Das „Making of“ des KunstwerksWie Niedeckens exklusive Collage entstanden ist

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Wolfgang Niedecken in seinem Arbeitszimmer

Hinten in seinem Atelierzimmer: Kladden mit Songtexten, Kartons mit Skizzen, Apfelsinenkisten voller Kunst-Materialien. Vor ihm: das Motiv, das Wolfgang Niedecken nie wieder losgelassen hat. Es ist der Blick auf den Vierungsturm des Kölner Doms. In der Aufnahme, die Walter Dick 1946 vom Südturm des Doms geschossen hat, liegt die Hohenzollernbrücke zerstört im Rhein. Es ist eine Kriegsmahnung, ein „Memento Mori“, das Bild sagt: Nie wieder! „Das Foto hat mich immer sehr ergriffen“, sagt der Künstler, der am Dienstag 70 Jahre alt wird. „Ich habe immer einen Kloß dabei im Hals.“

Für die Leser der Rundschau hat Niedecken sich künstlerisch mit dem Bild auseinandergesetzt und eine Collage erstellt. Der Titel: „Vierungsturm/Alles fließt“. Es ist ein Geschenk für die Rundschau zum 75-jährigen Bestehen. Ein Foto-Druck wird in einer Auflage von 200 Stück aufgelegt. Leser der Rundschau können den signierten Druck der Collage auf Alu-Dibond kaufen oder hier gratis als pdf herunterladen – und etwas Gutes tun: Der Erlös kommt Niedeckens Hilfsprojekt „Rebound“ zu Gute. Damit werden vom Krieg traumatisierte Kinder und Jugendliche in Afrika unterstützt.

Fotografie von Tina Niedecken als Grundlage

Grundlage des Kunstwerkes ist ein Foto vom Vierungsturm, das Niedeckens Frau Tina 2019 erstellt hat. Es ist vom Südturm aus aufgenommen, eine Etage unterhalb der Aussichtsplattform, durch ein kleines Fenster fotografiert. Exakt aus der Position hat auch Walter Dick vor 75 Jahren fotografiert, in dem Jahr also, in dem die erste Ausgabe der Kölnischen Rundschau gedruckt wurde. Das Motiv spielt auch beim letzten Album „Alles fließt“ eine wichtige Rolle. Die Mahnung vor Kriegstreibern und rechten Populisten ist für Niedecken ein Lebensthema.

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Niedecken arbeitet bei der Collage mit Überklebungen und Verfremdungen des Ausgangsmotives. Das Material: Stanniol-Papier von Sekt- oder Weinflaschen, zurechtgeschnittene Ummantelungen, Folien oder auch Papier. Auf dem Schreibtisch stehen Schachteln und Dosen, voll mit glitzerndem Material, daneben Stifte und Stempel. „Der ganze Freundeskreis trinkt Wein und isst Süßigkeiten für die Kunst“, sagt Niedecken lachend.

Link: Hier geht es zum Download der Niedecken-Collage

Der Raum ist ein kreativer Rückzugsort. Nebenan steht der Schreibtisch, an dem der BAP-Frontmann (mit Blick auf den Rhein) Songtexte formuliert. Gelegentlich übersetzt er die Gedanken in Bilder, Collagen, es tue der Seele gut, eine andere Ausdrucksform zu finden. „Die Musik, das Texten, die bildende Kunst, das ist wie ein geflochtener Zopf .“

Wolfgang Niedecken hat in den 70er Jahren an den Kölner Werksschulen am Ubierring studiert, ein Atelier am Kartäuserhof in der Südstadt gehabt. Mit der Installation „Kompass“ erinnerte er an den Lebensmittelladen des Vaters, es gehört dem Stadtmuseum. 2004 zeigte er eine Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle. „In der bildenden Kunst geht es immer um den nächsten Schritt“, sagt er. Dafür fehlte ihm irgendwann die Zeit.

