Eine LebensaufgabeKölns letzter Schäfer kennt keine Hektik

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Schäfer Ingolf Bollenbach bleibt den ganzen Tag bei seiner Herde.

Schäfer Ingolf Bollenbach bleibt den ganzen Tag bei seiner Herde.

  • Ingolf Bollenbach ist Kölns letzter Schäfer
  • Nur noch wenige lassen sich in diesem traditionellen Beruf ausbilden
  • „Osterlämmer“ gibt es bei Bollenbach nicht. Und auch keine Krankentage.

Köln – Ingolf Bollenbach lässt den Blick schweifen. Über das grüne Gras, die Bäume mit den frischen Blättern – und über seine Schafe. In die Herde ist in diesem Moment absolute Ruhe eingekehrt. 300 Schafe und wohl mehr als 150 Lämmer rupfen mit gesenkten Köpfen geräuschvoll die Halme ab. „Wenn die Schafe fressen und man hört das Gras, dann ist das wie Musik für mich“, sagt der Schäfer. 

Man könnte meinen, dass die Lastwagen und Autos, die im Hintergrund auf der A 4 vorbeirasen, den Genuss ein wenig trüben. Aber die Verkehrskulisse in Marsdorf stört Ingolf Bollenbach (63) nicht. Die Schafe auch nicht: „Die kennen alles hier und sind nicht schreckhaft.“

Meter um Meter futtern sich die Tiere durch den Äußeren Grüngürtel. Kälte, Regen, Sommerhitze – das macht den Tieren und ihrem Schäfer nichts aus. Im Winterquartier war er seit Jahren nicht. „Wir haben ja keinen Winter mehr“, sagt Ingolf Bollenbach. Die Lämmer werden meistens im Dezember und Januar auf der Weide geboren, aber es gibt immer ein paar Nachzügler. „Wenn die Mutter das Junge sofort trockenleckt und versorgt, ist es stark genug, sogar bei minus zehn Grad“, erklärt Ingolf Bollenbach. „Schlechtes Wetter gibt es nicht. Für mich ist ein Sonnentag genauso schön, als wenn es regnet.“ 

Gezüchtet wird für das Fleisch

Bisweilen gerät die Herde in Bewegung, die Schafrücken erinnern an wogende Wellen. Zwischendurch springen einzelne hoch. „Man sagt, dass sich das Wetter dann ändert.“ Es soll wärmer werden. Der Schäfer geht ein Stück mit seiner Herde. Ein paar Tiere büxen nach links hinter die Bäume aus. Hektik? Keine Spur. „Komm! Komm!“, ruft der Schäfer. Nicht alle trotten sofort zurück.

Hund Ronni, ein Münsterländer, ist schon unterwegs. Ingolf Bollenbach lässt auch noch Max, einen Altdeutschen Hütehund, von der Leine. Bald ist die Herde wieder vereint. Ein kleines schwarzes Schaf kommt als letztes hinterher. „Natürlich“, sagt Ingolf Bollenbach. Er züchtet Schwarzkopfschafe und Merinolandschafe. Nicht wegen der Wolle, sondern einzig wegen des Fleisches. „Wolle bringt nichts ein.“ Es gebe keine großen Spinnereien mehr in Deutschland. Geschoren werden müssen die Tiere trotzdem.

Das koste 2,50 Euro pro Schaf. Für die Wolle, die exportiert wird, erlöst er aber deutlich weniger. Nach der „Schafskälte“ im Juni ist es wieder so weit. Dann rücken für einen Tag die Schafscherer an. Mit „Osterlämmern“, die an den Ostertagen gegessen werden, hat er nichts zu tun. Er lässt seine Tiere bis zum Herbst wachsen. Dann gibt er 150 bis 200 zum Schlachthof.

Die Kinder haben einen anderen Beruf

Schäfer ist ein einsamer Job. Ingolf Bollenbach ist der einzige in Köln. Es gibt in der Nachbarschaft einen aus Heinsberg und einen aus Leverkusen. Man kennt sich, aber letztlich macht jeder sein eigenes Ding. Auch der Vater von Ingolf Bollenbach war Schäfer in Köln, schon als Junge hat er seine Tage bei der Schafherde verbracht, während die Klassenkameraden Fußball spielten. Für Hausaufgaben war spät abends Zeit, „oder morgens unter der Bank“.

Ingolf Bollenbach hat zwei Ausbildungen abgeschlossen, als Metzger und als Schäfer – und sich schließlich für den Schäferberuf entschieden. Seine Kinder haben einen anderen Weg eingeschlagen. 

Einer der ältesten Berufe

Seit Menschengedenken ziehen Schäfer auf der ganzen Welt mit ihren Herden umher. In der Landwirtschaft spielt die Schäferei hierzulande keine große Rolle mehr. Laut der Landwirtschaftskammer NRW ist die Zahl der Schäfer zwischen 1950 und 1970 um die Hälfte zurückgegangen.

Das Haupteinkommen der Schäfer stammt inzwischen aus der Produktion von Lammfleisch und der Landschaftspflege. 2016 wurden in NRW 160 000 Schafe gehalten, Seit 2000 ließen sich jedes Jahr zwischen zwei und neun Azubis zu Schäfern ausbilden. (kl)

Abends um 19 Uhr baut Ingolf Bollenbach einen Elektrozaun für seine Herde auf und fährt nach Hause. Am nächsten Morgen ist er wieder da und zieht ein Stück weiter. Urlaub hat er nie, krank werden darf er nicht. Sein Vater stand mit 80 Jahren noch auf der Weide: „Je älter man wird, desto mehr hängt man an den Schafen.“ 

Der Schäfer erkennt sofort, wenn es einem Tier nicht gut geht, merkt, wenn es nicht frisst, übernimmt die Klauenpflege, streitet mit Hundebesitzern, die ihre freilaufenden Hunde nicht im Griff haben und die Herde attackieren. Gelegentlich ist er auch Lehrer, wenn sich eine Schulklasse ankündigt, um etwas über seine Tiere und den Beruf des Schäfers zu erfahren. Manchmal werden seine Schafe für Foto-Termine oder Filmaufnahmen gebucht. Vor einigen Tagen war das ZDF wegen einer Quizsendung da. Ingolf Bollenbach lässt den Blick schweifen. „Der Tag ist viel zu kurz“, sagt er.  

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