Das „andere Gespräch“ mit Andreas Rettig„Der Profifußball bewegt sich in einer Blase“

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Andreas Rettig

Andreas Rettig sitzt inmitten von Viktoria-Trikots 

  • Im „anderen Gespräch“ dürfen Prominente das Thema wählen.
  • Andreas Rettig (58) ist bestens vorbereitet. In seinem Büro der Geschäftsstelle des Fußball-Drittligisten Viktoria Köln hat er einen Flipchart aufgebaut. Es geht um „Führung“.
  • Thorsten Moeck unterhielt sich mit ihm.

Sie haben was vorbereitet. Erzählen Sie mal, wobei ich auch noch Fragen hätte.

Das Thema Führung ist in fast allen Bereichen wichtig, mir geht es vorab um die Definition, denn jeder versteht etwas anderes darunter. Meinem Selbstverständnis von Führung kommt es am nächsten, Dienstleister für Mitarbeiter zu sein. Das unterstellt aber, dass die Mitarbeiter Lust auf Erfolg haben. Das zu unterstützen, ist für mich ein wesentlicher Punkt. Die Zeit von Befehl und Gehorsam ist vorbei, mit soldatischem Denken lässt sich kein Team mehr lenken.

Die „Basta“-Mentalität eines Gerhard Schröder ist überholt.

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Ja, das Anspruchsdenken auch der jüngeren Generation ist ein ganz anderes geworden. Es wird mehr hinterfragt, die Mitarbeiter möchten mitgenommen werden. Da ist von Führungspersonen mehr Überzeugung, mehr Kommunikation und Transparenz gefordert.

Wann haben Sie bemerkt, dass Ihnen das Chefsein liegt und Ihnen die Menschen zuhören?

Ich hoffe, dass es so ist. Aber ich war schon immer recht kommunikativ.

Waren Sie früher in der Schule schon Klassensprecher?

Das war ich schon mal. Aber mein loses Mundwerk war nicht immer förderlich. Mir sind nicht alle Herzen zugeflogen. Später gehörte ich in der Fußballmannschaft zum Spielerrat und habe immer meine Meinung gesagt.

Als junger Mensch wird man geführt - von Eltern, Lehrern, Trainern. Wer hat Ihnen Orientierung gegeben?

Das war schwierig. Meine Mutter war alleinerziehend, wir waren vier Kinder. Zu meiner Mutter habe ich aufgeschaut, obwohl wir nicht auf Rosen gebettet waren, konnte ich Abitur machen. Das hatte einen prägenden Einfluss. Meine Mutter hat uns stets vorgelebt: ohne Fleiß kein Preis.

Haben Sie sich eine Vaterfigur als Vorbild gesucht?

Es gab immer Menschen, denen ich mich anvertraut habe. Während meiner Zeit bei Bayer waren das meine Mentoren Reiner Calmund und Kurt Vossen, der damalige Fußballchef. Das waren Personen, die mir eine gewisse Orientierung vermittelt haben. In Freiburg war Volker Finke, der damalige Trainer, eine wichtige Bezugsperson. Bis heute ist es für mich auch Karl-Ludwig Kley, einer der Top-Manager unseres Landes. Er ist aktuell Aufsichtsratsvorsitzender von E.ON und der Lufthansa. An meinen beruflichen Entscheidungen lasse ich ihn teilhaben, weil er ein großes analytisches Vermögen hat.

Wie wichtig sind solche Vertrauenspersonen, die das eigene Handeln reflektieren?

Das ist sehr wichtig als Korrektiv. Ich suche mir gerne Menschen, die es frei von Eigeninteressen gut mit einem meinen und auch mal sagen: da bist Du auf dem falschen Weg. Meine Frau gehört zu meinen größten Kritikern. Als wichtigste Ratgeberin schärft sie meine Sinne im täglichen Leben. Denn der Profifußball bewegt sich in einer Blase. Wir definieren uns nicht über das Mehr im Portemonnaie, Designerklamotten oder ein dickes Auto. Da empfehle ich dann auch jedem unserer Spieler die Lektüre von Erich Fromm „Haben oder Sein“.

Zur Person

Andreas Rettig wurde am 25. April 1963 in Leverkusen geboren. Nach dem Abitur absolvierte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei Bayer. Zugleich spielte er als Fußballer in der Oberliga Nordrhein (damals die dritthöchste Spielklasse) für Bad Honnef, Viktoria Köln, SC Brück und Wuppertal.

