Die Kunst der BausündeKunsthistorikerin lädt zum Stadtspaziergang in Köln

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Das Axa-Hochhaus, vor über 40 Jahren als „Colonia-Haus“ errichtet.

Das Axa-Hochhaus, vor über 40 Jahren als „Colonia-Haus“ errichtet.

Köln – Die Kunsthistorikerin Turit Fröbe hat die „Kunst der Bausünde“ populär gemacht. Auch in ihrem neuen Buch „Alles nur Fassade?“ zeigt sie, dass Alltagsarchitektur spannend sein kann. Am kommenden Montag lädt sie in Köln zum Stadtspaziergang. Jens Meifert sprach mit ihr.

Frau Fröbe, wenn andere sich angewidert von einem Bauwerk abwenden, wird es für Sie interessant. Was fasziniert Sie so an Bausünden?

Ich habe 2001 vor einer Bausünde gestanden, die mein Leben verändert hat. Das war ein Stromkasten in Bielefeld. Wenn ich auf der anderen Straßenseite gegangen wäre,wäre mein Leben anders verlaufen. So wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Und dann habe ich angefangen, Bausünden zu sammeln. Es kam schnell die Idee, einen Abreißkalender mit 365 Bildern zu gestalten. Das war schwieriger als gedacht, da ich feststellen musste, dass überall, in Bielefeld, Hannover oder Hamburg, das gleiche herumstand. Wirklich gute, einzigartige Bausünden zu finden, ist schwer. Die steinernen und inzwischen abgerissenen „Pilz“-Unterstände am Dom waren übrigens auch im Kalender und später im Buch dabei.

Wie lange haben Sie gebraucht, um den Abreißkalender vollzubekommen?

Viereinhalb Jahre. Und das obwohl ich kaum noch ohne Fotoapparat aus dem Haus gegangen bin. Ich habe Bilder in 80 Städten gemacht. In dieser Zeit hat sich meine Sicht auf Bauten und Städte verändert. Ich unterscheide zwischen den guten Bausünden, die einzigartig sind, aber daneben gibt es die viel schlimmeren, schlechten Bausünden, nämlich die langweilige gleichförmige Investoren-Architektur. Die steht auf den Ring- und Ausfallstraßen unserer Städte und macht aus der Architektur öden Einheitsbrei.

Ihr neues Buch „Alles nur Fassade?“ ist eine Art Handreichung, um Architektur und Bauten zu erleben. Fehlt es da an Bewusstsein?

Absolut. Die klassische Architekturkritik interessiert sich nur für die leuchtenden spektakulären Bauten, das ist ein sehr elitärer Ansatz. Man muss sich aber auf eine Stadt einlassen, um sie wirklich entdecken zu können. Mir geht es um den niederschwelligen Einstieg. Die nahe liegende Auseinandersetzung ist die mit dem Haus nebenan und nicht die mit dem Prachtbau im Zentrum. Wenn ich in Berlin, wo ich wohne, unterwegs bin, sehe ich immer, und zwar wirklich jedes Mal Neues und Überraschendes.

Was empfinden Menschen denn an Häuserzeilen als schön?

Altbauten gelten immer als schön, Gründerzeithäuser und Jugendstil sowieso, wobei dann oft gar nicht so genau hingesehen wird. Die 50er Jahre-Architektur, die in Köln ja sehr präsent ist, findet inzwischen auch breite Anerkennung. Da gibt es eine zarte Eleganz, alles sehr verspielt und fröhlich mit reichhaltigen Materialien, das gilt heute als unstrittig schön. Das zeigt: Man muss einer Architektur Zeit geben. Die 70er Jahre sind weitgehend rehabilitiert, das wird schon wieder nachgebaut.

Zur Person

Turit Fröbe, geboren 1971, hat in Marburg Kunstgeschichte und Archäologie studiert, später Europäische Urbanistik in Weimar. Bis 2017 lehrte sie an der Universität der Künste in Berlin. Bereits 2001 entdeckte sie ihr Herz für Bausünden und sammelt seitdem prägnante Alltagsarchitektur.

Ihren Architekturführer „Alles nur Fassade?“ stellt sie Montag, 17. September, in Köln vor. Treffpunkt ist der Buchladen Neusser Straße, Neusser Straße 197, Beginn ist um 17.30 Uhr. Jeder Interessierte ist eingeladen, den Weg des Rundgangs bestimmen die Teilnehmer selbst mit ihren Frage. Die Karten kosten 10 Euro. (mft)

Aber es gibt auch zahlreiche Fliesenfassaden, oft aus den 60er Jahren, manche sagen: nach außen gewendete Badezimmer.

Da wird es schon schwieriger. Da hilft erstmal ein liebevoller Blick. Ich empfehle immer, auf Fotos aus der Erbauungszeit zu schauen. Da sieht man, dass ein Haus nicht in böser Absicht gebaut worden ist und nicht absichtlich hässlich sein soll.

Darf man hässliche Fassen überbauen und neu verkleiden oder raten Sie, sich zur Bausünde zu bekennen?

Pauschal ist das schwierig zu sagen, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es selten besser wird. Ich bekomme viele Fotos zugeschickt, von Bausünden, aber auch von Neubauten, die nach dem Abriss einer Bausünde entstanden sind. Ich muss sagen: Das geht oft daneben. Natürlich muss es auch weiter gehen, man muss Städte entwickeln, aber gegen eine schöne Bausünde ist nichts zu sagen. Das kann auch ein Alleinstellungsmerkmal sein, die kann schmücken.

Köln hat da eine ganze Menge zu bieten. Viele empfinden die Stadtarchitektur als verstörend, gerade weil die Architektur wie gewürfelt aussieht: ein Gründerzeithaus neben einer Glasfassade und dann Klinkeroptik.

(lacht) Klingt toll, ich finde das spannend. Oft sind es doch gerade die Brüche, die eine Stadt interessant machen.

Haben Sie denn die Hoffnung, dass dies auch in der breiten Bevölkerung Widerhall finden wird, dass es einen entsprechenden Blick für Baukultur geben kann?

Da gib es viel zu tun. Ich weiß, dass Köln eine sehr aktive Szene für Baukultur hat. Das ist wirklich einzigartig in Deutschland. Insgesamt führt die Architektur aber ein Schattendasein, es geht immer nur um herausragende Bauten.

Wenn Sie in eine Stadt kommen, worauf schauen Sie als erstes?

Ich bin nicht an offiziellen Sehenswürdigkeiten interessiert. Ich flaniere gerne durch eine Stadt und schaue mir alles an. Für mich ist Architektur ein offenes Buch, in dem man lesen kann.

Turit Fröbe: „Alles nur Fassade?“ Das Bestimmungsbuch für moderne Architektur, 176 Seiten, 500 Abbildungen, DuMont-Buchverlag, 20 Euro,„Die Kunst der Bausünde“, Quadriga-Verlag/Bastei Lübbe, 180 Seiten, 16,99 Euro (2013).

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