Einsames Leiden mit dem 1.FC KölnWie Fans den siebten Abstieg ihres Clubs fürchten

Lesezeit 5 Minuten
FC Banner Geißbockheim (1)

Statement voller Frust: Fan-Protest am Geißbockheim nach dem 2:3 gegen Mainz 05. 

Köln – Mit dem Gefühl der Leere kennt sich Michael Trippel aus. Seit über einem Jahr moderiert er im leeren Rheinenergie-Stadion die Spiele des FC. Er ist Stadionsprecher in Geisterspiel-Zeiten, seine Stimme hallt wider von den verwaisten Sitzplatzschalen. Es ist ein absurder Job. An diesem Sonntag, nach der nächsten vermeidbaren und folgenschweren Niederlage des 1.FC Köln, sei die Leere noch viel größer gewesen, sagt er. „Dass die Saison schwer würde, war klar.“ Aber dass der Club so durchgereicht wird, sei schwer zu ertragen. Die Fans des 1.FC Köln sind Kummer gewohnt. Ältere Anhänger wie der 66-jährige Trippel wissen noch, dass es im Fußball auch um Titel gehen kann und nicht nur um die Vermeidung des nächsten Absturzes. Doch nun steht der Club vor dem siebten Abstieg in 23 Jahren, das ist auch für einen an Superlativen nicht armen Verein eine Hausnummer.

Trippel glaubt, dass auch dieser Abstieg die Fans nicht mehr schocken würde. „Der Verein hat rund 111 000 Mitglieder, und die allermeisten sind es nicht, weil wir so erfolgreich sind.“ Der Club sei bunt und schrill wie die Stadt, karnevalesk, die einzigartige Atmosphäre ziehe an. Aber diese Atmosphäre, diese Stimmung, das kollektive Erleben, das alles ist in Corona-Zeiten still gelegt.Nicht mal Geißbock Hennes darf zu den Spielen. Im Stadion ist es so leise, dass das Klacken der Werbebande zu hören ist, sobald der nächste Sponsor aufleuchtet.

Nur eine schöne Erinnerung: Bilder der ausverkauften Arena flimmerten am Sonntag über die Videowand des leeren Rheinenergie-Stadions.

Nur eine schöne Erinnerung: Bilder der ausverkauften Arena flimmerten am Sonntag über die Videowand des leeren Rheinenergie-Stadions.

Wie wäre der Abstiegsgipfel gegen Mainz mit Zuschauern gelaufen? Hätte nach dem 2:1 die Stimmung die Mannschaft getragen? Wäre das 2:3 in der Nachspielzeit weggebrüllt worden? Oder hätten Jungspieler wie Noah Katterbach oder Ismail Jakobs den Druck nur noch stärker gespürt? Müßig. In Corona-Zeiten drückt sich die Wut im Netz aus. Auf Facebook, Twitter & Co. entlädt sich der Frust in Abgesängen und tiefschwarz gemalten Untergangsszenarien (siehe Infotext). Viele Stimmen klangen trotz allem seltsam unbeteiligt. Eine Routine des Scheiterns. Die Meldung von Markus Gisdols Entlassung wird von etwa 1000 Fans kommentiert. Unter der Meldung von der Verpflichtung des Feuerwehrmanns Friedhelm Funkel sammeln sich 800 Meinungen.

Warum macht der FC nicht mehr aus seinen Möglichkeiten?

„Man kann nicht mal richtig leiden“, sagt Michael Cicchetti. Der 54-Jährige hat bis vor einigen Jahren das „Moselstübchen“ in Neuehrenfeld betrieben. Eine liebevoll ausstaffierte FC-Kneipe, ein Ort, an dem die Niederlage schon ein Stück verarbeitet war, wenn die Kneipentür abends ins Schloss fiel. Auch das geht derzeit nicht. Jeder leidet für sich alleine, frisst den Frust daheim in sich rein. Gesund ist das nicht und rheinisch schon gar nicht. „Gemeinsam ist alles emotionaler“, sagt Cicchetti, das gelte auch für Misserfolge. „Es tut daher etwas weniger weh.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Distanz und Ohnmacht hat auch Thomas Reinscheid ausgemacht. Der Chef der Seite „Effzeh.com“ beobachtet den Club, aber auch die aktive Fan-Szene sehr aufmerksam. „Es fehlt das Ventil, den Frust im Stadion zu verarbeiten.“ Er sieht in der Folge aber mehr Fatalismus als geballte Wut. „Ein gewisser Abnabelungsprozess hat durch die lange Zeit der Geisterspiele stattgefunden.“ Dazu kommt die seit Jahrzehnten immer wieder gestellte Frage, warum der Verein so wenig aus seinen Möglichkeiten macht. Die Abstiege in Serie ermüdeten die Fans. „Da ist Gewöhnung dabei, andere machen sich große Sorgen, dass der Absturz dieses Mal weiter gehen könnte.“ Siehe Kaiserslautern, siehe 1860 München.