Vier Bundesliga-Vereine waren bislang Arbeitgeber von Andreas Rettig. Begonnen hatte er 1998 als Manager des SC Freiburg (bis 2002), Es folgten Stationen als Manager beim 1. FC Köln (2002 -2005), FC Augsburg (2006 -2012) und beim FC St.Pauli (2015 -2019). Zwischendurch war er von 2013 bis 2015 Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL), ließ seinen Vertrag aber auflösen, um zur Vereinsarbeit zurückzukehren.

Im Mai wurde Rettig als neuer Manager bei Viktoria Köln vorgestellt. Dort unterschrieb er einen Vertrag über vier Jahre.

Aber als 18-Jähriger hatten Sie dieses Buch vermutlich auch noch nicht gelesen.

Ich bin nicht missionarisch unterwegs. Und es hat auch bei mir einen Prozess gegeben in dieser Frage. Zu Beginn seines beruflichen Lebens ist man vielleicht noch kompromissbereiter und heult das ein oder andere Mal mehr mit den Wölfen. Aber ich bin in 30 Profijahren noch nie entlassen worden, das können nicht viele von sich behaupten.

Als sie 2005 in Köln ihren Job als Geschäftsführer beim FC hingeschmissen haben, hieß es stets, Sie seien damit Ihrer Entlassung zuvorgekommen.

Der damalige Präsident Wolfgang Overath hat damals noch in der Nacht versucht, mich zum Bleiben zu überreden. Ich wollte aber die Verantwortung für die aktuelle Situation übernehmen und mich nicht mit einem goldenen Handschlag verabschieden. Auch wenn ich dadurch auf viel Geld verzichtet habe.

Bei Viktoria Köln gibt es jetzt eine Gemeinwohl-Klausel in den Verträgen der Spieler und Angestellten. Ist das auch nicht missionarisch?

Themen wie Nachhaltigkeit haben mich immer interessiert. Nicht erst, seitdem Greta durch die Welt läuft. In Freiburg waren wir Ende der 1990er Jahre der erste Verein, der Solarzellen aufs Dach gelegt hat. Wir hatten eine Hackschnitzler-Anlage zur Energiegewinnung für die Fußballschule installiert. In Augsburg haben wir CO2 neutral das Stadion gebaut. Bei St. Pauli haben wir auch Bienenvölker auf dem Stadiondach etabliert. Diese Sicht auf die Dinge hat sich bei mir auch mit der Zeit ergeben.

Wäre so etwas auch in der Bundesliga denkbar? Spieler, die einmal im Monat im Seniorenheim helfen?

Bei meinem ersten Treffen mit der Mannschaft habe ich meistens einen Flipchart genommen und die Gehälter sowie die Wochenarbeitszeit von fünf Berufsgruppen aufgeschrieben. Von der Krankenschwester bis zum Busfahrer. Dabei ging es mir um das Bewusstsein der Spieler und der Feststellung: wir leben hier im Schlaraffenland. Das hat viel mit Glaubwürdigkeit zu tun und ist für mich keine Frage der Ligazugehörigkeit.

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Haben Sie sich immer Vereine gesucht, in denen Sie viel gestalten konnten. Freiburg, Augsburg und St. Pauli galten ja immer als eher familiär.

Ja, absolut. Diese Beinfreiheit war mir immer wichtig, hinzu kamen die handelnden Personen. Das Hemdsärmelige, Pragmatische ist mir lieber. Ich bringe mich gerne ein statt in starren Hierarchien verhaftet zu sein. Damit sind wir wieder beim Thema Führung. Und in diesem Punkt sind einige Sportverbände vom Weg abgekommen. Da fehlt für mich der Bezug zur Realität.

Aber Sie wechseln nicht zum Deutschen Fußball-Bund (DFB)?

Nein, das ist nicht geplant.

Aber die Vorgänge dort haben Sie extrem geärgert.

Eines der größten Probleme beim DFB ist für mich die Zusammensetzung von Gremien. Die funktioniert nicht nach dem Qualitäts-, sondern nach dem Regionalitätsprinzip. Am Ende sitzen da vielleicht zwölf Juristen im Präsidium. Da fehlt es mir an glaubwürdiger Orientierung.

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