Als die Idee für die Collage für die Rundschau entstand, ist dem Künstler der Vierungsturm vor dem Rhein schnell wieder eingefallen. Der Rhein („Jeder weiß, dass ich da einen Tick habe“) ist für ihn Symbol für Heimathafen und Fernweh zugleich. „Es ist immer beides: In der Heimat stehe ich, da breche ich auf, aber dahin komme ich auch gerne zurück.“ Der Vierungsturm ist auch Mittelpunkt von Köln. Von hier aus werden die Entfernungen gemessen, der Stern auf dem Turm (der genau über dem Altar steht) markierte den Nullpunkt der Stadt.

„Ich spüre, dass ich langsam sesshafter werde, weil ich schon viel gesehen habe. Das Fernweh ist noch da, aber ich spüre keine Unruhe mehr.“ Wolfgang Niedecken selbst ist in der Collage übrigens auch zu sehen. Verschwindend klein steht er auf dem Turm, neben einem der Scheinwerfer, die die Kathedrale in Szene setzen.

All das, was in diesem Bild steckt, bringe kein Songtext so auf den Punkt wie „Für ne Moment“. „Enn dä ahle Stadt, wo “sch herkumm, däm Millionedorf ahm Rhing“, so beginnt das Stück. Es ist einer der wichtigsten Texte des Songwriters überhaupt und zugleich Titel der Biografie, die vor zehn Jahren erstmals erschienen ist.

„Alles, was mich ausmacht, steckt in diesem Lied“

Bei Soloauftritten spielt Niedecken es meist als erstes Stück. „Weil es meine Visitenkarte ist.“ Was ihn als Mensch und Künstler geformt hat und ausmacht, stecke in diesem Lied. „Es stimmt komplett.“ Der Song (vom Album „Comics & Pin-ups“) ist 1999 entstanden.

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Er wisse meist nicht, wo die Reise endet, wenn er sich an eine Collage setzte. „Ich wusste, dass ich den Text in die Wolken schreiben wollte, und dass es eine Art Nebelschweif über dem Rhein geben muss.“ Erst sollten die Sterne wie ein Saturn-Ring um dem Vierungsturm herum leuchten. „Aber das gefiel mir nicht. Also habe ich von vorne begonnen.“ Was nicht schlimm war. „Wichtig ist, dass es am Ende rund ist und stimmig.“

Wolfgang Niedecken: 70 Jahre. Die Biografien „Für ne Moment“ und „Zugabe“ in einem Band mit neuem Vorwort, Hoffmann und Campe, 998 Seiten, 29,90 Euro.  

„Für ne Moment“ – der Liedtext

„Für ne Moment“„Enn dä ahle Stadt, wo ’sch herkumm, däm Millionedorf ahm Rhing, wo ming Ahne schon jelääv hann un ming Pänz jeboore sinn,

Sprich mer “n Sprooch, die do jewaaße, die mer övverall erkennt, die mer enn Düsseldorf zwar „Rheinisch“, doch em Ress der Welt „Kölsch“ nennt.

All ming Jedanke, all ming Jeföhle, hann ich, sulang ich denke kann, immer noch ussjelääv oder erdraare Enn unserer eijene Sprooch.

Ubier, Römer un Franzose, Jottweißwer leet irj’ndjet he. Mer sinn Bastarde un stolz drop, dat mer uss uns nit schlau weed.

Für ’ne Moment wohr ich ahm Dräume, für ’ne Moment wohr ich wie hypnotisiert. Für ’ne Moment wohr ich ahm Dräume, für ’ne Moment wohr die Uhr öm zwanzig Johr zoröckjedrieht.

Un ich sinn e paar Chaote enn ’nem Proberaum, zwesche Kippe un leere Fläsche, ohne jede Illusion. Hühr en merkwürdije Sprooch, total ejal, wie mer se nennt. Irjendwie schingk se zo passe zo der merkwürdije Band (...)“

Text: W.N. Musik: J. Streifling  

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