Der Kampf gegen das Übergewicht„Ich bin nicht faul, sondern krank“

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Vorher, nachher: Alexandra Piskol, die Frau auf dem Kampagnen-Plakat, ist heute gut 100 Kilo leichter.

Vorher, nachher: Alexandra Piskol, die Frau auf dem Kampagnen-Plakat, ist heute gut 100 Kilo leichter.

  • Der Verein Initiative Gesundgewicht macht mit Plakaten an mehr als 200 Orten in Köln auf sich aufmerksam.
  • In seiner Kampagne geht es um das Thema Übergewicht, Adipositas genannt.
  • Alexandra Piskol ist eines der Gesichter der Kampagne. Sie hat jahrelang mit der Krankheit gekämpft.
  • Nun erzählt sie, wie sie damit klarkommt und wie sie es geschafft hat, sich endlich wohl zu fühlen.

Köln – Eine stark übergewichtige Frau in provokanter Pose. Darüber der Satz: „Ich weiß, was du denkst“. An mehr als 200 Orten in Köln ist das aufmerksamkeitsstarke Plakat seit einigen Tagen zu sehen. Auftraggeber ist der Verein Initiative Gesundgewicht mit Sitz in Hamburg. „Unser Ziel ist es, über Adipositas aufzuklären“, sagt Vereinssprecher Sven Becker. „Menschen sollen begreifen, dass sie eine Krankheit haben, die einer umfassenden Behandlung auf allen Ebenen bedarf.“ Als Krankheit sei Adipositas nämlich immer noch nicht anerkannt.

Dabei ist Adipositas, das heißt starkes Übergewicht ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 30, auf dem Vormarsch. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts sind etwa ein Viertel der Deutschen betroffen. Tendenz seit Jahren steigend. „Die Krankenkassen bezahlen zwar eine Magenverkleinerung, eine ganzheitliche und langfristige Nachsorge und Therapie allerdings nicht“, kritisiert Becker. Die sei jedoch unbedingt notwendig. Der Verein Initiative Gesundgewicht fordert medizinische Behandlungsstandards und die Anerkennung von Adipositas als Krankheit. Und: Er will den Betroffenen Mut machen, sie unterstützen und entstigmatisieren.

Das Fotografieren für die Kampagne fiel nicht leicht

„Wenn man so dick ist, fühlt man sich als Versager“, bestätigt jene Frau, die auf dem Plakat zu sehen ist. Es ist Alexandra Piskol (42). Für den Kampagnenauftakt ist die Hamburgerin nach Köln gekommen, einer von mehreren NRW-Großstädten, in denen mit insgesamt fünf verschiedenen Protagonisten geworben wird. Sie wurden wie Alexandra Piskol über soziale Netzwerke gefunden.

Alles zum Thema Robert Koch-Institut

Die Scham überwinden

Selbsthilfegruppen können sehr hilfreich für übergewichtige Menschen sein. „Scham ist ein großes Thema“, sagt Alexandra Piskol. In Köln treffen sich mehrere Gruppen regelmäßig – unter anderem an der Uniklinik. Eine Übersicht findet sich auf der Internetseite des Adipositasverbands.

www.adipositasverband.de

Kliniken mit Adipositasschwerpunkt in Köln sind das städtische Klinikum Merheim und das St. Franziskus -Hospital. An der Uniklinik gibt es mit „Magnus“ ein Adipositas-Zentrum.

Die Kampagne der Initiative Gesundgewicht führt zu einer eigenen Internetseite, auf der sich Betroffene umfassend informieren können. Es gibt unter anderem einen Rechner, mit dem der Body-Mass-Index bestimmt werden kann und Hinweise auf Kliniken und Praxen. Zu lesen sind auch die Geschichten der Porträtierten auf den Plakaten. (dha)

www.zusammengegenadipositas.de

„Mich für die Kampagne fotografieren zu lassen, fiel mir nicht leicht.“ Ihre Motivation: Andere Betroffene ermutigen. „Viele trauen sich noch nicht einmal mehr zum Arzt zu gehen.“ Stattdessen suchen sie die Schuld bei sich. Alexandra Piskol weiß, wovon sie spricht. In der Pubertät nahm sie zu. Vorurteile, wie, sie habe sich nicht im Griff, sei faul und undiszipliniert und vor allem das Gefühl, unansehnlich zu sein, kennt sie seit jungen Jahren. „Man fühlt sich als Versager.“

Mit professioneller Unterstützung wurde es besser

Sie hat Jahrzehnte mit Diäten hinter sich – auf Gewichtsreduktion folgte immer wieder Gewichtszunahme. Als sie sich 2018 zu einer Magenverkleinerung entschloss, wog Alexandra Piskol rund 180 Kilo. Kurz nach der OP im April 2018 entstand das Foto. Etwa zeitgleich begann Alexandra Piskol, ihr Leben von Grund auf umzustellen. Dabei half ihr auch professionelle Unterstützung.

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„Menschen, die an Adipositas erkrankt sind, genügt keine OP, sie brachen Psychotherapie, Bewegung, Ernährungsberatung, Verhaltenstherapien“, ist Becker von der Initiative Gesundgewicht überzeugt. Alexandra Piskol sieht das ähnlich. „Man muss die Nachsorge selbst organisieren. Da fehlt eine Betreuung durch die Krankenkassen“, sagt sie.

Dabei ist sie sicher: „Dauerhaft abnehmen funktioniert nur, wenn man sein ganzes Leben umstellt.“ Die Umstellung müsse vor allem im Kopf passieren. Sie hat Wandern für sich entdeckt, bewegt sich viel, isst maßvoll und „möglichst bunt“ – und gibt sich nicht länger selbst die Schuld. „Ich bin nicht faul, sondern krank.“ Und sie genießt die Normalität. „Wie im Bus zu sitzen und neben sich einen Platz freizuhaben.“

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