„In guten wie in schlechten Zeiten“

Früher entlud sich der Frust der Kurve in kernigen Gesängen, Schmähungen – oder wie im Abstiegsjahr 2012 in einer Wand schwarzen Rauchs und einem versuchten Platzsturm. Dieses Mal ist ein rotes Transparent pandemiebedingt das Maximum an Reaktion. „FC spürbar planlos – Vorstand und sportliche Leitung raus!“ ist dort zu lesen.

Annelie Moser, Vorsitzende des Fanclubs „Fründe Rut Wiess 2001“, hasst verbales Nachtreten. Vielleicht hätte Stürmer Simon Terodde im Sommer nicht gehen dürfen. Vielleicht hätte Sportdirektor Armin Veh nicht so viele langfristige Verträge schließen dürfen. „Aber letztlich ist es wie in einer Ehe: Bei mir gibt es nur den FC. In guten wie in schlechten Zeiten“, lautet ihre Liebeserklärung an den Herzensclub. Der Nebel an ungeklärten Fragen, die den 1. FC Köln einhüllen, drehe sich weniger um die nächsten Spiele als um höhere Ebenen, findet Reinscheid. Warum ein Verein, der 2017 noch im Europapokal spielte, sich so schnell um alle Erträge gebracht hat? Warum immer wieder ein Messias helfen soll, aber kein langfristiger Plan da ist? Dass es zum Bruch mit den Anhängern kommt, glaubt er nicht. „Wenn die Fans irgendwann wieder ins Stadion dürfen, werden alle hinwollen.“ Egal in welcher Liga. Der Schmerz sitzt tief, doch zu groß ist die Sehnsucht nach dem Gemeinschaftserlebnis. Nach der FC-Hymne. Und dem Torschrei.

Reaktionen im Netz auf den neuen Trainer

Im Netz ließen Tausende Dampf ab, eine Auswahl von Fan-Stimmen:

„Seit Monaten wissen alle, wie sich die Situation entwickeln wird, nur die handelnden Personen flüchten sich in realitätsferne Hoffnung und demonstrieren Ideenlosigkeit, Inkompetenz und katastrophale Kommunikation. Wer kopiert hier eigentlich wen?“ #effzeh #Bundesregierung (Mathias Billstein)

„Lieber Friedhelm, du willst also mit Spielern wie Jannes Horn, Schmitz, Drexler, Dennis oder auch Ehizibue den Abstieg verhindern??? Das wäre in etwa so, als wolltest du mit Thorsten Legat als Telefonjoker bei „Wer wird Millionär“ die Millionenfrage lösen.“ (Olaf Alpert)

„Zu spät, bei der Feuerwehr wurde man von kontrolliertem Abbrennen sprechen“. (Russo Russo)

„Wenn er (Friedhelm Funkel) es schafft, dann hat er sich ein Denkmal vor der Süd verdient.“ (Tomasz Tomaszewski)

„Wir wollen nicht absteigen. Wir holen einen Trainer, mit dem wir schon abgestiegen sind. Wirklich spürbar anders.“ (Bastian Geradewohl)

„Warum erinnert mich das alles ein bisschen an Schalke und Huub Stevens. Hat in dieser Saison auch nichts gebracht. Ich wünsche Friedhelm Funkel aber ein glückliches Händchen und natürlich den Klassenerhalt mit der Mannschaft. Dann wird ein Denkmal vor dem Geißbockheim fällig!“ (Bernd Jungius )

Rundschau abonnieren