Ehe für alleSeit drei Jahren sind Michael und Mark Pflegeeltern der kleinen Liev

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Eltern für zwei Mädchen:  Michael H. (r.) und Mark K. mit Tochter Helena und Liev.

Köln – Mit fünf Geschwistern ist er aufgewachsen, in einer regelrechten Großfamilie, im Allgäu. Beim Gedanken daran muss Michael H. schmunzeln. Zwei Geschwister hat sein Mann Mark K.. Eine Familie gründen – das war von Anfang an der große gemeinsame Wunsch der beiden verheirateten Männer.

Eine leibliche Tochter hat das Paar schon, als es sich für eine Pflegeelternschaft entscheidet. „Wir hatten das Gefühl, unsere Familie ist noch nicht vollständig. Und wollten nicht, dass Helena als Einzelkind aufwächst.“ Im Frühjahr 2017 melden sich die Männer beim Kölner Pflegekinderdienst. „Ein Kind zu adoptieren war für uns damals noch nicht möglich, das ging erst nach der Anerkennung der Ehe für alle“, erinnert sich Mark K.

Beide sind sehr gespannt, was auf sie zukommt. Wie der Kontakt zur Herkunftsfamilie sein wird, wie man einem Kind mit einer besonderen Lebensgeschichte gerecht wird. Und natürlich stand auch die Sorge im Raum, ob ein Pflegekind auf Dauer bei ihnen bleiben kann.

Neun Monate Schulung

Fragen wie diese werden über neun Monate in Gesprächen und Schulungen thematisiert, die die beiden Väter zur Vorbereitung absolvieren müssen. „Man muss sich als Paar mit Vielem ganz ehrlich auseinandersetzen. Traust du dir ein großes Kind zu? Kommst du mit Alkohol in der Schwangerschaft und den Folgen zurecht? Wir haben uns ein Kind gewünscht, das höchstens eineinhalb Jahre alt ist, um es mit den Erfahrungen, die es bis dahin gemacht hat, angemessen begleiten zu können.“ Doch weil viele Paare jüngere Kinder möchten, ist die Zeitspanne bis zur Vermittlung oft lang.

„Dann geht es los, und man wartet. Auf den einen Anruf“, erinnert sich Mark K. „Im März waren wir durch und hatten unsere Pflegebescheinigung. Und im August kam Liev“, sagt Michael H., und das ungläubige Staunen von damals darüber, dass es so schnell ging, klingt immer noch durch. Doch erstmal kam nicht das Pflegekind, sondern seine Akte. Mit geschwärztem Namen. „Wir sollten nochmals nachdenken. Aber das brauchten wir nicht.“ Vorgesehen ist auch ein Kontakt mit der Mutter, doch sie kann an diesem und auch an weiteren Treffen nicht teilnehmen.

Erst eine, dann zwei Stunden Betreuung am Tag

„Und dann, endlich, wird ein Termin im Kinderheim ausgemacht, an dem du dein Kind zum ersten Mal siehst. Die Tür von irgendeinem Zimmer geht auf und du siehst dein Kind. Das ist unbeschreiblich“, sagt Mark K. Vier Monate alt ist das kleine Mädchen, das seine Pflegeväter erst eine, dann zwei Stunden am Tag sehen und betreuen dürfen.

Einen Monat später kommt Liev dann in die Familie, da ist Helena vier Jahre alt. „Für sie war Liev ein großes Geschenk. Sie hat sie gefüttert wie eine kleine Puppe. Die beiden schlafen bis heute in einem Zimmer“, erzählt Michael H. „Jetzt allerdings freut sich Helena schon sehr, dass sie nach unserem Umzug ein eigenes Zimmer bekommt.“ Anfangs kann Liev nur auf dem Arm einschlafen, hat zeitweise nur wenig gegessen. Und man braucht bei manchen Dingen sehr viel Geduld.

Pflegeeltern gesucht

650 Kinder und Jugendliche leben in Köln  derzeit bei Pflegeeltern. 2020 gab es 40 Vermittlungen.   In der Bereitschaftspflege werden Kinder betreut, wenn sie akut aus ihren Familien herausgenommen werden müssen. Von hier aus werden sie in Pflegefamilien vermittelt. Bei der Überlegung, ob ein Kind in die Ursprungsfamilie zurückkehren kann, steht das Wohl des Kindes im Mittelpunkt . In Köln liegt die Rückführungsquote bei der Fremdpflege unter einem Prozent. Bei der Pflege durch Verwandte ist sie höher.   Im Jahr 2003 wurde das erste Kind an zwei Frauen vermittelt; Zur Zeit  werden  39 Kinder von 33 gleichgeschlechtlichen Paaren betreut; ein Drittel sind Männerpaare.   Weitere  Informationen zur  Pflegeelternschaft gibt es unter  Ruf 0221/221-24372. (bos)

Begleitend wird Liev deshalb vom Sozialpädiatrischen Zentrum der Uniklinik betreut. Davon abgesehen herrsche im Alltag der „ganz normale Wahnsinn“ mit zwei kleinen Kindern. Gucken, dass sie genügend draußen sind, Freunde treffen. Wenn ein Vater mal genervt ist, muss der andere ran. „Wir haben ein stinknormales Familienleben. Ich kümmere mich tagsüber um die Kinder. Aber wenn Papa abends nach Hause kommt, ist Daddy abgemeldet“, konstatiert Mark K.

Die siebenjährige Helena weiß, wie Liev in die Familie gekommen ist. Die beiden Pflegeväter schauen mit ihr Bilderbücher, die Lievs Geschichte erzählen. Nach der wird auch die jetzt knapp Dreijährige irgendwann fragen. „Wenn man offen mit Gefühlen umgeht, kommen die Kinder auch mit ihren Fragen. Und man merkt, wenn sie Redebedürfnis haben.“ So habe auch Helena von ihrer „Bauchmama“ erfahren und hat damit eine Antwort auf die Fragen ihrer Freundinnen.

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Spätestens in der Pubertät wird die Herkunft bei Pflegekindern Thema. Liev kann, wenn sie größer ist, ihre Akte einsehen. „Wir sammeln jedes Foto, jede E-Mail von ihrer Oma, damit wir ihr später alles zeigen können, was aus der Ursprungsfamilie kommt.

Auch die wenigen Fotos, die es von ihrer Mutter gibt. Für Liev würde ich mich freuen, wenn sich ihre Mutter meldet“, sagt Mark K. „Aber ich habe großen Respekt vor einer solchen Begegnung, das kann für Liev ein schwieriger Prozess werden.“ „Das schaffen wir, wenn es soweit ist“, ist sich Mann sicher. Und, kommt noch ein Pflegekind? „Wir sind 48 und 44 – das ist einfach zu alt“, sagt Michael H. „Aber wenn wir jünger wären, würden wir es auf jeden Fall wieder tun.“

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