, schwarzer und gelber Farbe. In Berlin wollte daraus kein einheitliches Bild entstehen. In Köln dominiert seit 2014 ein schwarz-grünes Gestaltungsbündnis.

Für eine Mehrheit fehlt schwarz-grün ein Sitz

Eine echte Jamaika-Koalition ist es nicht. Bei insgesamt 91 Sitzen im Stadtrat brauchen CDU (25 Sitze) und Grüne (18 Sitze) für die Mehrheit (46 Sitze) einen Partner. Die FDP (5 Sitze), die Reker im OB-Wahlkampf unterstützte, hat oft mit Schwarz-Grün gestimmt, ging zuletzt aber auf Distanz.

Alles zum Thema Henriette Reker

FDP-Fraktionschef Ralph Sterck übte deutliche Kritik an Grünen und CDU in verkehrs- und wirtschaftspolitischen Fragen, zog gar in Zweifel, ob die FDP das Bündnis ab 2020 weiter unterstützen wird. „In vielen Fragen wünschen wir uns von der CDU eine klarere Linie im Sinne bürgerlicher Werte“, so Sterck.

Geschäftsbündnis muss um Mehrheiten kämpfen

„Wir haben kein Jamaika, auch wenn das immer wieder behauptet wird“, sagt Jörg Frank, Fraktionsgeschäftsführer der Grünen. Das schwarz-grüne Gestaltungsbündnis müsse um Mehrheiten kämpfen. Das gelingt nicht immer, wie etwa bei der Abstimmung über die Erweiterung des FC-Trainingsgeländes im Grüngürtel. Damals stimmten CDU und FDP mit der SPD (26 Sitze) für den Ausbau. „In der Demokratie muss es nicht schädlich sein, um Mehrheiten zu ringen“, sagt Frank, der eine solche Konstellation auch in Berlin für möglich hält.

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Vor 15 Jahren sei das noch undenkbar gewesen, aber nun sei die Zeit der großen Blöcke rechts und links der Mitte vorbei. Neue Lösungen seien gefragt, und das könne eben auch eine Minderheitsregierung sein. Franks Erfahrung: „Das Ringen ist mitunter zäh, aber es geht.“

Bündnis in Köln funktioniert wegen „gegenseitigem Vertrauensverhältnis“

Frank spricht gerne vom „Sansibar-Bündnis“, wenn Entscheidungen im Rat – wie der Haushalt 2018 – mit den Stimmen von CDU, Grünen, FDP sowie der Wählergruppe GUT (2 Sitze) fallen. Sansibar, weil die Fahne dieses Landes neben Schwarz, Grün und Gelb auch Blau enthält – früher die Farbe der „Guten“.

Da Blau inzwischen jedoch mit der AfD verbunden wird, hat die Ratsgruppe GUT ihr Logo auf Rot-Weiß-Hellblau umgestellt. Da passt Sansibar nicht unbedingt. „Uns gefällt die Bezeichnung Jamaika Plus besser“, sagt Thor Zimmermann von GUT, der die konstruktive Zusammenarbeit beim Haushalt lobt. Wichtig zu wissen: Im Rat haben CDU und Grüne mit der OB und GUT die Mehrheit – auch ohne FDP.

Dass „Jamaika Plus“ in Köln trotz mancher Differenzen gut funktioniert, führt Sterck nicht zuletzt auf das „gegenseitige Vertrauensverhältnis“ zurück. „Menschlich stimmt die Chemie, auch wenn man inhaltlich anderer Meinung ist.“

Das sagen Kölner Bundestagsabgeordnete zum Scheitern von Jamaika

Sven Lehmann (Grüne): „Wir Grüne waren bereit, Verantwortung für das Land zu übernehmen. Immer wieder haben wir Kompromisse angeboten, die über unsere Schmerzgrenze deutlich hinaus gehen. Offenbar passen Inhalte und Vertrauen dieser vier Parteien nicht zueinander. Ein Sondierungs-Marathon nimmt ein denkbar schlechtes Ende. Der Ball liegt jetzt bei Angela Merkel. Aber auch die Sozialdemokratie ist aufgefordert, aus der Schmollecke zu kommen und sich der Situation zu stellen.“

Karsten Möring (CDU): „Wir müssen alle Alternativen ausloten, Neuwahlen sind die letzte Option und eine Bankrotterklärung gegenüber dem Wähler. Man muss abwarten, was es für mich persönlich heißt, aber meine Wahlkampfhelfer haben sich schon gemeldet und mir gesagt, dass wir es auch noch mal schaffen.“

Reinhard Houben (FDP): „Wenn von unseren Themen nichts übrig bleibt, muss man sagen: Es geht nicht. Und wenn Neuwahlen sein müssen, dann stehen wir wieder auf und fangen an, Wahlkampf zu machen.“

Karl Lauterbach (SPD): „Mich überrascht, wie schnell die Autorität von Angela Merkel verloren gegangen ist. Sie hätte in den Sondierungsgesprächen kämpfen müssen. Das Scheitern ist der FDP zuzuschreiben, ihr Ausstieg war stillos und selbstgerecht. Wir als SPD sind nicht die Hilfstruppe von Angela Merkel. Die Leute haben den Politikwechsel gewählt, wir stehen mit der Absage an eine Große Koalition im Wort.“

Das sagt die Kölner Wirtschaft zum Scheitern von Jamaika

Ulf Reichardt (IHK): Das bringt für den regionalen Wirtschaftsstandort Unsicherheit mit sich. Stabilität und die Fähigkeit zu politischen Kompromissen sind immer Qualitätsmerkmal deutscher Politik gewesen. Als exportstarke Region sind wir von einer Verunsicherung unserer Marktpartner direkt betroffen. Die Politik ist jetzt gefordert, für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands eine starke Regierung zu bilden.

Ortwin Weltrich (Handwerkskammer): Deutschland kann sich politischen Stillstand nicht leisten, die Bundespolitik muss die Weichen stellen, um unser Land fit zu machen. Die Bundesrepublik steht vor erheblichen Herausforderungen, von der längst fälligen Erneuerung der Infrastruktur über Verbesserungen im Bildungswesen bis zur Bewältigung der Diesel-Krise und der Integration der Flüchtlinge.

Witich Roßmann (DGB): Die Lindner-FDP hat sich erfolgreich aus der Koalitionsbildung katapultiert. Die Kölner Gewerkschaften habe eine Jamaika-Koalition von Anfang an kritisch gesehen, da von ihr keine Impulse für den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt ausgehen.

Mark E. Kurtenbach (Wirtschaftsclub): Die Wirtschaft ist enttäuscht. Es besteht die Gefahr, dass die Herausforderungen der Zukunft jetzt nur verzögert angegangen werden können und eine längere Phase der Unsicherheit auf das Land zukommt.

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