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Crash-Labor bei Ford in KölnNeue Schlittenanlage ersetzt herkömmliche Crash-Tests

Lesezeit 4 Minuten
Vollgas: Im Entwicklungszentrum rast ein Fahrzeug gegen die Wand. Vom Auto bleiben Schrott – und wichtige Daten.

Vollgas: Im Entwicklungszentrum rast ein Fahrzeug gegen die Wand. Vom Auto bleiben Schrott – und wichtige Daten.

  • Im neuen Crast-Labor von Ford in Merkenich werden Autos mit 80-facher Erdbeschleunigung gegen die Wand gefahren
  • 15,5 Millionen Euro hat das Labor gekostet
  • Crashtests sind noch unverzichtbar für neue Sicherheitstechnologien

Köln – Der rechte Scheinwerfer hängt noch am berühmten seidenen Faden, die Motorhaube ist kräftig gefaltet, Stoßstange und Kühlergrill bis zu den Vorderrädern zurückgeschoben. Der Aufprall mit 50 Stundenkilometer auf eine Wand im neuen Crash-Labor von Ford in Merkenich hat bei dem neuen Ford Focus deutliche Spuren hinterlassen. Der Wagen dürfte nur noch Schrottwert haben. „Ich würde ihn jedenfalls nicht mehr reparieren lassen“, sagte Ford-Sprecher Volker Eis. Hätten nicht Dummies, sondern echte Menschen bei dem Aufprall im Fahrzeug gesessen, wäre ihnen wohl nicht viel passiert. Viel mehr als Schmerzen im Nacken hätten sie wohl nicht, meint Eis.

Das ist das Ergebnis von vielen Tests. Etwa 80 Prototypen werden dafür gebraucht, 40 bis 50 werden vor die Wand gefahren oder einem seitlichen Aufprall ausgesetzt.

Die vielen Tests gehen ins Geld. Prototypen sind Handarbeit für etwa 400 000 Euro pro Stück. Dennoch kann noch kein Autobauer darauf verzichten. „Umfassende Crashtests liefern uns eine Fülle an Informationen“, sagt Stephan Knack, der Leiter des Crash-Labors in Merkenich. Virtuelle Tests am Computer seien leider noch nicht so zuverlässig.

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15,5 Millionen Euro für neues Crash-Zentrum

Teils können Crash-Tests aber durch eine neue Schlittenanlage ersetzt werden, die seit Jahresbeginn in Merkenich in Betrieb ist. Allein fünf Millionen Euro hat sie gekostet, das gesamte Crash-Zentrum 15,5 Millionen. Anfang des Jahres wurde der Betrieb aufgenommen. Fahrzeuge oder Teile der Karossen werden auf einen Schlitten montiert und mittels einer Hydraulik mit einer Kraft von 250 Tonnen auf bis zu 80-fache Erdbeschleunigung katapultiert. „Wie bei einem Raketenstart“, sagt Eis. So entsteht eine Belastung wie bei einem echten Verkehrsunfall.

In der Anlage, in der 1500 Tonnen Beton verbaut wurden, um den Kräften Stand zu halten, lassen sich etwa die optimale Position von Gurthalterungen ermitteln oder wie Gurtstraffer oder Airbags funktionieren sollen, ohne dass gleich Fahrzeuge zerstört werden. Schließlich müssen die Fahrzeuge unterschiedliche Anforderungen in unterschiedlichen Märkten erfüllen.

In den USA sind etwa andere Stoßfänger und andere Airbags nötig, um gute Noten in Crash-Tests zu erhalten. Schließlich gibt es US-Staaten, die keine Gurtpflicht kennen. Da waren ganz andere Anforderungen an die Rückhaltesysteme gestellt. Auch in Südamerika oder in Asien unterscheiden sich Anforderungen an die Sicherheit der Fahrzeuge.

Mehr Sicherheit durch moderne Technik

Vier Crashtests pro Tag können simuliert werden. Sie werden mit Hilfe von Hochgeschwindigkeitskameras, die bis zu 1000 Bilder pro Sekunde aufnehmen, analysiert. Auch die Daten von bis zu 70 Sensoren in Crash-Test-Dummies können ausgewertet werden. 600 000 Euro pro Stück kostet die neuste Dummy-Generation, ältere Exemplare ein Drittel davon.

Als Lohn für die Entwicklungs- und Testarbeit hat der neue Focus beim standardisierten europäischen Crash-Test die Bestnote von fünf Sternen erhalten. Härterer Stahl sorgt etwa für die Sicherheit der Insassen im Dachbereich. Auch härteres Aluminium wird verbaut. Beides spart gleichzeitig Gewicht ein. Für die Insassensicherheit bei einem Unfall ist freilich eine Mischung aus starren und verformbaren Materialien, die Energie aufnehmen, wichtig. Auch mehr Beinfreiheit hinten und ein etwas großzügigerer Fußraum vorne verringern die Gefahr von Verletzungen.

Besser ist es freilich, wenn es gar nicht erst zu Unfällen kommt. Dabei soll im Focus ein Paket von Assistenzsystemen helfen. Da wird etwa hör- und sichtbar Alarm geschlagen, wenn der Fahrer „Einfahrt verboten“-Schilder auf der Autobahnauffahrt überfährt und so zum Geisterfahrer werden könnte. Ein anderes System warnt vor Zusammenstößen mit Hindernissen, Fußgängern oder Fahrradfahrern. Reagiert der Fahrer nicht, bremst es automatisch mit voller Kraft. Und per Radar wird Querverkehr entdeckt, wenn beim Ausparken etwa ein Transporter die Sicht verdeckt.

Das Entwicklungszentrum

Rund 4000 Mitarbeiter sind im Entwicklungszentrum von Ford in Merkenich beschäftigt. 17 Entwicklungsabteilungen zählen heute zum Zentrum im Kölner Norden. Die größte ist die sogenannte „Fahrzeug-Evaluation und Verification“. Dort werden die entwickelten Autos geprüft. Getestet werden Prototypen und Teile, neben dem Crash-Test-Center, im Klimawindkanal-Zentrum, Fahrwerktests, Elektronik- und Komponenten-Tests gehören ebenfalls dazu.

Die hauseigene Teststrecke nutzen Ingenieure, um unter realen Straßenbedingungen zu testen, was im Labor erprobt worden ist. Wesentlich wichtiger ist für Ford aber das Testzentrum im belgischen Lommel. Dort sind auf 80 Kilometer Länge Straßenbedingungen aus unterschiedlichen Regionen der Welt

nachempfunden.

52 Hektar, umgerechnet etwa 73 Fußball-Felder, ist das Gelände groß.

50Jahre alt ist das Entwicklungszentrum in Merkenich in diesem Jahr geworden. Im für damals 100 Millionen D-Mark errichteten Zentrum wurden mehrere Abteilungen gebündelt und ausgebaut. Am Anfang

standen die Teststrecke, Labore für Zuverlässigkeitstests, Motorprüfstände und Klimakammern sowie die Crash-Test-Anlage. (mft)

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