Köln-ChorweilerWie Eltern, Kinder und Lehrer den dramatischen Amok-Alarm erlebten

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Hinter einer Polizeiabsperrung warteten die Eltern sehnsüchtig auf sie. 

Köln – Es sind bedrückende Szenen vor der Heinrich-Böll-Gesamtschule in Chorweiler am Freitagvormittag. Menschen liegen sich in den Armen, weinen und trösten ihre Kinder, daneben steht eine Mutter mit Tränen in den Augen, andere winken.

Mehrere hundert Menschen stehen an der Nogatstraße aufgereiht vor einer Polizeiabsperrung. Die Blicke derer, die noch auf ihre Kinder warten, sind starr auf die Schule gerichtet: Wann wird endlich mein Sohn oder meine Tochter heraus gebracht?

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Das Schulgelände ist groß, in direkter Nachbarschaft steht eine Grundschule. Einige Eltern und Kinder müssen lange warten. Der Einsatz beginnt um 9.30 Uhr. Die letzten Kinder werden gegen 13 Uhr herausgeführt.

 „Mein Herz hat die ganze Zeit gewummert“

„Ich habe mich unter meinen Tisch versteckt“, sagt ein Junge. Seiner Mutter ist das nervenaufreibende Warten ins Gesicht geschrieben. Ihre Augen sind verweint. „Mein Herz hat die ganze Zeit gewummert“, sagt sie und geht von der wartenden Menschenmenge Richtung Heimat. Ein Mädchen will nur nach Hause, kollabierte aber auf der Straße. Polizisten und Sanitäter kümmern sich um das völlig verängstigte Mädchen und tragen es in einen Rettungswagen.

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Schwer bewaffnet  und besonders geschützt waren die Polizisten rund um die Gesamtschule in Chorweiler im Einsatz. 

Was war passiert? Ein Schüler (12) hatte am Morgen gesehen, wie ein Mann mit einer Waffe die Gesamtschule betritt.

Amok-Alarme und Fehlalarme

2007 wollten im November zwei Schüler des Georg-Büchner-Gymnasiums in Weiden ein Attentat auf Lehrer und Mitschüler verüben. Die Tat konnte verhindert werden, weil aufmerksame Mitschüler auf verdächtige Internet-Einträge in einem Schülerforum stießen. Der Autor wurde zur Rede gestellt, die beiden ließen von dem Vorhaben ab. Der Jüngere nahm sich kurze Zeit darauf das Leben.

2013 wurde der Leiter einer Kita in Chorweiler von einem Geiselnehmer in seine Gewalt gebracht. Der Täter stellte mehrere Ultimaten. Nach zehn Stunden Martyrium und mehreren Stichverletzungen befreite ein SEK-Kommando den Kita-Leiter und überwältigte den Geiselnehmer.

Ein Notruf aus dem Gymnasium Kreuzgasse löste 20. Oktober 2014 einen Großeinsatz der Polizei aus. Sechstklässler hatten angegeben, einen Mann im dritten Stock gesehen zu haben. Er soll einen Gegenstand bei sich geführt haben, der wie eine Pistole aussah. SEK-Beamte räumten das Gebäude, suchten nach dem Verdächtigen, fanden aber niemanden.

Ein Fehlalarm am 24. Januar 2020 an der Gesamtschule in Mülheim war wahrscheinlich die Folge von Vandalismus. Mitarbeiter der Wartungsfirma waren auf Kabel gestoßen, deren Isolierung entfernt worden war.

Ein Programmierfehler in der Software der Grundschule Merkenich hatte am 12. Februar 2020 zu einem Amok-Fehlalarm geführt – der Hausmeister-Knopf war versehentlich mit dem Alarmknopf für Amok-Läufe zusammengeschaltet worden.

2021 stürmte im November ein Mann in eine Kita an der Flora und drohte, die Einrichtung in die Luft zu sprengen. Die Erzieherinnen und Erzieher konnten die Kinder aus dem Gebäude bringen, der Täter wurde von der Polizei überwältigt. Sprengstoff wurde bei ihm nicht gefunden. (two)

Der Junge wählte den Notruf und löste damit den Großeinsatz aus. Polizisten aus verschiedenen Städten eilten nach Köln, bei den Spezialeinheiten wurde „Vollalarm“, in beiden Schulen Amok-Alarm ausgelöst.

Die Schüler schlossen sich mit ihren Lehrern in ihren Räumen ein. 1700 Menschen hielten sich am Freitagvormittag laut Polizei in der Gesamtschule auf. Rund 300 Kinder waren es in der benachbarten Schule, die ebenfalls geräumt wurde. Für Eltern wurde eine Anlaufstelle eingerichtet, während die Polizei das Gelände absuchte. Seelsorger und Mitarbeiter der psychosozialen Unterstützung der Stadt Köln waren vor Ort, um Kindern, Pädagogen und Eltern Beistand zu leisten. „Es ist für alle eine sehr belastende Situation“, sagte ein Polizeisprecher.

Um 10.44 Uhr dann die erste vorsichtige Entwarnung durch die Polizei. Nach intensiver Suche der Spezialkräfte konnte keine bewaffnete Person gefunden werden. Doch die Kräfte hatten gerade erst mal die Hälfte der Gesamtschule durchsucht, und die Grundschule war noch nicht dran. Dort hockten die Schüler und Lehrer noch in ihren Klassenräumen – aber auch dort fanden die Polizisten keinen Mann mit Waffe. Beamte nahmen zwar kurzfristig einen Mann fest. Später jedoch wurde er wieder frei gelassen. In einem Klassenraum der Gesamtschule machten die Einsatzkräfte dann einen Fund, der vielleicht Aufklärung bringen kann. Entdeckt wurde Munition für eine Softair-Waffe.

Hatte der Schüler einen Mann mit einer täuschend echt aussehenden Sportwaffe gesehen? „Wir überprüfen das. Die Ermittlungen zum Besitzer dauern noch an“, sagte ein Polizeisprecher der Rundschau. Ein Zusammenhang zum Alarm werde untersucht.

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Spezialkräfte begleiteten die Kinder aus der Schule heraus. 

Der Schüler ist nach dem Notruf nochmals von den Polizisten befragt worden. „Der Junge blieb bei seiner Beobachtung. Er machte glaubwürdige Aussagen“, betonte die Polizei.

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Mit einer Maschinenpistole bewaffnet sichern Polizisten die Schüler auf dem Weg ins Freie. 

Softair-Waffen sind Druckluftwaffen, die überwiegend bei Gelände- und Verfolgungsspielen eingesetzt werden und echten großkalibrigen Waffen täuschend ähnlich sind. In der Vergangenheit gab es in Köln mehrfach Einsätze wegen dieser Sportwaffen. In einem Fall in Ehrenfeld vor einigen Monaten waren Polizisten kurz davor, von ihrer Schusswaffe Gebrauch zu machen, weil ein Mann sie mit einer Softair-Waffe bedrohte. Vergleichbare Fälle gab es am Neumarkt oder in Bahnen.

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